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»Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf

das Herzweh und die tausend Schläge endet,

die unseres Fleisches Erbteil; 's ist ein Ziel

aufs innigste zu wünschen … sterben … schlafen …«

»Schlafen, schlafen«, murmelte er einige Male hintereinander. »Sagen Sie, bitte …«, begann ich – aber er fuhr mit Feuer fort:

»Denn wer ertrüg' der Zeiten Spott und Geißel

des Mächt'gen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,

verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,

den Übermut der Ämter und die Schmach,

die Unwert schweigenden Verdienst erweist …

… O Nymphe, in dein Gebet schließ meine Sünden ein!«

Und er ließ den Kopf auf den Tisch sinken. Er fing an zu stottern und zu phantasieren.

»Ein kurzer Mond!« rief er mit neuer Kraft.

»Ein kurzer Mond, bevor die Schuh' verbraucht,

womit sie meines Vaters Leiche folgte …

O Himmel! Würd' ein Tier, das nicht Vernunft hat,

doch länger trauern …«

Er hob das Champagnerglas an die Lippen, trank aber nicht und fuhr fort:

»… Um Hekuba! Was ist ihm Hekuba, was ist er ihr,

daß er um sie soll weinen …?

… und ich, ein blöder, schwachgemuter Schurke,

schleiche wie Hans der Träumer, meiner Sache fremd …

…bin ich 'ne Memme?

Wer nennt mich Schelm?

Bricht mir den Kopf entzwei?

Zwickt an der Nase mich? Und straft mich Lügen

tief in den Hals hinein? Wer tut mir dies?

Ha! Nähm' ich's eben doch. –

Es ist nichts anders:

Ich hege Taubenmut, mir fehlt's an Galle,

die bitter macht den Druck …«

Karatajew ließ das Glas fallen und griff sich an den Kopf. Ich glaubte ihn zu verstehen.

»Ja, so ist es«, sagte er endlich: »Hin ist hin … Nicht wahr?« Er lachte. »Auf Ihr Wohl!« »Bleiben Sie in Moskau?« fragte ich ihn.

»Ich werde in Moskau sterben!«

»Karatajew!« ertönte es aus dem Nebenzimmer. »Karatajew, wo steckst du? Komm her, lieber Mensch!«

»Man ruft mich«, sagte er, indem er sich schwerfällig erhob. »Leben Sie wohl; besuchen Sie mich, wenn Sie können, ich wohne in**.«

Aber am nächsten Tag mußte ich infolge unvorhergesehener Umstände Moskau verlassen und sah Pjotr Petrowitsch Karatajew nie wieder.

Das Stelldichein

Im Herbst, um die Mitte September, saß ich einmal in einem Birkengehölz. Vom frühen Morgen an ging ein feiner Regen nieder, der zeitweise mit warmem Sonnenschein abwechselte: Das Wetter war unbeständig. Der Himmel war bald ganz von lockeren weißen Wolken bedeckt, klärte sich bald für eine Weile auf, und dann leuchtete zwischen den Wolken ein Blatt, so heiter und freundlich wie ein schönes Auge. Ich saß da, blickte um mich und lauschte. Das Laub rauschte leise über meinem Kopf; an diesem Geräusch allein konnte man schon die Jahreszeit erkennen. Es war nicht das lustige, lachende Beben des Frühlings, nicht das weiche Flüstern und anhaltende Gerede des Sommers, nicht das scheue und kalte Lallen des Spätherbstes, sondern ein kaum hörbares, verschlafenes Geplauder. Ein schwacher Wind zog ganz leise durch die Wipfel. Das Innere des vom Regen durchnäßten Wäldchens änderte sich fortwährend, je nachdem, ob die Sonne schien oder von einer Wolke verdeckt wurde; bald stand es im hellen Licht, und dann lächelte plötzlich alles: Die feinen Stämme der nicht zu dicht beieinander stehenden Birken nahmen plötzlich einen zarten, seidigen Schimmer an, die auf der Erde liegenden kleinen Blätter wurden plötzlich bunt und brannten wie Dukatengold, und die schönen Stengel der hohen, lockigen Farnkräuter, die schon ihre herbstliche Farbe hatten, der Farbe von überreifen Weintrauben ähnlich, kreuzten sich miteinander und schienen durchsichtig; bald wurde alles ringsum wieder blau: Die grellen Farben erloschen augenblicklich, die Birken standen ganz weiß, ohne Glanz, so weiß wie frisch gefallener Schnee, den der kaltspielende Strahl der Wintersonne noch nicht berührt hat, und der allerfeinste Regen rieselte und flüsterte heimlich und listig durch den Wald. Das Laub der Birken war noch fast grün, wenn auch merklich verblaßt; nur hier und da sah man eine einzelne junge Birke ganz in Rot und Gold prangen, und man muß gesehen haben, wie grell sie aufleuchtete, wenn die Sonnenstrahlen plötzlich durch das engmaschige Netz der feinen, erst eben vom leuchtenden Regen reingewaschenen Zweige drangen. Kein einziger Vogel ließ sich vernehmen, alle hatten sich versteckt und waren verstummt; nur ab und zu klang wie ein stählernes Glöckchen die spöttische Stimme der Meise. Bevor ich in diesem Birkenwäldchen haltmachte, war ich mit meinem Hund durch ein hohes Espengehölz gekommen. Ich habe, offen gestanden, keine besondere Vorliebe für diesen Baum, für die Espe mit ihrem blaßlila Stamm und dem graugrünen, metallischen Laub, das sie so hoch wie möglich hebt und wie einen zitternden Fächer in der Luft ausbreitet; ich liebe nicht das ewige Schwanken ihrer runden, unsauberen Blätter, die so ungeschickt an den langen Stielen sitzen. Sie ist nur an manchen Sommerabenden schön, wenn sie, einsam mitten im niederen Gebüsch ragend, direkt gegen die brennenden rotleuchtenden Strahlen der untergehenden Sonne zu stehen kommt und glänzt und zittert, von den Wurzeln bis zum Wipfel vom gleichen gelblichen Purpur übergossen – oder wenn sie an einem klaren, windigen, Tag bebend und stammelnd sich vom blauen Himmel abhebt und jedes ihrer Blätter, wie von einem Strom ergriffen, sich gleichsam losreißen und in die Ferne wegfliegen will. Aber im allgemeinen liebe ich diesen Baum nicht; darum ging ich, ohne mich im Espengehölz aufzuhalten, in das Birkenwäldchen, richtete mich unter einem Bäumchen ein, dessen Äste dicht über der Erde anfingen und mich folglich vor dem Regen schützen konnten, und versank, nachdem ich die Aussicht ringsherum bewundert hatte, in jenen ruhigen, sanften Schlaf, der nur den Jägern allein bekannt ist.

