du Verrückte… Oder willst du mich zugrunde richten? Mich töten?‹ – Das Mädel schweigt und blickt zu Boden. – ›Nun, sprich doch, sprich!‹ – ›Ich will Ihnen keine Sorgen mehr machen, Pjotr Petrowitsch.‹ – Nun, geh einer hin und rede mit ihr … – ›Weißt du, dumme Gans, du bist einfach ver … verrückt …‹«
Pjotr Petrowitsch fing an, bitter zu schluchzen.
»Was glauben Sie?« fuhr er fort, indem er mit der Faust auf den Tisch schlug und versuchte, die Brauen zusammenzuziehen, während ihm die Tränen über seine glühenden Wangen liefen: »Das Mädchen hat sich wirklich ausgeliefert, sie ging hin und lieferte sich aus …«
»Die Pferde sind bereit!« rief feierlich der Stationsaufseher, ins Zimmer tretend.
Wir standen beide auf.
»Was wurde denn aus Matrjona?« fragte ich.
Karatajew winkte abwehrend mit der Hand.
Ein Jahr nach meiner Begegnung mit Karatajew kam ich zufällig nach Moskau. Einmal ging ich vor dem Essen in ein Kaffeehaus, das sich hinter der Jägerzeile befand, ein originelles Moskauer Kaffeehaus. Im Billardzimmer sah man durch die Rauchwolken gerötete Gesichter, Schnurrbärte, Köpfe, altmodische Schnürjoppen und allermodernste Trachten. Magere Greise in bescheidenen Röcken lasen russische Zeitungen. Die Kellner rannten mit den Tabletts schnell über die grünen Läufer hin und her. Kaufleute tranken mit schmerzvoller Anstrengung Tee. Plötzlich trat aus dem Billardzimmer ein ziemlich zerzauster und nicht ganz nüchterner Mann. Er steckte die Hände in die Taschen, senkte den Kopf und sah sich gedankenlos um.
»Bah, bah, bah! Pjotr Petrowitsch …! Wie geht es Ihnen?«
Pjotr Petrowitsch fiel mir beinahe um den Hals und schleppte mich, leicht schwankend, in ein kleineres Nebenzimmer.
»So, hier«, sagte er, mich sorgsam in einen Lehnstuhl setzend, »hier werden Sie es bequem haben. Kellner, Bier! Das heißt nein, Champagner! Ich muß gestehen, ich habe es nicht erwartet … Seit wie lange? Auf wie lange? So hat es Gott sozusagen gefügt …«
»Erinnern Sie sich noch …«
»Wie sollte ich mich nicht erinnern«, unterbrach er mich hastig, »es sind alte Geschichten … alte Geschichten …«
»Nun, was treiben Sie hier, liebster Pjotr Petrowitsch?«
»Ich lebe, wie Sie sehen. Das Leben ist hier gut, die Leute sind freundlich. Hier habe ich Ruhe gefunden.«
Er seufzte auf und hob die Augen zum Himmel.
»Dienen Sie?«
»Nein, ich diene nicht, will aber bald eine Stelle nehmen. Aber was ist so ein Dienst …? Das Wichtigste sind doch die Menschen. Was für Menschen habe ich hier kennengelernt …!«
Der Kellnerjunge brachte eine Flasche Champagner auf einem schwarzen Tablett.
»Auch dieser da ist ein guter Mensch … nicht wahr, Waßja, du bist ein guter Mensch? Auf dein Wohl!«
Der Junge blieb stehen, nickte höflich mit dem Kopf, lächelte und ging hinaus.
»Ja, hier sind gute Menschen«, fuhr Pjotr Petrowitsch fort, »Menschen mit Gemüt und Herz … Wollen Sie? Ich will Sie mit ihnen bekannt machen. So prächtige Burschen … Sie werden sich alle freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich will Ihnen sagen … Bobrow ist gestorben, dieser Jammer!«
»Was für ein Bobrow?«
»Sergej Bobrow. War ein prachtvoller Mensch; er hatte sich meiner, des ungebildeten Steppenmenschen, angenommen. Auch Pantelej Gornostajew ist tot. Alle sind tot, alle!«
»Haben Sie die ganze Zeit in Moskau gelebt? Waren Sie nie auf dem Land?«
»Auf dem Land …? Mein Landgut hat man verkauft.«
»Verkauft?«
»Öffentlich versteigert … Schade, daß Sie es nicht gekauft haben!«
»Wovon werden Sie jetzt leben, Pjotr Petrowitsch?«
»Ich werde nicht verhungern, so Gott will! Wenn ich kein Geld, habe, so habe ich Freunde. Was ist Geld? – Staub! Gold ist Staub!«
Er schloß die Augen, wühlte in seiner Tasche und hielt mir zwei Fünfzehnkopekenstücke und ein Zehnkopekenstück auf der flachen Hand hin.
»Was ist das? Es ist doch Staub?« (Und das Geld flog auf die Erde.) »Sagen Sie mir lieber, haben Sie etwas von Poleschajew gelesen?«
»Ja.«
»Haben Sie Motschalow im Hamlet gesehen?«
»Nein, ich habe ihn nicht gesehen.«
»Sie haben ihn nicht gesehen, nicht gesehen …« Karatajews Gesicht erbleichte, seine Augen schweiften unruhig umher; er wandte sich ab; ein leichtes Zucken lief über seine Lippen. »Ach, Motschalow, Motschalow! ›Sterben – schlafen«, sagte er mit dumpfer Stimme.
»Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
das Herzweh und die tausend Schläge endet,
die unseres Fleisches Erbteil; 's ist ein Ziel
aufs innigste zu wünschen … sterben … schlafen …«
»Schlafen, schlafen«, murmelte er einige Male hintereinander. »Sagen Sie, bitte …«, begann ich – aber er fuhr mit Feuer fort: