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»Was soll denn das heißen?« fragte ich Akim Akimytsch: »Ist es denn möglich...«

»Es kommt vor,« antwortete er mit diskret gesenkten Augen, denn er war ein äußerst keuscher Mensch.

Es kam in der Tat vor, aber nur sehr selten und mit den größten Schwierigkeiten. Es gab im allgemeinen viel mehr Liebhaber für das Trinken als für diese Dinge, trotz des ganzen natürlichen Dranges bei diesem unfreien Leben. Es war sehr schwer mit einem Frauenzimmer zusammenzukommen. Man mußte eine passende Zeit und einen passenden Ort wählen, sich verabreden, ein Stelldichein ausmachen, Einsamkeit suchen, was besonders schwer war, die Wachsoldaten für sich gewinnen, was noch schwerer war, und überhaupt eine Menge Geld ausgeben, natürlich nur verhältnismäßig viel. Es gelang mir aber später doch manchmal, Zeuge von Liebesszenen zu sein. Ich erinnere mich, wie wir uns einmal im Sommer zu dritt in irgendeinem Schuppen am Ufer des Irtysch befanden und einen Brennofen anheizten; die Wachsoldaten waren gutmütig. Endlich erschienen zwei »Souffleusen«, wie sie die Arrestanten nennen.

»Nun, wo habt ihr denn so lange gesteckt? Wohl bei den Swjerkows?« fragte sie der Arrestant, zu dem sie kamen und der schon lange auf sie gewartet hatte.

»Ich habe dort lange gesteckt? Neulich hat ja eine Elster länger auf einem Pfahl gesessen als ich bei den Swjerkows,« antwortete das Mädel lustig.

Es war das allerschmutzigste Mädel in der Welt. Es war die schon erwähnte Tschekunda. Mit ihr war das Zweigroschenmädel gekommen. Diese spottete aber schon jeder Beschreibung.

»Auch Sie habe ich schon lange nicht gesehen,« fuhr der Schürzenjäger fort, sich an das Zweigroschenmädel wendend. »Mir scheint, Sie sind etwas magerer geworden?«

»Kann sein. Einst war ich viel dicker, jetzt aber bin ich so mager, als hätte ich eine Nadel verschluckt.«

»Sie laufen wohl immer mit den Soldaten herum?«

»Nein, böse Zungen haben uns wohl verleumdet; aber warum auch nicht? Es gibt doch nichts Schöneres als die Soldatenliebe!«

»Lassen Sie doch die Soldaten und lieben Sie uns: wir haben ja Geld...«

Man stelle sich dabei den Galan mit rasiertem Schädel, in Fesseln, in gescheckter Kleidung und unter Bewachung vor.

Ich verabschiedete mich von Akim Akimytsch. Als ich hörte, daß ich ins Zuchthaus zurückkehren dürfe, nahm ich mir einen Wachsoldaten und ging mit ihm heim. Die Leute begannen eben heimzukommen. Früher als alle kommen diejenigen, die ein bestimmtes Arbeitspensum zu leisten haben. Das einzige Mittel, den Arrestanten zum Fleiß zu zwingen, ist, ihm eine bestimmte Arbeitsleistung vorzuschreiben. Diese ist oft sehr groß, wird aber doch doppelt so schnell bewältigt, als wenn der Arrestant einfach bis zur Mittagstrommel zu arbeiten hätte. Wenn der Arrestant mit seinem Pensum fertig war, ging er unbehindert heim, und niemand durfte ihn zurückhalten.

Man ißt nicht gleichzeitig zu Mittag, sondern durcheinander, ein jeder, wann er eben kommt; die Küche hätte auch nicht Platz für alle zusammen. Ich versuchte von der Kohlsuppe, konnte sie aber, da ich dieses Essen noch nicht gewohnt war, nicht hinunterbringen und kochte mir Tee. Wir setzten uns an ein Tischende. Neben mir saß ein Sträfling wie ich aus dem Adelstande.

Die Arrestanten kamen und gingen. Es war übrigens viel Platz da: es waren noch nicht alle versammelt. Eine Gruppe von fünf Mann setzte sich abseits an einen großen Tisch. Der Koch stellte ihnen zwei Schüsseln, Kohlsuppe und einen ganzen Eimer gebratene Fische hin. Sie feierten etwas und aßen auf eigene Rechnung. Uns sahen sie scheel an. Einer der Polen trat ein und setzte sich neben uns.

»Ich bin zwar nicht daheim gewesen, weiß aber alles!« rief laut ein langer Arrestant, in die Küche tretend und mit einem Blick alle musternd.

Er war an die fünfzig Jahre alt, muskulös und hager. Sein Gesicht hatte einen verschlagenen und zugleich lustigen Ausdruck. Auffallend war seine dicke, überhängende Unterlippe, die seinem Gesicht etwas äußerst Komisches verlieh.

