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»Zuviel der Ehre«, murmelte die erstaunte Hausfrau. Der Gast legte den Hut ab, schüttelte die Locken, setzte sich neben Tatjana Borissowna und ergriff ihre Hand… »Das ist sie also«, begann sie mit versonnener und gerührter Stimme. »Das ist dieses gute, heitere, edle, heilige Geschöpf! Das ist sie! Diese einfache und zugleich so tiefe Frau! Wie freue ich mich, wie freue ich mich! Wie werden wir einander lieben! Ich werde endlich Ruhe finden … Ich habe sie mir gerade so vorgestellt«, fügte sie flüsternd hinzu. »Nicht wahr, Sie sind mir nicht böse, meine Gute, meine Liebe?«

»Bitte, bitte, ich freue mich sehr … Wollen Sie nicht Tee?«

Der Gast lächelte herablassend. »Wie wahr, wie unreflektiert«, flüsterte sie auf deutsch wie vor sich hin. »Erlauben Sie, daß ich Sie umarme, meine Liebe!«

Die alte Jungfer blieb bei Tatjana Borissowna volle drei Stunden und schwieg keinen Augenblick. Sie bemühte sich, ihrer neuen Bekannten ihre eigene Bedeutung zu erklären. Als der unerwartete Besuch gegangen war, begab sich die arme Gutsbesitzerin sofort in die Badestube, trank Lindenblütentee und legte sich ins Bett. Aber gleich am folgenden Tag kam die alte Jungfer wieder, blieb vier Stunden da und entfernte sich mit dem Versprechen, Tatjana Borissowna täglich zu besuchen. Es war ihr, sehen Sie, eingefallen, diese, wie sie sich ausdrückte, reiche Natur zu entwickeln und zu erziehen; sie hätte ihr wohl sicher den Garaus gemacht, wenn sie nicht, erstens, glücklicherweise schon nach zwei Wochen durch die Freundin ihres Bruders ›gänzlich‹ enttäuscht worden wäre; zweitens, wenn sie sich nicht in einen jungen durchreisenden Studenten verliebt hätte, mit dem sie sofort in einen lebhaften und energischen Briefwechsel trat; in ihren Episteln segnete sie ihn, wie es so üblich ist, zu einem heiligen und schönen Leben, brachte ›ihr ganzes Selbst‹ zum Opfer, verlangte nur den Namen einer Schwester, erging sich in Naturschilderungen, erwähnte Goethe, Schiller, Bettina und die deutsche Philosophie und brachte damit schließlich den armen Jüngling in düsterste Verzweiflung. Aber die Jugend behielt die Oberhand: Eines schönen Morgens erwachte er mit einem so wütenden Haß gegen seine ›Schwester und beste Freundin‹, daß er in seiner Erregung beinahe seinen Kammerdiener geprügelt hätte und noch lange Zeit nachher bei der bloßen Anspielung auf eine erhabene und uneigennützige Liebe die Leute beinahe biß … Tatjana Borissowna vermied aber seitdem noch mehr jede Annäherung an ihre Nachbarinnen.

Aber ach, nichts ist auf Erden von Dauer! Alles, was ich Ihnen vom Leben und Treiben der guten Gutsbesitzerin erzählt habe, gehört der Vergangenheit an; die Stille, die in ihrem Hause herrschte, ist für alle Ewigkeit gestört. Jetzt lebt bei ihr schon über ein Jahr ihr Neffe, ein Maler aus Petersburg. Das geschah folgendermaßen.

