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»In Moskau könnten Sie ja auch gar nicht auf die Jagd gehen.«

»Nein, wozu auch? Habe ich mich nicht zu beherrschen verstanden, so muß ich jetzt leiden. Gestatten Sie lieber die Frage: Ist das Leben in Moskau teuer?«

»Nein, nicht sehr.«

»Nicht sehr …? Sagen Sie, in Moskau gibt es doch Zigeuner?«

»Was für Zigeuner?«

»Die auf den Jahrmärkten herumreisen?«

»Ja, die leben in Moskau …«

»Nun, das ist gut. Ich liebe die Zigeuner, hol' mich der Teufel, ich liebe sie …«

Die Augen Pjotr Petrowitschs leuchteten vor verwegener Lust. Aber plötzlich rückte er auf seiner Bank unruhig hin und her, wurde dann nachdenklich, senkte den Kopf und hielt mir sein leeres Glas hin.

»Geben Sie mir mal von Ihrem Rum«, sagte er.

»Aber es ist kein Tee mehr da!«

»Macht nichts, ich trinke ihn ohne Tee … Ach!«

Karatajew legte den Kopf auf die Hände und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Tisch. Ich sah ihn schweigend an und erwartete schon jene Gefühlsausbrüche, vielleicht sogar jene Tränen, mit denen ein angetrunkener Mensch zu freigebig ist; als er aber den Kopf hob mußte ich über den tief traurigen Ausdruck seines Gesichts staunen.

»Was ist Ihnen?«

»Es ist nichts … ich dachte an die alten Zeiten. Es ist so eine Anekdote … Ich würde sie Ihnen erzählen, aber ich schäme mich, Sie zu belästigen …«

»Aber erlauben Sie!«

»Ja«, fuhr er mit einem Seufzer fort, »es gibt solche Fälle … zum Beispiel auch mit mir. Wenn Sie wollen, erzähle ich es Ihnen. Übrigens weiß ich nicht …«

»Erzählen Sie doch, liebster Pjotr Petrowitsch.«

»Meinetwegen, obwohl es auch … Sehen Sie«, begann er, »aber ich weiß wirklich nicht …«

