»Hören Sie es?« wiederholte Filofej.
»Nun ja«, antwortete ich. »Es fährt irgendeine Equipage.«
»Hören Sie nicht … Es sind … Schellen … auch ein Pfeifen … Hören Sie es? Nehmen Sie doch die Mütze ab … dann werden Sie es besser hören.«
Ich nahm die Mütze nicht ab, spitzte aber die Ohren.
»Nun ja … kann sein. Was ist denn dabei?«
Filofej wandte das Gesicht den Pferden zu.
»Ein Bauernwagen fährt … leer, mit eisenbeschlagenen Rädern«, sagte er, die Zügel anziehend. »Herr, das sind keine guten Leute; hier in der Gegend von Tula kommen üble Sachen vor … oft …«
»Welch ein Unsinn! Warum glaubst du, daß es unbedingt keine guten Leute sein müssen?«
»Ich sage die Wahrheit. Mit Schellen … in einem leeren Wagen, wer denn soll so fahren?«
»Ist es noch weit bis Tula?«
»An die fünfzehn Werst werden es sein, und es ist keine Menschenwohnung in der Nähe.«
»Dann fahr schneller zu, wir wollen uns nicht aufhalten.«
Filofej schwang die Peitsche, und der Wagen rollte weiter.
Ich schenkte Filofej zwar keinen Glauben, konnte aber nicht einschlafen. – Was, wenn er recht hat? – Ein unangenehmes Gefühl regte sich in mir. – Ich setzte mich im Wagen auf – bis dahin hatte ich gelegen – und fing an, nach allen Seiten zu schauen. Während ich geschlafen hatte, war ein dünner Nebel aufgezogen – nicht auf der Erde, sondern am Himmel; er stand hoch, und der Mond hing in ihm als weißlicher Fleck wie in einer Rauchwolke. Alles schien dunkler und verschwommener, obwohl unten alles sichtbarer geworden war. Ringsum eine flache, öde Gegend: Felder, nichts als Felder, hier und da Sträucher, Gräben und dann wieder Felder, zum größten Teil brachliegend, mit dünnem Unkraut bewachsen. Leer, tot! Wenn doch wenigstens eine Wachtel aufschreien wollte …!
Wir fuhren etwa eine halbe Stunde. Filofej schwang fortwährend die Peitsche und schnalzte mit den Lippen, aber weder er noch ich versetzten ein Wort. Nun waren wir auf eine kleine Anhöhe hinaufgefahren … Filofej hielt die Troika an und sagte sogleich: »Es klopft … Herr, es klopft!«
Ich beugte mich wieder aus dem Wagen hinaus; ich hätte aber auch unter dem Verdeck bleiben können, so deutlich hörte ich jetzt, wenn auch noch in der Ferne, das Klopfen von Wagenrädern, ein Pfeifen, Schellengebimmel und sogar Pferdegetrabe; ich glaubte sogar Singen und Lachen zu hören. Der Wind kam allerdings aus der Richtung, aber es bestand kein Zweifel, daß die Unbekannten auf eine ganze Werst, vielleicht sogar auf zwei Werst naher gekommen waren. Ich wechselte mit Filofej Blicke – er rückte nur seinen Hut aus dem Nacken in die Stirne, beugte sich dann sofort vor und begann auf die Pferde einzuschlagen. Sie liefen Galopp, konnten aber nicht lange so laufen und verfielen wieder in Trab. Filofej schlug wieder auf sie ein. Wir mußten doch entrinnen!
Ich konnte mir nicht Rechenschaft darüber geben, warum ich, der ich die Befürchtungen Filofejs anfangs nicht geteilt hatte, diesmal plötzlich die Überzeugung gewann, daß hinter uns wirklich keine guten Leute fuhren … Dabei hatte ich doch nichts Neues vernommen: das gleiche Schellengeläute, das gleiche Klopfen eines unbeladenen Wagens, das gleiche Pfeifen, der gleiche verworrene Lärm … Jetzt zweifelte ich aber nicht mehr. Filofej konnte sich nicht geirrt haben!
Es vergingen wieder an die zwanzig Minuten … Im Laufe der letzten von diesen zwanzig Minuten hörten wir durch das Poltern und Klopfen unseres eigenen Wagens auch schon das andere Poltern und Klopfen.
»Filofej, halt an«, sagte ich, »jetzt ist es gleich, wir entkommen nicht mehr!« Filofej schrie den Pferden ängstlich zu. Die Pferde hielten augenblicklich, als freuten sie sich über die Möglichkeit, auszuruhen!
Gott! Die Schellen dröhnen dicht hinter unserem Rücken, der Bauernwagen klirrt und poltert, die Menschen pfeifen, schreien und singen, die Pferde schnauben und schlagen mit den Hufen die Erde …
Sie haben uns eingeholt!
