Das heißt ›auf dem Schnepfenstrich stehen‹.
Also begab ich mich mit Jermolai auf den Schnepfenstrich; aber entschuldigen Sie, ich muß Sie erst mit Jermolai bekannt machen.
Stellen Sie sich einen Mann von etwa fünfundvierzig Jahren vor, großgewachsen, hager, mit einer langen und dünnen Nase, einer schmalen Stirn, kleinen grauen Augen, zerzausten Haaren und dicken, spöttischen Lippen. Dieser Mann trug Winter und Sommer einen gelblichen Nankingrock von deutschem Schnitt, doch mit einem Gürtel; dazu eine blaue Pluderhose und eine Lammfellmütze, die ihm in einer guten Stunde ein ruinierter Gutsbesitzer geschenkt hatte. Am Gürtel waren zwei Säcke angebunden; der eine vorn, kunstvoll in zwei Hälften geknüpft, für Pulver und für Schrot, der andere hinten für Wild; die Baumwolle für die Pfropfen holte sich Jermolai aus seiner eigenen, anscheinend unerschöpflichen Mütze. Er könnte wohl für das Geld, das er aus dem Verkauf des Wildes löste, sich eine Patronentasche und eine Jagdtasche kaufen, aber diese Anschaffung war ihm überhaupt nie in den Sinn gekommen, und er fuhr fort, sein Gewehr wie bisher zu laden, wobei er die Zuschauer durch die Kunst in Erstaunen setzte, mit der er der Gefahr, das Pulver zu verschütten oder es mit Schrot zu vermischen, aus dem Wege ging. Sein Gewehr hatte nur einen Lauf und ein Feuersteinschloß und dazu noch die üble Eigenschaft, stark zurückzuprallen, aus welchem Grunde Jermolais rechte Wange immer voller war als die linke. Wie er mit diesem Gewehr treffen konnte, begriff auch der Klügste nicht, aber er traf doch. Er hatte auch noch eine Hühnerhündin namens Valetka, ein sehr merkwürdiges Geschöpf. Jermolai fütterte sie niemals. »Fällt mir gar nicht ein, einen Hund zu füttern«, sagte er. »Außerdem ist der Hund ein kluges Tier und kann selbst Nahrung finden.« Und so war es auch in der Tat: Valetka setzte zwar einen selbst gleichgültigen Vorübergehenden durch ihre ungewöhnliche Magerkeit in Erstaunen, blieb aber doch am Leben und lebte lange; trotz ihrer unseligen Lage war sie sogar kein einziges Mal entlaufen und hatte auch nie den Wunsch geäußert, ihren Herrn zu verlassen. Einmal in ihren jungen Jahren war sie wohl, von Liebe hingerissen, für zwei Tage verschwunden, aber diese Dummheiten hatte sie schon längst aufgegeben. Die hervorragendste Eigenschaft Valetkas war ihre absolute Gleichgültigkeit gegen alles in der Welt … Wäre die Rede nicht von einem Hund, so hätte ich wohl den Ausdruck ›Blasiertheit‹ gewählt. Gewöhnlich saß sie, den kurzen Schwanz untergeschlagen, da, blickte finster drein, zuckte manchmal zusammen und lächelte niemals. (Die Hunde haben bekanntlich die Fähigkeit zu lächeln, sie machen es sogar sehr nett.) Sie war außerordentlich häßlich, und kein müßiger Vertreter des Hofgesindes ließ sich die Gelegenheit entgehen, giftige Bemerkungen über ihr Äußeres zu machen; Valetka ertrug aber allen Spott und sogar Schläge mit ungewöhnlicher Kaltblütigkeit. Ein besonderes Vergnügen gewährte sie den Köchen, die sofort ihre Arbeit liegenließen und ihr schreiend und schimpfend nachsetzten, wenn sie aus einer Schwäche, die nicht nur Hunden allein eigen ist, ihre hungrige Schnauze durch die halbgeöffnete Türe der verführerisch warmen und wohlriechenden Küche steckte. Auf der Jagd zeichnete sie sich durch Unermüdlichkeit aus und hatte eine recht gute Witterung; wenn sie aber einmal einen angeschossenen Hasen erwischte, so fraß sie ihn mit Genuß bis zum letzten Knöchelchen auf, irgendwo im kühlen Schatten, unter einem grünen Busch, in einer respektvollen Entfernung von Jermolai, der in allen bekannten und unbekannten Dialekten schimpfte.