»Aber machen Sie doch keine Umstände, liebster Pjotr Petrowitsch!«

»Nun, meinetwegen. Mit mir ist also sozusagen folgendes passiert. Ich lebte auf dem Land … Plötzlich fiel mir ein Mädchen auf, ach, war das ein Mädchen … schön, klug und so gut! Sie hieß Matrjona. Sie war aber ein einfaches Mädel, das heißt, Sie verstehen, eine leibeigene Magd. Das Mädel gehörte auch nicht mir, sondern wem anders, das war das Unglück. Nun, ich verliebte mich in sie – wirklich solch eine Anekdote – , auch sie sich in mich. So fing mich Matrjona zu bitten an: Ich solle sie von ihrer Herrin loskaufen; ich hatte auch schon selbst daran gedacht … Ihre Herrin war aber eine reiche, schreckliche alte Schachtel; sie wohnte an die fünfzehn Werst von mir entfernt. Eines schönen Tages, wie man so sagt, ließ ich mir also meine Troika anspannen – zum Mittelpferd hatte ich einen Paßgänger, einen wilden Asiaten, dafür hieß er auch Lampurdos – , kleidete mich etwas besser an und fuhr zu Matrjonas Herrin … Ich komme an – ein großes Haus mit Nebenflügeln und einem Garten … Matrjona hatte mich an der Straßenbiegung erwartet, wollte mit mir sprechen, küßte mir aber nur die Hand und trat auf die Seite. Ich komme ins Vorzimmer und frage: ›Zu Hause …?‹ Ein langer Lakai antwortet mir: ›Wen darf ich anmelden?‹ Ich sage ihm: ›Melde, mein Bester, der Gutsbesitzer Karatajew sei gekommen, um ein Geschäft zu besprechen.‹ Der Lakai ging. Ich warte und denke mir: Was wird wohl werden? Die Bestie wird wohl ein Heidengeld verlangen und wenn sie auch noch so reich ist. Sie fordert vielleicht an die fünfhundert Rubel. Endlich kommt der Lakai zurück und sagt: ›Bitte.‹ Ich folge ihm ins Gastzimmer. In einem Lehnstuhl sitzt eine kleine gelbliche Alte und zwinkert mit den Augen. ›Was wünschen Sie?‹ – Ich hielt es, wissen Sie, für nötig, ihr zuerst zu erklären, daß ich mich freue, ihre Bekanntschaft zu machen. – »Sie irren sich, ich bin nicht die Gutsbesitzerin, sondern nur eine Verwandte … Was wünschen Sie?‹ – Ich bemerkte ihr sogleich, daß ich die Dame selbst sprechen müsse. – ›Marja Iljinitschna empfängt heute nicht, sie ist nicht wohl…. Was wünschen Sie?‹ – Nichts zu machen, sagte ich mir, ich will ihr mein Anliegen sagen. Die Alte hörte mich an. – ›Matrjona? Was für eine Matrjona?‹ – »Matrjona Fjodorowna, die Tochter Kuliks.‹ – ›Fjodor Kuliks Tochter … Sie kennen sie also?‹ – »Ganz zufällige – ›Ist ihr Ihre Absicht bekannt?‹ – ›Ja.‹ – Die Alte schwieg. – ›Ich will die Niederträchtige …!‹ – Ich war, offen gestanden, erstaunt. – ›Warum denn, ich bitte Sie …! Ich bin bereit, für sie den Betrag zu erlegen, den Sie bestimmen.‹ – Die alte Hexe zischte nur so. – ›Damit glauben Sie, uns zu blenden? Was brauchen wir Ihr Geld …! Aber ihr werde ich es schon zeigen … ich will ihr den Unsinn aus dem Kopf schlagen.‹ – Die Alte bekam vor Wut einen Hustenanfall. – ›Hat sie es etwa schlecht bei uns…? Ach, diese Teufelsdirne, Gott verzeih' meine Sünde!‹ – Ich fuhr, offen gestanden, auf. – ›Warum drohen Sie so dem armen Mädel? Was hat sie verbrochen?‹ – Die Alte bekreuzigte sich. – ›Ach du lieber Gott, habe ich denn …‹ – ›Sie gehört ja gar nicht Ihnen!‹ – ›Das weiß Marja Iljinitschna am besten, es ist nicht Ihre Sache, Väterchen; der Matrjona werde ich aber schon zeigen, wessen Magd sie ist.‹ – Offen gestanden hätte ich mich beinahe auf die verfluchte Alte gestürzt, aber ich dachte an Matrjona und ließ die Hände sinken. Mir wurde so bange, daß ich es gar nicht beschreiben kann. Ich fing an, die Alte zu bitten: ›Verlangen Sie, was Sie wollen.‹ – ›Aber was brauchen Sie sie?‹ – ›Sie gefällt mir, Mütterchen, versetzen Sie sich nur in meine Lage… Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Hand küsse.‹ – Und ich küßte der Hexe wirklich die Hand! – ›Nun‹, sagte die Hexe, ›ich will es der Marja Iljmitschna sagen; soll sie es entscheiden; kommen Sie so in zwei Tagen wieder.‹ – Ich fuhr in großer Unruhe nach Hause. Ich begann zu ahnen, daß ich die Sache falsch angepackt hatte, daß ich ihr meine Neigung für das Mädchen nicht hätte zeigen sollen, aber das war mir zu spät eingefallen. Nach zwei Tagen begab ich mich zu der Dame. Man führte mich ins Kabinett. Eine Menge Blumen, eine prächtige Einrichtung, sie selbst sitzt in so einem merkwürdigen Lehnstuhl und hat den Kopf auf das Kissen zurückgeworfen; auch die Verwandte von neulich sitzt dabei und noch so ein flachsblondes Fräulein in grünem Kleid mit einem schiefen Mund, wahrscheinlich die Gesellschafterin. Die Alte näselte: ›Nehmen Sie bitte Platz.‹ – Ich setze mich. Sie fängt an, mich auszufragen , wie alt ich sei, wo ich gedient hätte und was ich vorhabe – und alles so hochmütig und von oben herab. Ich antwortete ihr auf alles ausführlich. Die Alte nimmt ein Tuch vom Tisch, fächelt sich damit und sagt: ›Katerina Karpowna hat mir von Ihrer Absicht erzählt, ja, sie hat es mir erzählt. Aber‹, sagt sie, ›ich habe es mir zur Regel gemacht, niemanden von meinen Leuten in fremde Dienste zu geben. Es schickt sich nicht in einem anständigen Hause, und es ist auch keine Art. Ich habe‹, sagt sie, ›schon meine Anordnungen getroffen, und Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen.‹ – ›Was für Sorgen, ich bitte sie …! Vielleicht brauchen Sie die Matrjona Fjodorowna?‹ – ›Nein‹, sagt sie, ›ich brauche sie nicht.‹ – ›Warum wollen Sie sie mir dann nicht abtreten?‹ – ›Weil es mir nicht paßt, weil es mir nicht paßt und fertig. Ich habe‹, sagt sie, ›schon meine Anordnungen getroffen: Sie wird auf ein Steppengut geschickt.‹ – Ich war wie vom Blitz getroffen. Die Alte sagte ein paar Worte auf französisch zu dem grünen Fräulein, und jenes ging hinaus. – ›Ich bin‹, sagte sie, ›eine Frau von strengen Grundsätzen, und meine Gesundheit ist schwach, ich kann keine Aufregung ertragen. Sie sind noch ein junger Mann, ich aber bin eine alte Frau und habe das Recht, Ihnen Ratschläge zu geben. Wäre es nicht besser für Sie, eine gute Partie zu suchen und zu heiraten? Reiche Partien sind selten, aber ein armes, junges Mädchen von guten Sitten kann man wohl finden.‹ – Wissen Sie, ich sehe die Alte an und verstehe nicht, was sie da schwatzt; ich höre, sie redet von einer Heirat, mir klingt aber das Steppendorf immer in den Ohren. Heiraten …! Den Teufel auch …« Der Erzähler hielt plötzlich inne und sah mich an.