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Wenn die Arrestanten aus dem Zuchthause zur Arbeit gingen, stellten sie sich vor dem Wachgebäude in zwei Reihen auf; vor und hinter ihnen standen die Wachsoldaten mit geladenen Gewehren. Es erschienen: der Ingenieur-Offizier, der Zugführer und mehrere Gemeine von der Ingenieurkompagnie, die die Arbeit zu beaufsichtigen hatten. Der Zugführer zählte die Arrestanten und kommandierte sie partieweise zu den notwendigen Arbeiten.

Ich kam mit anderen in die Ingenieurwerkstätte. Es war ein niederes steinernes Gebäude, das sich auf einem großen, mit Material jeder Art angefülltem Hofe befand. Hier gab es eine Schmiede, eine Schlosserei, eine Tischlerei, eine Malerwerkstätte usw. Akim Akimytsch arbeitete in der Malerwerkstätte: er kochte Firnis, mischte die Farben und strich Tische und andere Möbelstücke nußholzartig an.

Während ich auf das Umschmieden der Fesseln wartete, kam ich mit Akim Akimytsch ins Gespräch über meine ersten Eindrücke im Zuchthause.

»Jawohl, sie mögen die Adligen nicht,« bemerkte er, »besonders die politischen Verbrecher, sie könnten sie einfach auffressen, und das ist kein Wunder. Erstens sind wir andere Menschen, die ihnen gar nicht gleichen; zweitens waren sie vorher alle entweder Leibeigene oder Soldaten. Urteilen Sie nun selbst, ob sie Sie lieb gewinnen können! Das Leben ist hier schwer, das muß ich Ihnen sagen. In den Strafkompagnien im Europäischen Rußland ist es aber noch schwerer. Wir haben hier solche, die in den Kompagnien gewesen sind, und diese können unser Zuchthaus gar nicht genug loben, als wären sie aus der Hölle ins Paradies gekommen. Es ist nicht die Arbeit, was das Leben schwer macht. Es heißt, daß in der ersten Kategorie die Obrigkeit nicht ganz militärisch sei; jedenfalls benimmt sie sich anders als bei uns. Man sagt, daß ein Verbannter dort eine eigene Wirtschaft haben kann. Ich bin dort nicht gewesen, aber die Leute sagen es. Dort wird man weder rasiert, noch muß man eine Uniform tragen, obwohl es eigentlich gut ist, daß bei uns alle uniformiert und rasiert sind: so ist mehr Ordnung, und es ist auch angenehmer für das Auge. Aber ihnen gefällt das nicht. Schauen Sie doch selbst, was es für ein Gesindel ist! Der eine ist ein ehemaliger Kantonist, der andere ein Tscherkesse, der dritte ein Raskolnik, der vierte ein orthodoxer Bauer, der seine Familie und die lieben Kinderchen in der Heimat zurückgelassen hat; der fünfte ist ein Jud, der sechste ein Zigeuner, der siebente, – man weiß nicht was, und diese alle müssen sich hier miteinander einleben, sich einander anpassen, aus der gleichen Schüssel essen und auf der gleichen Pritsche schlafen. Man hat auch nicht die geringste Freiheit: einen übrigen Bissen kann man nur heimlich essen, jede Kopeke muß man in den Stiefeln verstecken, und man vergißt für keinen Augenblick, daß man im Zuchthause ist... So wird man, ob man will oder nicht, verrückt.«

Aber ich wußte es schon. Ich wollte mich besonders über unseren Major erkundigen. Akim Akimytsch verheimlichte nichts, und ich erinnere mich, daß der Eindruck nicht sehr angenehm war.

Aber es war mir beschieden, noch zwei Jahre unter seinem Kommando zu leben. Alles, was Akim Akimytsch mir über ihn erzählte, erwies sich als vollkommen wahr, nur mit dem Unterschied, daß der Eindruck der Wirklichkeit immer stärker ist als der eines einfachen Berichts. Er war ein schrecklicher Mensch, eben aus dem Grunde, weil er ein fast unbeschränkter Befehlshaber über zweihundert Seelen war. An sich war er nur ein unordentlicher und böser Mensch, sonst nichts. Die Arrestanten betrachtete er als seine natürlichen Feinde, und darin lag sein erster und größter Fehler. Er hatte tatsächlich einige Fähigkeiten, aber alles, sogar das Gute war in ihm zu einer Karrikatur geworden. Unbeherrscht und wütend überfiel er das Zuchthaus manchmal sogar nachts, und wenn er merkte, daß ein Arrestant auf der linken Seite oder auf dem Rücken schlief, so bestrafte er ihn gleich am nächsten Morgen: »Schlaf auf der rechten Seite, wie ich es dir befohlen habe!« Im Zuchthause haßte und fürchtete man ihn wie die Pest. Sein Gesicht war blaurot und böse. Alle wußten, daß er sich ganz in den Händen seines Burschen Fedjka befand. Über alles liebte er aber seinen Pudel Tresorka und kam fast von Sinnen, als dieser Hund erkrankte. Man erzählte sich, er hätte über ihn wie über einen leiblichen Sohn geweint; er hätte einen Tierarzt hinausgeworfen und seiner Gewohnheit gemäß fast verprügelt, als er von Fedjka erfahren habe, daß es im Zuchthause einen Arrestanten gäbe, einen Autodidakten in der Tierarzneikunde, der die Tiere mit großem Erfolg behandle. Diesen ließ er sofort kommen:

