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Nikolai Iwanytsch, einst ein schlanker, lockiger und rotbackiger Bursche, jetzt aber ein ungewöhnlich dicker, schon ergrauter Mann mit fettem, aufgedunsenem Gesicht, listig gutmütigen Äuglein und einer fleischigen Stirne, die von Runzeln wie von Fäden durchzogen ist, lebt schon länger als zwanzig Jahre in Kolotowka. Nikolai Iwanytsch ist, wie die meisten Schenkwirte, ein rühriger und kluger Mann. Ohne sich durch besondere Liebenswürdigkeit oder Gesprächigkeit auszuzeichnen, hat er die Gabe, die Gäste anzuziehen und festzuhalten, und diesen ist es irgendwie angenehm, vor seinem Schenktisch, unter dem ruhigen und freundlichen, wenn auch scharfen Blick des phlegmatischen Wirtes zu sitzen. Er hat viel gesunden Menschenverstand; er kennt gut die Lebensverhältnisse der Gutsbesitzer, auch der Bauern und der Kleinbürger; in schwierigen Fällen könnte er wohl einen gar nicht dummen Rat geben, aber als vorsichtiger Egoist zieht er es doch vor, sich in nichts einzumischen und nur durch entfernte, gleichsam ohne jede Absicht hingeworfene Andeutungen seine Gäste – und zwar nur die von ihm bevorzugten – auf den richtigen Weg zu leiten. Er versteht sich auf alles, was einem Russen wichtig oder interessant ist: auf Pferde und Vieh, auf Wald, Ziegelsteine und Geschirr, auf Leder- und Schnittwaren, auf Gesang und Tanz. Wenn er keinen Besuch hat, sitzt er gewöhnlich wie ein Sack auf der Erde vor der Tür seines Hauses, die dünnen Beinchen untergeschlagen, und wechselt mit allen Vorübergehenden freundliche Worte. Vieles hat er in seinem Leben gesehen und manches Dutzend kleiner Edelleute überlebt, die sich von ihm ›gereinigten‹ Branntwein holten; er weiß alles, was hundert Werst im Umkreis geschieht, verplaudert sich aber nie und zeigt nicht einmal die Miene, daß ihm manches bekannt ist, was selbst der scharfsichtigste Polizeibeamte nicht vermutet. Er schweigt nur, lächelt und hantiert mit seinen Schnapsgläsern. Die Nachbarn achten ihn: Der Zivilgeneral Schtscherepetenko, der im Range am höchsten stehende Gutsbesitzer des Kreises, grüßt ihn herablassend, sooft er an seinem Häuschen vorüberfährt. Nikolai Iwanytsch ist ein einflußreicher Mann; einmal zwang er einen bekannten Pferdedieb, ein Pferd zurückzugeben, das jener aus dem Hof eines seiner Bekannten gestohlen hatte; ein anderes Mal brachte er die Bauern eines Nachbargutes, die einen neuen Verwalter nicht aufnehmen wollten, zur Vernunft usw. Übrigens glaube man ja nicht, daß er es aus Liebe für die Gerechtigkeit, aus Eifer für seine Nächsten getan habe, nein! Er bemühte sich einfach, alles zu verhüten, was irgendwie seine Ruhe stören konnte. Nikolai Iwanytsch ist verheiratet und hat Kinder. Seine Frau, eine flinke Kleinbürgerin mit spitzer Nase und lebhaften Augen, ist in der letzten Zeit gleich ihrem Manne etwas zu dick geworden. Er verläßt sich auf sie in allen Dingen, und sie hat das Geld in Verwahrung. Die lärmenden Betrunkenen fürchten sie; sie mag sie nicht; sie bringen wenig ein, machen aber viel Geschrei; die Schweigsamen und Düsteren sind mehr nach ihrem Geschmack. Die Kinder Nikolai Iwanytschs sind noch klein; die ersten waren früh gestorben, die übriggebliebenen aber den Eltern nachgeartet, es ist ein Vergnügen, die klugen Gesichter dieser gesunden Kinder anzuschauen.