Vor etwa acht Jahren lebte bei Tatjana Borissowna ein zwölfjähriger Waisenknabe, Andrjuscha, der Sohn ihres verstorbenen Bruders. Andrjuscha hatte große, klare, feuchtglänzende Augen, einen kleinen Mund, eine regelmäßige Nase und eine herrliche gewölbte Stirne. Er sprach mit leiser, süßer Stimme, hielt sich reinlich und manierlich, war liebenswürdig und dienstfertig gegen die Gäste und küßte mit der Zärtlichkeit eines Waisenkindes seinem Tantchen die Hand. Man war noch nicht ganz ins Zimmer getreten, als er schon einen Sessel herbeitrug. Unarten kamen bei ihm nie vor: Er macht kein Geräusch, sitzt in seinem Winkel mit einem Buch so still und bescheiden und wagt kaum, sich an die Stuhllehne zurückzulehnen. Der Gast tritt ein – mein Andrjuscha erhebt sich sofort, lächelt artig und errötet; geht der Gast fort, so setzt er sich wieder hin, holt aus der Tasche ein Bürstchen mit einem Spiegel und bringt sein Haar in Ordnung. Von frühester Kindheit auf zeigte er Lust zum Zeichnen. Wenn ihm ein Blatt Papier in die Hände fiel, erbat er sich sogleich von der Haushälterin Agafja eine Schere, schnitt aus dem Papier ein regelmäßiges Viereck aus, zeichnete eine Einfassung rundherum und machte sich an die Arbeit: Er zeichnete ein Auge mit einer ungeheuren Pupille oder eine griechische Nase oder ein Haus mit einem Schornstein und schraubenförmig aufsteigendem Rauch, einen Hund en face, der einer Bank ähnlich sah, einen Baum mit zwei Täubchen und schrieb darunter: ›Gezeichnet von Andrej Bjelowsorow an dem, und dem Datum, in dem und dem Jahr im Dorfe Malyja-Bryki.‹ Mit besonderem Eifer mühte er sich zwei Wochen vor dem Namenstag Tatjana Borissownas ab; er erschien als erster Gratulant und überreichte ihr eine mit einem rosa Bändchen umbundene Rolle. Tatjana Borissowna küßte den Neffen auf die Stirn und löste das Bändchen; das Papier entrollte sich und bot dem neugierigen Blick des Beschauers einen runden, geschickt schattierten Tempel mit Säulen und einem Altar in der Mitte; auf dem Altar flammte ein Herz und lag ein Kranz; darüber stand auf einem verschlungenen Band mit deutlichen Buchstaben: ›Meiner Tante und Wohltäterin Tatjana Borissowna Bogdanowa von ihrem respektvollen und liebenden Neffen als Zeichen der tiefsten Anhänglichkeit.‹ Tatjana Borissowna küßte ihn wieder und schenkte ihm einen Silberrubel. Große Anhänglichkeit fühlte sie ihm gegenüber aber nicht: Die Unterwürfigkeit Andrjuschas gefiel ihr nicht sehr. Andrjuscha wuchs indessen heran; Tatjana Borissowna machte sich schon Sorgen wegen seiner Zukunft. Ein unerwarteter Zufall enthob sie dieser Schwierigkeit…

Es kam so: Einmal, vor acht Jahren, kam zu ihr ein gewisser Pjotr Michailytsch Benewolenskij, Kollegienrat und Ritter verschiedener Orden. Her Benewolenskij war einmal in der nächsten Kreisstadt Beamter gewesen und hatte damals Tatjana Borissowna fleißig besucht; später zog er nach Petersburg, kam ins Ministerium, erlangte einen ziemlich hohen Posten und erinnerte sich bei einer seiner häufigen Dienstreisen seiner alten Bekannten; so besuchte er sie mit der Absicht, einige Tage ›im Schoß der ländlichen Stille‹ von seinen dienstlichen Sorgen auszuruhen. Tatjana Borissowna empfing ihn mit ihrer gewöhnlichen Herzlichkeit, und Herr Benewolenskij… Aber bevor wir in unserer Erzählung fortfahren, erlauben Sie mir, lieber Leser, Sie mit dieser neuen Person bekannt zu machen.

Herr Benewolenskij war ein ziemlich dicker Mann von mittlerem Wuchs, etwas schwammig, mit kurzen Beinchen und vollen Händchen; er trug einen weiten und außerordentlich sauberen Frack, eine hohe und breite Halsbinde, schneeweiße Wäsche, eine goldene Uhrkette auf der seidenen Weste, einen Ring mit einem Stein auf dem Zeigefinger und eine blonde Perücke; er sprach überzeugend und mild und trat leise auf, lächelte angenehm, blickte angenehm um sich und vergrub das Kinn angenehm in die Halsbinde; er war überhaupt ein angenehmer Mensch. Gott hatte ihn auch mit einem guten Herzen gesegnet: Er weinte und begeisterte sich leicht; er war von einer flammenden, uneigennützigen Leidenschaft für die Kunst beseelt, und diese Leidenschaft war wirklich uneigennützig, denn gerade von der Kunst verstand Herr Benewolenskij, um die Wahrheit zu sagen, gar nichts. Es ist sogar erstaunlich, woher und kraft welcher geheimnisvollen und unbegreiflichen Gesetze diese Leidenschaft in ihm entstanden war. Ich glaube, er war ein positiver und sogar tüchtiger Mann … Übrigens haben wir in Rußland genug Leute, von diesem Schlag.