»Hilf mir! Ich werde dich vergolden, wenn du mir den Tresorka kurierst!« rief er dem Arrestanten zu.

Jener war ein Sibirier, verschlagen, klug, ein wirklich tüchtiger Veterinär, aber ganz ein Bauer.

»Ich schau mir den Tresorka an,« erzählte er später den Arrestanten, übrigens eine lange Zeit nach seinem Besuch beim Major, als die ganze Sache schon vergessen war: »der Hund liegt auf dem Sofa, auf einem weißen Kissen; ich sehe, daß es eine Entzündung ist, daß man ihn zur Ader lassen müßte und der Hund dann gesund werden würde, bei Gott! Aber ich denke mir: wie, wenn ich ihn nicht kuriere und der Hund krepiert? Nein, sage ich ihm, Euer Hochwohlgeboren, Sie haben mich zu spät holen lassen; gestern oder vorgestern um dieselbe Stunde hätte ich ihn noch kurieren können, jetzt kann ich es aber nicht mehr...«

So krepierte Tresorka.

Man erzählte mir mit allen Einzelheiten, wie man einmal unsern Major hat erschlagen wollen. Im Zuchthaus war ein Arrestant, der sich da schon seit einigen Jahren aufhielt und sich durch sein stilles Betragen auszeichnete. Es war aufgefallen, daß er fast nie mit jemand sprach. Man hielt ihn für etwas geistesgestört. Er verstand zu lesen und las das ganze letzte Jahr ständig in der Bibel, bei Tag und bei Nacht. Wenn alle eingeschlafen waren, stand er um Mitternacht auf, zündete ein Kirchenlicht aus Wachs an, stieg auf den Ofen, schlug das Buch auf und las bis zum Morgen. Eines Tages ging er zum Unteroffizier und erklärte ihm, daß er nicht zur Arbeit gehen wolle. Man meldete es dem Major; dieser brauste auf und kam sofort selbst ins Zuchthaus. Der Arrestant stürzte sich über ihn mit einem schon früher vorbereiteten Ziegelstein, traf ihn aber nicht. Man packte ihn, stellte ihn vors Gericht und unterzog ihn einer Körperstrafe. Dies alles spielte sich sehr schnell ab. Nach etwa drei Tagen starb er im Krankenhause. Vor dem Tode sagte er, daß er niemand etwas Böses gewünscht und nur leiden gewollt habe, übrigens gehörte er keiner Sekte an. Man gedachte seiner im Zuchthause mit Achtung.

Endlich schmiedete man mir die Fesseln um. In die Werkstatt kamen indessen mehrere Semmelverkäuferinnen. Einige von ihnen waren noch ganz kleine Mädchen. Solange sie noch klein waren, pflegten sie die Semmeln auszutragen: die Mütter buken, und sie verkauften sie. Wenn sie ins reifere Alter kamen, fuhren sie fort, ins Zuchthaus zu kommen, aber ohne die Semmeln; so war es fast immer der Brauch. Es waren auch solche dabei, die nicht mehr so klein waren. Eine Semmel kostete eine halbe Kopeke, und fast alle Arrestanten kauften sich welche.

Ich beobachtete einen schon ergrauten, aber noch rotbackigen Arrestanten, einen Tischler, der lächelnd mit den Semmelmädchen schäkerte. Vor ihrem Erscheinen hatte er sich eben ein rotes Tüchlein um den Hals gebunden. Eine dicke pockennarbige junge Frau stellt auf seine Hobelbank ihren Korb hin. Zwischen ihnen begann ein Gespräch.

»Warum sind Sie denn gestern nicht hingekommen?« begann der Arrestant mit selbstzufriedenem Lächeln.

»Na! Ich war ja gekommen, statt Ihrer war aber Mitjka da,« antwortete keck die Frau.

»Man hatte mich wo anders gebraucht, sonst wär ich unbedingt zur Stelle gewesen... Vorgestern waren aber zu mir alle Ihrigen gekommen.«

»Wer denn?«

»Marjaschka war gekommen, Chawroschka war gekommen, Tschekunda war gekommen, das Zweigroschenmädel war gekommen...«