Es war ein unerträglich heißer Julitag, als ich, langsam die Beine bewegend, mit meinem Hund an der Kluft von Kolotowka entlang zu der Pritynnyj-Schenke hinaufging. Die Sonne brannte am Himmel wie wütend, es war drückend schwül, und die Luft war von glühendem Staub erfüllt. Die glänzenden Krähen und Dohlen blickten die Vorbeigehenden mit offenen Schnäbeln an, als flehten sie um Teilnahme; die Spatzen allein jammerten nicht und zwitscherten mit gesträubten Federn noch lauter als zuvor; sie kämpften an den Zäunen, flogen haufenweise von der staubigen Straße auf und schwebten als graue Wolken über den grünen Hanffeldern. Mich quälte der Durst. In der Nähe gab es kein Wasser; in Kolotowka, wie in den meisten Steppendörfern, trinken die Bauern in Ermangelung von Quellen und Brunnen einen flüssigen Schmutz aus dem Teich … Wer wird aber dieses ekelhafte Getränk Wasser nennen? Ich wollte mir von Nikolai Iwanytsch ein Glas Bier oder Kwaß geben lassen.

Aufrichtig gesagt, bietet Kolotowka zu gar keiner Jahreszeit einen erfreulichen Anblick; einen besonders traurigen Eindruck macht aber das Dorf, wenn die grelle Julisonne mit ihren erbarmungslosen Strahlen die braunen, halbzerfallenen Hausdächer übergießt, diese tiefe Kluft, die verbrannte, staubige Viehweide, auf der hoffnungslos einige magere, langbeinige Hühner herumirren, das graue Gehäuse aus Espenbalken mit Löchern statt Fenster – den von Brennesseln, Steppengras und Wermut überwucherten Überrest des einstigen Herrenhauses, den mit Gänseflaum bedeckten, schwarzen, gleichsam glühenden Teich mit seinem Saum aus halbeingetrocknetem Schmutz und seinem Damm, der sich auf die Seite geneigt hat und neben dem auf der feinzerstampften, aschgrauen Erde sich die Schafe, vor Hitze niesend und kaum atmend, traurig aneinanderdrängen und die Köpfe geduldig so tief wie möglich senken, als ob sie warteten, daß diese unerträgliche Hitze endlich aufhöre. Mit müden Schritten näherte ich mich der Behausung Nikolai Iwanytschs und erregte durch mein Erscheinen, wie gewöhnlich, bei den Kindern ein Erstaunen, das an gespanntes, sinnloses Starren grenzte, und bei den Hunden eine Entrüstung, die sich in einem dermaßen heiseren und bösen Gebell äußerte, daß man den Eindruck hatte, als rissen sie sich alle ihre Eingeweide heraus, und daß sie selbst dann husteten und um Atem rangen, als plötzlich auf der Schwelle der Schenke ein Mann von hohem Wuchs erschien, ohne Mütze, in einem Friesmantel, der tief unten von einem blauen Gürtel zusammengehalten war. Dem Aussehen nach mochte er dem leibeigenen Hofgesinde angehören; das dichte graue Haar erhob sich unordentlich über dem trockenen, runzligen Gesicht.

Er rief, jemandem, indem er schnell mit den Armen winkte – wobei er augenscheinlich viel weiter ausholte, als er es selbst wollte. Es war ihm anzusehen, daß er schon etwas getrunken hatte.

»Komm doch, komm!« lallte er, mit Mühe seine dichten Brauen hebend. »Komm, Morgatsch, komm! Wie schleppst du dich bloß, Bruder! Das ist nicht schön, Bruder. Man wartet hier auf dich, und du schleppst dich so … Komm!«

»Nun, ich komme, ich komme«, erklang eine zitternde Stimme, und rechts hinter dem Haus erschien ein kleiner dicker und hinkender Mann. Er trug eine ziemlich saubere Tuchjoppe, die auf einem Ärmel angezogen war; die hohe, spitze Mütze, die ihm dicht über den Brauen saß, verlieh seinem runden und gedunsenen Gesicht einen listigen und spöttischen Ausdruck. Seine kleinen gelben Augen schweiften umher, die feinen Lippen umspielte ein gespanntes, gezwungenes Lächeln, und die spitze, lange Nase ragte frech wie ein Steuerruder aus seinem Gesicht. »Ich komme, Liebster«, fuhr er fort, indem er auf die Schenke zuhumpelte. »Warum rufst du mich …? Wer wartet auf mich?«

»Warum ich dich rufe?« sagte vorwurfsvoll der Mann in dem Friesmantel. »Was bist du für ein merkwürdiger Mensch, Morgatsch; man ruft dich in die Schenke, und du fragst, wozu. Auf dich warten aber lauter gute Menschen: Jaschka, der Türke, der Wilde Herr, und der Bauführer aus Schisdra. Jaschka und der Bauführer haben miteinander gewettet um ein Achtel Bier: wer den anderen besiegt, das heißt, wer besser singt … verstehst du?«

»Wird Jaschka singen?« fragte der Mann, den man Morgatsch nannte, lebhaft. »Lügst du auch nicht, Obaldui?«