Выбрать главу

Ich sagte nichts zu Filofej, aber er zog sofort selbst die Zügel an. Mein Reisewagen blieb stehen.

Der Riese legte beide Hände auf den Wagenschlag, beugte seinen zottigen Kopf vor, grinste und sagte mit einer stillen, ruhigen Stimme, im Tonfall eines Fabrikarbeiters, folgendes: »Geehrter Herr, wir kommen von einem ehrlichen Mahle, von einer Hochzeit; wir haben einen Kameraden, einen forschen Burschen verheiratet, wir haben ihn zur Ruhe gebracht; wir sind lauter junge Burschen, verwegene Köpfe, haben viel getrunken, haben aber nichts, um uns nach dem Rausch zu stärken; wollen nicht Euer Gnaden uns ein wenig Geld spenden, damit sich ein jeder von uns ein Gläschen Schnaps kaufen kann? Wir würden für Ihr Wohl trinken und Euer Gnaden dabei gedenken; und wenn Sie nicht so gnädig sein wollen, so bitten wir, uns nicht zu zürnen!«

Was ist denn das? dachte ich mir. Spott? Verhöhnung?

Der Riese stand mit gesenktem Kopf. In diesem Augenblick kam der Mond aus dem Nebel heraus und beleuchtete sein Gesicht. Er lächelte mit den Augen und mit den Lippen. Von einer Drohung war nichts zu sehen … das ganze Gesicht drückte nur Erwartung aus … und seine Zähne waren so weiß und so groß …

»Mit Vergnügen … hier, nehmt …«, sagte ich schnell. Ich holte meinen Beutel aus der Tasche, nahm zwei Silberrubel heraus – damals gab es noch Silbergeld in Rußland. »Hier, wenn es genug ist.«

»Wir danken sehr!« rief der Riese auf Soldatenart, und seine dicken Finger entrissen mir im Nu nicht etwa den ganzen Beutel, sondern nur jene zwei Rubel. »Wir danken sehr!« Er schüttelte sein Haar und lief zu seinem Wagen.

»Kinder!« rief er. »Der Herr Reisende schenkt uns zwei Silberrubel!« Jene fingen zu schreien an … Der Riese schwang sich auf den Bock.

»Leben Sie wohl!«

Und schon zogen die Pferde an … der Wagen rasselte bergauf. Noch einmal wurde er auf dem dunklen Streifen, der die Erde vom Himmel trennt, sichtbar und verschwand …

Schon war vom Klopfen, vom Schreien und vom Schellengeläute nichts mehr zu hören …

Es wurde still wie im Grab.

Filofej und ich kamen nicht sogleich zur Besinnung.

»Ach, dieser Hanswurst!« sagte er plötzlich; er nahm den Hut ab und begann sich zu bekreuzigen. »Wirklich ein Hanswurst«, wiederholte er, sich mit freudiger Miene zu mir umwendend. »Er muß doch wirklich ein guter Mensch sein! – Hü, hü, meine Kleinen! Rührt euch! Ihr kommt heil davon! Wir bleiben alle heil! – Er war es doch, der uns nicht vorbeilassen wollte, er hat die Pferde gelenkt. So ein Hanswurst! – Hü, hü, hü! Mit Gott!«

Ich schwieg, aber auch mir wurde es leicht ums Herz.

»Wir bleiben heil!« wiederholte ich für mich selbst und streckte mich auf dem Heu aus. »Wir sind billig davongekommen!«

Ich schämte mich sogar etwas darüber, daß ich mich an den Vers Schukowskijs erinnert hatte.

