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Ich sagte schon, daß fast alle Leute in der Kaserne sich an irgendeine Arbeit machten; außer den Spielern gab es nur noch an die fünf gänzlich müßige Menschen, die sich sofort schlafen legten. Mein Platz auf der Pritsche war dicht an der Tür. Auf der andern Seite der Pritsche lag Kopf an Kopf mit mir Akim Akimytsch. Bis zehn oder elf Uhr arbeitete er: er klebte eine bunte chinesische Laterne, die ihm jemand in der Stadt für ziemlich hohe Bezahlung bestellt hatte. Solche Laternen stellte er meisterhaft her und arbeitete methodisch, ohne Unterbrechung; wenn er mit der Arbeit fertig war, räumte er alles sorgfältig zusammen, breitete seine Matratze aus, betete und legte sich sittsam auf sein Lager. Seine Ordnungsliebe und Sittsamkeit gingen bis zur kleinlichsten Pedanterie; er hielt sich wohl für einen außerordentlich klugen Menschen, wie es überhaupt alle beschränkten und stumpfsinnigen Leute tun. Er mißfiel mir gleich vom ersten Tage an, obwohl ich, wie ich mich gut erinnere, an diesem ersten Tage viel über ihn nachdachte und mich hauptsächlich darüber wunderte, daß solch ein Mensch, statt im Leben gut vorwärts zu kommen, ins Zuchthaus geraten war. Später werde ich noch mehr als einmal auf Akim Akimytsch zurückkommen.

Aber jetzt will ich kurz die Bewohner unserer Kaserne schildern. Ich mußte ja in ihr noch viele Jahre zubringen, also hatte ich lauter künftige Zimmergenossen und Kameraden vor mir. Natürlich musterte ich sie mit brennender Neugier. Links von mir auf der Pritsche hauste eine Gruppe kaukasischer Bergbewohner, die zum größten Teil wegen Raubüberfälle für verschiedene Fristen hergeschickt worden waren. Es waren: zwei Lesghier, ein Tschetschenze und drei Tataren aus dem Dagestan. Der Tschetschenze war ein düsteres, mürrisches Geschöpf; er sprach fast mit niemand und blickte immer gehässig mit gerunzelter Stirn und einem giftigen, höhnischen Lächeln um sich. Der eine Lesghier war ein Greis mit einer langen, feinen Hakennase und dem Aussehen eines richtigen Räubers. Dafür machte der andere Lesghier, Nurra, gleich vom ersten Tage an auf mich einen außerordentlich angenehmen Eindruck. Er war noch nicht alt, mittelgroß, herkulisch gebaut, ganz blond mit hellblauen Augen, einer Stupsnase, dem Gesicht einer alten Finnin und krummen Beinen, die er vom vielen Reiten hatte. Sein ganzer Körper war zerhauen und von Bajonetten und Kugeln verwundet. Auf dem Kaukasus gehörte er einem pazifizierten Stamme an, begab sich aber oft zu den nicht pazifizierten Bergbewohnern, mit denen er Überfälle auf die Russen machte. Im Zuchthause war er bei allen beliebt. Er war stets lustig, gegen alle freundlich, arbeitete, ohne zu murren, war heiter und ruhig, obwohl er sich oft über den ganzen Schmutz und die Gemeinheit des Arrestantenlebens empörte und über jeden Diebstahl, jede Gaunerei, Betrunkenheit und über alles, was unehrenhaft war, bis zur Wut aufregte; er fing aber niemals Streit an und wandte sich nur empört weg. Er selbst hatte während seines ganzen Zuchthauslebens keinen einzigen Diebstahl und überhaupt keine einzige schlechte Handlung begangen. Er war außerordentlich gottesfürchtig. Die Gebete verrichtete er äußerst gewissenhaft, hielt die Fasten vor den mohammedanischen Festen so streng wie ein Fanatiker und stand ganze Nächte im Gebet. Alle liebten ihn und glaubten an seine Ehrlichkeit. »Nurra ist ein Löwe,« pflegten die Arrestanten zu sagen, und dieser Name »Löwe« blieb ihm auch. Er war fest davon überzeugt, daß man ihn nach Abbüßung seiner Zuchthausstrafe wieder nach Hause, nach dem Kaukasus schicken würde, und lebte nur von dieser Hoffnung allein. Ich glaube, er wäre gestorben, wenn er diese Hoffnung verloren hätte. Er fiel mir gleich am ersten Tage meines Zuchthauslebens besonders auf. Sein gutmütiges, sympathisches Gesicht mußte auch unter den bösen, düsteren und spöttischen Gesichtern der übrigen Zuchthäusler auffallen. Gleich in der ersten halben Stunde nach meiner Ankunft im Zuchthause klopfte er mir im Vorbeigehen auf die Schulter und lächelte mir gutmütig zu. Anfangs konnte ich nicht begreifen, was das zu bedeuten hatte. Er konnte nur sehr schlecht russisch sprechen. Bald darauf ging er wieder auf mich zu und klopfte mir wieder freundlich lächelnd auf die Schulter. Das wiederholte er noch öfters, und so ging es drei Tage lang. Das bedeutete, wie ich erriet und später erfuhr, daß er mit mir Mitleid hatte, daß er fühlte, wie schwer mir die erste Bekanntschaft mit dem Zuchthause fiel und daß er mir seine Freundschaft beweisen, mich ermutigen und seiner Protektion versichern wollte. Der gute, naive Nurra!