Jermolai gehörte einem meiner Nachbarn, einem Gutsbesitzer von altem Schrot und Korn. Die Gutsbesitzer von altem Schrot und Korn mögen keine Schnepfen und halten sich an das Hausgeflügel. Höchstens in außergewöhnlichen Fällen wie bei Geburtstagen, Namenstagen und Adelswahlen schreiten die Köche solcher Gutsbesitzer zur Zubereitung der langschnäbeligen Vögel; sie geraten dabei in die dem russischen Menschen so eigene Rage und erfinden so komplizierte Zutaten, daß die Gäste zum größten Teil die aufgetischten Gerichte mit Neugierde und Aufmerksamkeit betrachten, sich aber nicht entschließen, von ihnen zu versuchen. Jermolai hatte den Auftrag, für die herrschaftliche Küche einmal monatlich zwei Paar Birkhühner und Rebhühner zu liefern, durfte aber im übrigen leben, wie er wollte und wovon er wollte. Man hatte ihn aufgegeben als einen zu keiner Arbeit fähigen Menschen, als einen Schwächling, wie man bei uns in Orjol sagt. Pulver und Schrot wurden ihm nicht geliefert, wobei man dieselbe Regel befolgte, nach der er seinen Hund nicht fütterte. Jermolai war ein Mensch von besonderem Schlag: sorglos wie ein Vogel, ziemlich geschwätzig, zerstreut und dem Aussehen nach unbeholfen. Er trank gerne über den Durst, hielt es niemals lange auf einem Platz aus, schlurrte und watschelte beim Gehen und legte dabei doch an die fünfzig Werst in vierundzwanzig Stunden zurück. Er hatte schon die verschiedenartigsten Abenteuer erlebt: in Sümpfen, auf Bäumen, auf Dächern, unter Brücken genächtigt, mehr als einmal in Kellern, Schuppen und auf Dachböden eingesperrt gesessen, oft sein Gewehr, seinen Hund und die notwendigsten Kleidungsstücke eingebüßt, reichliche und kräftige Prügel bekommen, war aber nach einiger Zeit doch immer gekleidet und mit Gewehr und Hund nach Hause zurückgekehrt. Man konnte ihn keinen lustigen Menschen nennen, obwohl er fast immer guter Laune war; er machte überhaupt den Eindruck eines Sonderlings. Jermolai schwatzte manchmal gerne mit einem guten Bruder, besonders bei einem Glas Schnaps, aber nicht zu lange; mitten im Gespräch stand er auf und ging. »Wo willst du denn hin, Teufel? Es ist ja Nacht.«
»Nach Tschaplino.«
»Was sollst du dich nach Tschaplino schleppen, es sind ja zehn Werst.«
»Ich will beim Bauern Sofron übernachten.«
»Übernachte doch hier.«
»Nein, es geht nicht.«
Und so geht Jermolai mit seiner Valetka in die finstere Nacht durch Gebüsch und Sumpf; der Bauer Sofron wird ihn aber vielleicht gar nicht hereinlassen und haut ihm vielleicht auch noch den Buckel volclass="underline" »Laß anständige Leute in Ruhe!« Dafür konnte sich niemand mit Jermolai in der Kunst messen, im Frühjahr bei Hochwasser Fische zu fangen, die Krebse mit den Händen herauszuholen, das Wild mit der Nase zu wittern, Wachteln heranzulocken, Habichte abzurichten, Nachtigallen mit der ›Teufelspfeife‹ und dem »Kuckucksüberschlag‹ zu fangen … Eines verstand er aber nicht: Hunde zu dressieren; dazu hatte er keine Geduld. Er hatte auch eine Frau. Einmal in der Woche besuchte er sie. Sie wohnte in einer elenden, halbzerfallenen Hütte, schlug sich mit knapper Not durch, wußte niemals, ob sie morgen satt zu essen haben werde, und hatte überhaupt ein bitteres Los. Jermolai, dieser sorglose und gutmütige Mensch, behandelte sie roh und grob und nahm bei sich zu Hause eine finstere und drohende Miene an; seine arme Frau wußte gar nicht, wie sie es ihm recht machen sollte, zitterte vor seinem Blick, kaufte ihm für die letzte Kopeke Schnaps und bedeckte ihn unterwürfig mit ihrem Schafpelz, wenn er sich majestätisch auf dem Ofen ausstreckte und zu schnarchen anfing. Ich selbst hatte mehr als einmal Gelegenheit, an ihm unwillkürliche Äußerungen einer seltsamen, düsteren Wut wahrzunehmen: So gefiel mir sein Gesichtsausdruck nicht, wenn er einem angeschossenen Vogel mit den Zähnen den Garaus machte. Jermolai blieb aber nie länger als einen Tag zu Hause; außerhalb des Hauses verwandelte er sich aber wieder in den Jermolka, wie man ihn hundert Werst im Umkreis und wie er sich auch selbst manchmal nannte. Der letzte Mann im Hausgesinde fühlte seine Überlegenheit über diesen Landstreicher und behandelte ihn vielleicht gerade aus diesem Grunde freundschaftlich; die Bauern pflegten ihn anfangs mit Hochgenuß wie einen Hasen im Feld zu hetzten und zu fangen, ließen ihn aber dann in Gottes Namen laufen, rührten ihn, wenn sie den Sonderling einmal erkannt hatten, nicht mehr an, gaben ihm sogar Brot und unterhielten sich mit ihm … Diesen Menschen nahm ich mir zum Jagdgehilfen und begab mich mit ihm auf den Schnepfenstrich in einen großen Birkenwald am Ufer der Ista.