Und ein Sommermorgen im Juli! Wer, außer dem Jäger, hat es empfunden, wie schön es ist, beim Sonnenaufgang durch die Büsche zu streifen? Als grüner Strich liegt die Spur Ihrer Füße auf dem taubedeckten, weißglänzenden Gras. Sie biegen einen nassen Strauch auseinander, und der angesammelte warme Duft der Nacht weht Sie an; die Luft ist ganz durchtränkt von der frischen Bitterkeit des Wermuts, vom Honig des Buchweizens und des Waldklees; in der Ferne erhebt sich wie eine Mauer der Eichenwald und glänzt, von der Sonne gerötet; es ist noch frisch, aber man fühlt schon das Nahen der Hitze. Der Kopf schwindelt angenehm vor der Überfülle der Düfte. Das Gebüsch will kein Ende nehmen … Nur hier und da leuchtet in der Ferne gelb der reifende Roggen, in schmalen, rötlichen Streifen liegt der Buchweizen. Da knarrt ein Wagen; der Bauer fährt im Schritt und stellt das Pferd schon jetzt in den Schatten. Sie haben ihn begrüßt und sind weitergegangen, das laute Schwirren der Sense tönt hinter Ihnen. Die Sonne steigt immer höher und höher. Schnell trocknet das Gras. Schon ist es heiß geworden. Es vergeht eine Stunde, eine zweite … Der Himmel wird am Rande dunkler; die unbewegliche Luft atmet eine stechende Glut. – »Wo könnte ich hier trinken, Bruder?« fragen Sie den Schnitter. – »Hier in der Schlucht ist eine Quelle.« Sie steigen durch die dichten, von zähen Schlingpflanzen durchflochtenen Haselbüsche auf den Grund der Schlucht hinab. Es stimmt, dicht unter dem Abhang ist eine Quelle; ein Eichengebüsch streckt gierig seine breiten Äste über das Wasser aus; große silberne Blasen steigen schaukelnd vom Grund auf, der von einem feinen, samtweichen Moos bedeckt ist. Sie werfen sich auf die Erde, Sie haben schon getrunken, aber Sie sind zu faul, um ein Glied zu rühren. Sie liegen im Schatten, Sie atmen die duftige Feuchtigkeit, es ist Ihnen wohl; die Büsche gegenüber erglühen und scheinen in der Sonne gelb. Aber was ist das? Ein Windstoß kommt plötzlich gezogen und ist schon vorbei; die Luft ringsum erzittert; war es nicht ein Donner? Sie kommen aus der Schlucht heraus … was ist das für ein bleigrauer Streifen am Horizont? Macht es die Glut? Rückt eine Regenwolke heran …? Da zuckt aber schon ein schwacher Blitz … Eh, das ist ja ein Gewitter! Ringsum strahlt noch hell die Sonne, man kann noch jagen. Aber die Wolke wächst, ihr vorderer Rand streckt sich wie ein Ärmel vor und biegt sich zu einem Gewölbe. Das Gras, die Büsche, alles ist plötzlich dunkel geworden … Schneller! Dort scheint ein Heuschuppen zu stehen … schnell …! Sie haben ihn erreicht, Sie sind eingetreten … Ist das ein Regen! Sind das Blitze! Durch das Strohdach fallen hie und da Regentropfen auf das duftige Heu … Da strahlt aber die Sonne wieder. Das Gewitter ist vorübergezogen; Sie treten hinaus. Mein Gott, wie lustig glänzt alles ringsum, wie frisch und flüssig ist die Luft, wie duftet es nach Erdbeeren und Pilzen …!