»Nun, habt ihr gut geschlafen? Warum sagt ihr mir nicht guten Tag? Ich grüße die Kursker!« fügte er hinzu, indem er sich neben die auf eigene Kosten Essenden setzte. »Guten Appetit! Traktiert doch den Gast!«

»Wir sind ja gar nicht aus Kursk.«

»Dann aus Tambow?«

»Auch nicht aus Tambow. Du kannst von uns nichts holen, Bruder. Geh lieber zum reichen Bauern und bettle den an.«

»Ich habe heute Iwan den Hungerleider und Marja die Rülpserin im Magen. Wo wohnt denn der reiche Bauer?«

»Da sitzt Gasin, er ist der reiche Bauer, geh doch zu ihm.«

»Gasin leistet sich heute einen guten Tag: er will seinen ganzen Geldbeutel vertrinken.«

»An die zwanzig Rubel hat er sicher,« bemerkte ein anderer. »Es ist doch lohnend, Schnapsverkäufer zu sein.«

»Wollt ihr den Gast nicht bewirten? Nun, dann essen wir halt Kommiß.«

»Geh doch und bitte um Tee. Da trinken Herrschaften Tee.«

»Was für Herrschaften, hier gibt es keine Herrschaften! Sind jetzt die gleichen Menschen wie wir,« bemerkte düster ein Arrestant, der in der Ecke saß und bisher noch kein Wort gesprochen hatte.

»Ich würde schon gerne Tee trinken, schäme mich aber zu bitten, denn ich habe auch Scham im Leibe!« versetzte der Arrestant mit der dicken Lippe, uns gutmütig anblickend.

»Wenn Sie wünschen, will ich Ihnen Tee geben,« sagte ich, ihn einladend. »Ist's gefällig?«

»Ob's mir gefällig ist? Wie sollte es mir nicht gefällig sein!«

Er trat an den Tisch.

»Schau ihn nur einer an: daheim hat er Kohlsuppe mit dem Bastschuh gelöffelt, und hier hat er den Tee kennengelernt. Es gelüstet ihn nach dem herrschaftlichen Getränk,« versetzte der düstere Arrestant.

»Trinkt denn hier niemand Tee?« fragte ich ihn, aber er würdigte mich keiner Antwort.

»Da bringt man gerade Semmeln. Verehren Sie mir doch auch eine Semmel!«

Ein junger Arrestant trug einen ganzen Kranz von Semmeln, die er im Zuchthause verkaufte. Die Semmelfrau überließ ihm dafür jede zehnte Semmel; auf diese rechnete er eben.

»Semmeln, Semmeln!« rief er, in die Küche tretend: »Heiße Moskauer Semmeln! Würde sie selbst essen, aber ich brauche mein Geld. Jetzt habe ich nur noch diese letzte: wer von euch hat eine Mutter gehabt?«

Dieser Appell an die Mutterliebe brachte alle zum Lachen, und man nahm ihm einige Semmeln ab.

»Was glaubt ihr, Brüder,« sagte er, »Gasin wird heute so lange bummeln, bis er etwas Böses erlebt! Bei Gott! Was ist es auch für eine Zeit zum Bummeln: jeden Augenblick kann der Achtäugige kommen.«

»Man wird ihn schon verstecken. Ist er denn sehr betrunken?«

»Und wie! Ist schon ganz wütend und greift alle an.«

»Nun, dann wird es wohl auch zu einem Faustkampf kommen...« »Von wem sprechen sie?« fragte ich den Polen, der neben mir saß.

»Vom Arrestanten Gasin, der hier den Schnapsverkauf hat. Sobald er etwas Geld verdient, vertrinkt er es sofort. Er ist grausam und boshaft; im nüchternen Zustande verhält er sich übrigens ruhig; aber wenn er sich betrunken hat, kommt alles zum Durchbruch; dann stürzt er sich mit einem Messer auf die Menschen. Dann bringt man ihn zur Vernunft.«

»Wie bringt man ihn denn zur Vernunft?«

»An die zehn Arrestanten fallen über ihn her und schlagen ihn so lange, bis er die Besinnung verliert, d. h. sie prügeln ihn halb tot. Dann legt man ihn auf die Pritsche und bedeckt ihn mit einem Pelz.«

»So können sie ihn doch auch totschlagen!«

»Ein anderer an seiner Stelle wäre auch schon längst tot, er aber nicht. Er hat eine ungeheure Kraft, ist stärker als alle im Zuchthause und wie aus Eisen gebaut. Am nächsten Morgen ist er immer wieder vollkommen gesund.«

»Sagen Sie bitte,« fragte ich den Polen weiter, »sie alle essen doch auf eigene Kosten, und ich trinke meinen eigenen Tee. Dabei schauen sie mich so an, als beneideten sie mich um diesen Tee. Was soll das heißen?«