O komm zu mir, Geliebter mein, vergebens ist mein Sehnen;
O komm zu mir, Geliebter mein, es fließen meine Tränen …
Doch wenn du kommst, Geliebter mein, dann wird es wohl zu späte sein!«
Tatjana Borissowna lächelte schelmisch.
»Ich la-aide, ich la-aide!« heulte im Nebenzimmer der Neffe.
»Hör doch schon auf, Andrjuscha!«
»Mein Herz verschmachtet vor Sehnsucht!« fuhr der unermüdliche Sänger fort.
Tatjana Borissowna schüttelte den Kopf.
»Ach, diese Künstler!«
Es ist seitdem ein Jahr vergangen. Bjelowsorow wohnt noch immer bei seinem Tantchen und redet immer von seiner Absicht, nach Petersburg zu gehen. Auf dem Lande ist er noch dicker geworden. Die Tante, wer sollte es glauben, vergöttert ihn, und die Mädchen in der Nachbarschaft verlieben sich in ihn …
Viele von den früheren Bekannten haben aufgehört, Tatjana Borissowna zu besuchen.
Der Tod
Einer meiner Nachbarn ist junger Landwirt und junger Jäger. An einem schönen Julimorgen ritt ich zu ihm, um ihm vorzuschlagen, mit mir auf die Birkhuhnjagd zu gehen. Er willigte ein. »Aber wollen wir vorher«, sagte er, »durch meinen jungen Wald zur Suscha reiten; ich will mir bei dieser Gelegenheit Tschaplygino ansehen; kennen Sie meinen Eichenwald? Er wird gerade abgeholzt.« – »Gut, reiten wir hin.« Er ließ sein Pferd satteln, zog ein grünes Röckchen mit Bronzeknöpfen, auf denen Eberköpfe dargestellt waren, an, hing eine gestickte Jagdtasche und eine silberne Feldflasche um, warf sich eine nagelneue französische Flinte über die Schulter, drehte sich nicht ohne Selbstgefälligkeit vor dem Spiegel und rief seinen Jagdhund Esperence, das Geschenk einer Kusine, einer alten Jungfer, die ein gutes Herz, aber keine Haare hatte. Wir machten uns auf den Weg. Mein Nachbar nahm seinen Zehentmann Archip mit, einen dicken, untersetzten Bauern mit viereckigem Gesicht und vorsintflutlich entwickelten Backenknochen, und den Gutsverwalter, den er vor kurzem aus den Ostseeprovinzen verschrieben hatte, einen etwa neunzehnjährigen, hageren, blonden, kurzsichtigen Jüngling mit abfallenden Schultern und langem Hals, Herrn Gottlieb von der Kock. Mein Nachbar war erst vor kurzem Besitzer des Gutes geworden. Es war ihm als Erbschaft von seiner Tante, der Staatsrätin Kardon-Katajewa, zugefallen, einer ungewöhnlich dicken Frau, die selbst im Bett liegend dauernd und jämmerlich ächzte. Wir kamen in den jungen Wald.
»Warten Sie hier auf dieser Waldwiese«, sagte Ardalion Michailytsch (so hieß mein Nachbar), sich an seine Begleiter wendend. Der Deutsche verbeugte sich, stieg vom Pferd, zog ein Buch aus der Tasche, ich glaube einen Roman der Johanna Schopenhauer, und setzte sich unter einen Strauch; Archip blieb in der Sonne und stand während einer ganzen Stunde regungslos. Wir strichen durch das Gebüsch und stießen auf keine einzige Brut. Ardalion Michailytsch, erklärte, daß er die Absicht habe, sich in den Wald zu begeben. Auch ich selbst glaubte an jenem Tag nicht recht an das Jagdglück und schlenderte ihm nach. Wir kehrten zur Lichtung zurück. Der Deutsche merkte sich die Seite in seinem Buch, stand auf, steckte es in die Tasche und bestieg nicht ohne Mühe seine ausrangierte Stute mit dem kurzen Schweif, die bei der geringsten Berührung wieherte und ausschlug; Archip fuhr zusammen, zupfte an beiden Zügeln zugleich, schlenkerte mit den Beinen und brachte endlich seinen bestürzten und niedergedrückten Klepper von der Stelle. Wir ritten weiter.
Der Wald Ardalion Michailytschs war mir seit meiner Kindheit bekannt Mit meinem französischen Hofmeister, M. Désiré Fleury, einem herzensguten Menschen (der übrigens meine Gesundheit beinahe für immer ruiniert hatte, indem er mir jeden Abend die Leroysche Medizin eingab), pflegte ich oft nach Tschaplygino zu kommen. Dieser ganze Wald bestand aus nur zwei- oder dreihundert mächtigen Eichen und Eschen. Ihre gewaltigen Stämme zeichneten sich wunderbar schwarz von dem goldig-durchsichtigen Grün der Haselbüsche und Ebereschen ab; sie stiegen in die Höhe, hoben sich schlank vom heiteren Blau ab und breiteten erst dort oben ihre knorrigen Äste zu einem Zelt aus; Habichte, Falken, Bussarde schwebten pfeifend über den unbeweglichen Baumwipfeln, bunte Spechte hämmerten laut auf ihre dicke Rinde; das helle Lied der Amsel erklang plötzlich im dichten Laub gleich nach dem trillernden Gesang des Pirol; unten im Gebüsch zwitscherten und sangen Grasmücken, Zeisige und Laubvögelchen; Finken liefen schnell über die Wege; der Hase schlich am Rande der Lichtung; das rotbraune Eichhörnchen sprang flink von Baum zu Baum und setzte sich plötzlich, den Schweif über den Kopf hebend. Im Grase, neben dem hohen Ameisenhaufen, unter dem leichten Schatten der schöngezackten Farnkrautblätter, blühten Veilchen und Maiglöckchen, wuchsen Täublinge, Hirschlinge, Pfefferschwämme, Eichpilze und rote Fliegenschwämme; in den Lichtungen zwischen den breiten Büschen leuchteten rote Erdbeeren … Und was für ein Schatten herrschte in diesem Wald! In der stärksten Mittagsglut war hier vollkommene Nacht: Stille, Duft, Frische … Lustig hatte ich damals die Zeit in Tschaplygino verbracht, und darum ritt ich jetzt, offen gestanden, nicht ohne ein trauriges Gefühl in diesen mir allzugut bekannten Wald hinein. Der verheerende, schneelose Winter des Jahres 1840 hatte meine alten Freunde, die Eichen und Eschen, nicht verschont; verdorrt, entblößt, nur hier und da mit schwindsüchtigem Grün bedeckt, erhoben sie sich traurig über das junge Gehölz, das ›an ihre Stelle trat, ohne sie zu ersetzen‹. Einige Bäume, die unten noch mit Blättern bewachsen waren, hoben wie vorwurfsvoll und verzweifelt ihre leblosen, zerbrochenen Äste in die Höhe; bei den anderen ragten aus dem noch ziemlich dichten, aber nicht mehr üppig wuchernden Laub dicke, trockene tote Zweige hervor; einige verloren ihre Rinde; andere schließlich waren ganz umgefallen und faulten wie Leichen auf der Straße. Wer hätte das voraussehen können: In Tschaplygino konnte man nirgends Schatten finden! Was, dachte ich mir, auf die sterbenden Bäume sehend, es muß euch wohl schwer und bitter zumute sein …! Ich mußte an Kolzow denken:
Sprich, o Wald, wo blieb dein gewaltig Wort?
Wo die stolze Kraft? Wo der Königsmut?