Plötzlich kam mir ein Gedanke. »Filofej!«

»Was?«

»Bist du verheiratet?«

»Ja.«

»Hast auch Kinder?«

»Ja; ich habe auch Kinder.«

»Warum hast du nicht ihrer gedacht? Die Pferde taten dir leid, aber Frau und Kinder?«

»Warum sollten mir die leid tun? Sie wären doch nicht den Räubern in die Hände gefallen. Aber ich dachte die ganze Zeit an sie, und denke auch jetzt noch an sie …« Filofej schwieg eine Weile. »Vielleicht … vielleicht hat sich Gott um ihretwillen unser erbarmt.«

»Wenn es aber gar keine Räuber waren?«

»Wer kann das wissen? Kann man denn in eine fremde Seele hineinblicken? Eine fremde Seele ist dunkel. Mit Gott ist es immer besser. Nein … an meine Familie denke ich immer … Hü, hü, hü! Ihr meine Kleinen, mit Gott!«

Es war schon fast ganz hell, als wir uns Tula näherten. Ich lag im Halbschlummer.

»Herr«, sagte mir plötzlich Filofej, »schauen Sie, da halten sie vor der Schenke … es ist ihr Wagen.«

Ich hob den Kopf … sie waren es wirklich, ihr Wagen und ihre Pferde. Auf der Schwelle der Schenke erschien plötzlich der uns bekannte Riese im Halbpelz.

»Herr!« rief er, seine Mütze schwingend. »Wir vertrinken Ihr Geld! Du, Kutscher«, fügte er hinzu, mit dem Kopf auf Filofej weisend, »hast wohl Angst gekriegt, was?«

»Ein lustiger Kerl!« bemerkte Filofej, als wir zwanzig Klafter von der Schenke weg waren.

Endlich kamen wir nach Tula; ich kaufte mir Schrot, auch Tee; und Wein, schaffte mir sogar ein Pferd an. Um die Mittagsstunde fuhren wir zurück. Als wir an die Stelle kamen, wo wir hinter uns zum erstenmal das Klopfen des Wagens gehört hatten, fing Filofej, der, nachdem er in Tula ein wenig getrunken hatte, sich als sehr redselig herausstellte – er fing sogar an, mir Märchen zu erzählen – , fing Filofej plötzlich zu lachen an.

»Erinnerst du dich noch, Herr, wie ich dir sagte ›es klopft, es klopft, es klopft‹?«

Er schwang einigemal die Hand … Das Wort kam ihm wohl sehr amüsant vor.

Am gleichen Abend kehrten wir in sein Dorf zurück.

Ich erzählte unser Erlebnis Jermolai. Da er nüchtern war, zeigte er gar keine Teilnahme, er grinste nur, ob billigend oder tadelnd, das wußte er wohl selbst nicht. Aber zwei Tage später teilte er mir mit Freude mit, daß man in der gleichen Nacht, als ich mit Filofej nach Tula fuhr, auf derselben Straße einen Kaufmann ermordet und beraubt hatte. Ich wollte diese Nachricht anfangs nicht glauben; aber später mußte ich es doch – die Richtigkeit wurde mir von dem Pristaw bestätigt, der hinfuhr, um an der Untersuchung teilzunehmen. – War das vielleicht die ›Hochzeit‹, von der unsere Leute zurückkehrten, und hatten sie vielleicht diesen ›Burschen zur Ruhe gebracht‹, wie sich der lustige Riese ausdrückte?

Im Dorf Filofejs blieb ich noch an die fünf Tage. Sooft ich ihn traf, fragte ich ihn: »Nun, klopft es?«

»Ein lustiger Kerl!« antwortete er mir jedesmal und begann selbst zu lachen.

Epilog: Wald und Steppe

Dann aber zieht es seinen Wandersinn ins Dörfchen, in den dunklen Garten hin, wo hohe Linden reichen Schatten spenden, die Veilchen süße Düfte rings entsenden, wo runder Geisklee sich vom Damme biegt, hold in der Flut sein Blumenantlitz wiegt, auf fetter Trift die üpp'ge Eiche steht, der Zephir mild vom duft'gen Felde weht, dahin, dahin, ins lustige Gefild, wo sammetgleich die Erde farbig spielt, der Roggen sanft, so weit das Auge spähet, die schlanken, vollen Halme wehet – der Sonnenstrahl herabfällt, schwer und heiß, durch einen weißen, klaren Wolkenkreis – da ist es gut …

(Aus einem verbrannten Gedicht)

Der Leser ist vielleicht meiner Aufzeichnungen schon müde; ich beeile mich, ihn mit dem Versprechen zu beruhigen, daß ich mich auf die bisher gedruckten Bruchstücke beschränke; aber zum Abschied muß ich doch noch einige Worte über die Jagd sagen.