»Ein Unglück«, versetzte Filofej gedehnt und halblaut. Dann schnalzte er unentschlossen mit den Lippen und trieb die Pferde an. Aber in diesem selben Augenblick war es, als risse sich etwas los, etwas brüllte und dröhnte, und ein riesengroßer, breiter Bauernwagen, mit einer Troika magerer Pferde bespannt, überholte uns wie der Wind, eilte voraus und fuhr dann im Schritt und versperrte uns so den Weg.
»So machen es immer die Räuber«, flüsterte Filofej.
Ich gestehe, mir stand das Herz still … Ich fing an, gespannt in das Halbdunkel des vom Nebel verhüllten Mondlichtes zu schauen. Im Wagen vor uns saßen oder lagen an die sechs Mann in Hemden und offenen Mänteln; zwei von ihnen hatten keine Mützen auf; die großen Füße in Stiefeln baumelten vom Wagen herab, die Arme hoben sich und fielen sinnlos herab … die Körper schwankten …
Es war klar: betrunkene Leute. Einige von ihnen brüllten, was ihnen gerade einfiel; einer pfiff durchdringend und außerordentlich hell, ein anderer fluchte. Auf dem Bock saß irgendein Riese in einem Halbpelz und lenkte die Pferde. Sie fuhren im Schritt und schienen uns keine Beachtung zu schenken.
Was war da zu machen? Wir fuhren auch im Schritt hinter ihnen her … wie wider unseren Willen.
Etwa eine Viertelstunde fuhren wir auf diese Weise. Die Erwartung war qualvoll … Entrinnen, uns verteidigen … daran durften wir gar nicht denken! Sie waren ihrer sechs, ich hatte aber nicht mal einen Stock bei mir! Umkehren? Sie werden uns aber gleich einholen. Mir fiel der Vers Schukowskijs ein (wo er von der Ermordung des Feldmarschalls Kamenskij spricht): Des feigen Mörders abscheuliches Beil …
Oder sie schnüren einem mit einem schmutzigen Strick den Hals zu … und werfen einen in den Graben … röchele dort und zappele wie ein Hase in der Falle …
Ach, es ist schlimm!
Sie aber fahren immer im Schritt und schenken uns keine Beachtung.
»Filofej!« flüsterte ich, »versuch einmal nach rechts zu fahren und sie zu überholen.«
Filofej versuchte es und fuhr nach rechts … aber auch sie fuhren sofort nach rechts … wir konnten unmöglich vorfahren.
Filofej machte noch einen Versuch und lenkte nach links … Aber sie ließen uns wieder nicht vorfahren. Sie lachten sogar. Sie wollten uns also nicht vorbeilassen.
»Es sind wirklich Räuber«, flüsterte mir Filofej über die Schulter zu.
»Worauf warten sie denn noch?« fragte ich gleichfalls im Flüsterton.
»Sehen Sie, dort vor uns, im Hohlweg, über dem Bach das Brückchen … Sie wollen uns dort … Sie machen es immer so … bei einer Brücke. Wir sind fertig, Herr!« fügte er mit einem Seufzer hinzu. »Sie werden uns kaum am Leben lassen; denn für sie ist die Hauptsache, daß alle Spuren verschwinden. Eines tut mir leid, Herr, hin ist mein Dreigespann, meine Brüder werden es nicht kriegen!«
Ich hätte mich vielleicht gewundert, daß Filofej in einem solchen Augenblick noch an seine Pferde denken konnte, aber ich muß gestehen, ich hatte andere Dinge im Sinn … Werden sie uns wirklich umbringen? fragte ich mich in Gedanken. Warum? Ich will ihnen ja alles geben, was ich habe.
Das Brückchen kam aber immer näher und wurde immer sichtbarer.
Plötzlich erklang ein durchdringendes Geschrei, die Troika vor uns bäumte sich, sauste und blieb, sobald sie das Brückchen erreicht hatte, mit einem Mal wie angewurzelt etwas abseits vom Weg stehen. Mir stand das Herz still.
»Ach, Bruder Filofej«, sagte ich, »wir beide fahren in den Tod. Verzeihe mir, wenn ich dich ins Verderben gezogen habe.«
»Du hast keine Schuld daran, Herr! Seinem Schicksal entrinnt man nicht! Nun, du Zottiger, mein treues Pferdchen«, wandte sich Filofej an das Mittelpferd, »lauf voraus, Bruder! Tu mir diesen letzten Dienst! Jetzt ist alles eins! Gott sei uns gnädig!« ,
Und er ließ seine Troika im Trab laufen. :
Wir näherten uns dem Brückchen und jenem unbeweglichen, unheildrohenden Wagen … In diesem war plötzlich alles, wie mit Absicht, still geworden. Kein Laut! So wird auch der Hecht, der Habicht und jedes Raubtier still, wenn die Beute sich nähert. Da sind wir schon neben dem Bauernwagen … der Riese im Halbpelz springt plötzlich heraus und geht gerade auf uns zu!