Da bricht aber schon der Abend an. Das Abendrot glüht wie eine Feuersbrunst und hat den halben Himmel umfangen. Die Sonne geht unter. Die Luft ist in der Nähe ganz besonders durchsichtig, wie gläsern; in der Ferne senkt sich ein weicher Dunst, der warm erscheint; zugleich mit dem Tau fällt ein roter Schein auf die Wiesen, die erst eben von Strömen flüssigen Goldes übergossen waren; von den Bäumen, Sträuchern, den hohen Heuschobern fallen lange Schatten … Die Sonne ist untergegangen; ein Stern leuchtet auf und zittert im feurigen Meer des Westens … Da wird schon dieses Meer blaß; blau wird der Himmel; die einzelnen Schatten verschwinden; die Luft füllt sich mit Dämmerung. Es ist Zeit, nach Hause zu gehen, ins Dorf, ins Bauernhaus, in dem Sie übernachten. Das Gewehr über die Schulter geworfen, gehen Sie schnell trotz der Ermüdung … Indessen bricht die Nacht herein; in einer Entfernung von zwanzig Schritt ist nichts mehr zu sehen; die weißen Hunde sind im Dunkeln kaum zu unterscheiden. Da beginnt der Himmelsrand über den schwarzen Sträuchern sich aufzuhellen … Was ist das? Eine Feuersbrunst? Nein, es ist der aufgehende Mond. Unten rechts blinken schon die Lichter des Dorfes … Da ist auch endlich Ihr Quartier. Sie sehen durch das Fenster den mit einem weißen Tischtuch gedeckten Tisch, eine brennende Kerze, das Abendessen …
Oder man läßt sich einen Jagdwagen anspannen und fährt in den Wald auf die Haselhuhnjagd. So lustig ist es, sich auf dem schmalen Pfad zwischen den zwei Mauern des hohen Korns fortzubewegen. Die Ähren schlagen Sie leise ins Gesicht, die Kornblumen heften sich an Ihre Füße. Die Wachteln schreien ringsherum, das Pferd läuft in trägem Trab. Da ist auch schon der Wald. Schatten und Stille. Die schlanken Espen flüstern hoch über Ihnen; die langen, herabhängenden Zweige der Birken rühren sich kaum; der mächtige Eichbaum steht wie ein Kämpfer neben einer schönen Linde. Sie fahren auf einem grünen, von Schatten gesprenkelten Weg; große gelbe Fliegen hängen unbeweglich in der goldigen Luft und fliegen plötzlich davon; Mückenschwärme kreisen als eine Säule und scheinen im Schatten hell, in der Sonne aber dunkel; friedlich singen die Vögel. Die goldene Stimme der Grasmücke klingt in unschuldiger, geschwätziger Freude, sie paßt so gut zum Duft der Maiglöckchen. Immer weiter, weiter, tiefer in den Wald … Der Wald wird dichter … Eine unbeschreibliche Stille senkt sich in Ihre Seele; auch ringsum ist alles verträumt und still. Da kommt aber ein Wind, und die Wipfel rauschen wie herabfallende Wellen. Durch das vorjährige braune Laub wachsen hier und da hohe Halme empor; die Pilze stehen einzeln unter ihren Hüten. Plötzlich springt ein Hase hervor, der Hund stürzt ihm mit hellem Gebell nach …
Und wie schön ist dieser selbe Wald im Spätherbst, wenn die Waldschnepfen geflogen kommen! Sie halten sich nicht im Dickicht auf, man muß sie am Waldsaum suchen. Es ist kein Wind da, aber auch keine Sonne, kein Licht, kein Schatten, keine Bewegung, kein Geräusch; die milde Luft ist vom Herbstgeruch erfüllt, der an den Duft von Wein erinnert; ein feiner Nebel schwebt in der Ferne über den gelben Feldern. Durch die entblößten braunen Äste der Bäume hindurch schimmert weiß und friedlich der unbewegliche Himmel; an den Linden hängen hier und da die letzten goldenen Blätter. Die feuchte Erde scheint unter den Füßen elastisch; die hohen, trockenen Halme rühren sich nicht; lange Fäden glänzen auf dem verblichenen Gras. Ruhig atmet die Brust, aber eine seltsame Unruhe beschleicht das Herz. Man geht am Waldsaum entlang, beobachtet seinen Hund, indessen ziehen aber geliebte Bilder, geliebte Gesichter, tote und lebendige in den Sinn, die längst schlafenden Eindrücke erwachen unerwartet wieder; die Phantasie schwingt sich auf wie ein Vogel, und alles steht und bewegt sich so klar vor den Augen. Das Herz erzittert bald, es schlägt und strebt leidenschaftlich vorwärts und versinkt bald gänzlich in Erinnerungen. Das ganze Leben entrollt sich vor den Augen wie eine Schriftrolle; der Mensch hat dann seine ganze Vergangenheit, alle seine Gefühle und Kräfte, seine ganze Seele in seiner Gewalt. Und nichts stört ihn – keine Sonne, kein Wind, kein Geräusch …