Die Jagd mit dem Gewehr und mit dem Hund ist schon ›für sich‹ gut, wie man in alten Zeiten zu sagen pflegte; aber nehmen wir an, Sie sind nicht zum Jäger geboren, aber Sie lieben die Natur und können folglich nicht umhin, unsereinen zu beneiden … Hören Sie zu.

Wissen Sie zum Beispiel, was für ein Genuß es ist, im Frühling vor Sonnenaufgang auszufahren? Sie treten vor das Haus … Am dunkelgrauen Himmel blinken hier und da die Sterne; ab und zu weht ein feuchter Wind; das verhaltene, undeutliche Flüstern der Nacht läßt sich vernehmen; die vom Schatten übergossenen Bäume rauschen leise. Man legt Ihnen einen Teppich in den Wagen, stellt eine Kiste mit dem Samowar zu Ihren Füßen hin. Die Seitenpferde krümmen sich, schnauben und heben zierlich ihre Beine; ein paar weiße Gänse, die eben erst erwacht sind, gehen langsam über den Weg. Hinter dem Zaun, im Garten, schnarcht friedlich der Wächter; jeder Laut scheint in der unbeweglichen Luft stehenzubleiben, ohne zu verhallen. Sie sind in den Wagen gestiegen; die Pferde haben sich in Bewegung gesetzt, laut poltert der Wagen … Sie fahren – Sie fahren an der Kirche vorbei, vom Hügel nach rechts über den Damm … Der Teich fängt eben zu dampfen an. Es ist Ihnen etwas kalt, Sie schlagen den Mantelkragen ins Gesicht; Sie sind schläfrig. Die Pferde klatschen mit den Hufen durch die Pfützen, der Kutscher pfeift. Da haben Sie schon an die vier Werst zurückgelegt … der Rand des Himmels rötet sich; in den Birken erwachen und regen sich schwerfällig die Saatkrähen; die Spatzen zwitschern um die dunklen Heuschober. Die Luft wird heller, die Straße sichtbarer, der Himmel klarer, die leichten Wolken schimmern weiß, die Felder grün. In den Bauernhäusern leuchtet mit rotem Schein der Kienspan, hinter den Toren klingen verschlafene Stimmen. Das Morgenrot glüht indessen auf; schon ziehen sich goldene Streifen über den Himmel hin, in den Schluchten ballen sich die Dämpfe; die Lerchen schmettern hell, der erste Morgenwind kommt gezogen, und langsam taucht die blutrote Sonne auf. Das Licht ergießt sich in einem Strome; Ihr Herz fährt auf wie ein Vogel. So frisch, so lustig, so schön! Weithin ist alles zu sehen. Da liegt hinter dem Wäldchen ein Dorf; etwas weiter ein anderes mit einer weißen Kirche, da ist ein Birkengehölz auf einer Anhöhe; hinter ihm der Sumpf, zu dem Sie fahren … Schneller, Pferde, schneller! Ihm Trabe vorwärts …! Es sind nur noch drei Werst geblieben, nicht mehr. Die Sonne steigt schnell, der Himmel ist klar … Es wird herrliches Wetter geben. Die Herde zieht aus dem Dorf Ihnen entgegen. Sie sind auf die Anhöhe hinaufgefahren … Diese Aussicht! Der Fluß windet sich wohl zehn Werst weit und schimmert in einem trüben Blau durch den Nebel; hinter ihm liegen wässerig-grüne Wiesen; hinter den Wiesen sanfte Hügel; in der Ferne kreisen Kiebitze schreiend über dem Sumpf; durch den feuchten Glanz, von dem die Luft erfüllt ist, hindurch wird die Ferne deutlich sichtbar … ganz anders als im Sommer. Wie frei atmet die Brust, wie schnell bewegen sich die Glieder, wie rüstig fühlt sich der ganze Mensch, vom frischen Hauch des Frühlings ergriffen …!