Ich kann nicht sagen, wie lange ich geschlafen hatte; als ich aber die Augen aufschlug, war das ganze Waldinnere vom Sonnenlicht erfüllt, und durch das freudig rauschende Laub leuchtete und funkelte in allen Richtungen ein grellblauer Himmeclass="underline" Die Wolken waren vom Wind vertrieben und verschwunden; das Wetter hatte sich aufgeheitert, und in der Luft ließ sich jene besondere trockene Frische fühlen, die das Herz mit einem eigentümlichen Gefühl von Rüstigkeit erfüllt und fast immer einen friedlichen und heiteren Abend nach dem regnerischen Tag verheißt. Ich wollte schon aufstehen und wieder mein Glück versuchen, als mein Blick plötzlich eine unbewegliche menschliche Gestalt traf. Ich sah genauer hin: Es war ein junges Bauernmädchen. Sie saß etwa zwanzig Schritt von mir entfernt, den Kopf nachdenklich gesenkt und beide Hände im Schoß; in einer Hand, die halb offen war, lag ein dicker Strauß von Feldblumen, der bei jedem ihrer Atemzüge auf den gewürfelten Rock hinabglitt. Das am Halse und an den Handgelenken zugeknöpfte reine weiße Hemd lag in kurzen weichen Falten um ihre Taille; große gelbe Glasperlen fielen in zwei Reihen vom Halse auf die Brust herab. Sie war sehr hübsch. Die dichten, schönen aschblonden Haare liefen in zwei sorgfältig gekämmten Halbkreisen unter der schmalen hellroten Binde hervor, die fast auf die elfenbeinweiße Stirn gerückt war; der übrige Teil des Gesichts zeigte jenen goldigen Ton, den der Sonnenbrand nur einer zarten Haut zu verleihen vermag. Ihre Augen konnte ich nicht sehen, sie hob sie nicht; aber ich sah ihre feinen, hochgeschwungenen Brauen und die langen Wimpern; sie waren feucht, und an einer ihrer Wangen glänzte in der Sonne die ausgetrocknete Spur einer Träne, die dicht an ihren leicht erbleichten Lippen stehengeblieben war. Ihr ganzes Köpfchen war reizend; selbst die etwas dicke, runde Nase verdarb es nicht. Besonders gut gefiel mir der Ausdruck ihres Gesichts, er war so einfach und sanft, so traurig und voll kindlichen Erstaunens über die eigene Trauer. Offenbar erwartete sie jemand; im Wald knisterte es leise. Sie hob sofort den Kopf und sah sich um; im durchsichtigen Schatten vor mir leuchteten ihre Augen auf, sie waren groß, hell und scheu wie die einer Hirschkuh. Sie lauschte einige Augenblicke, ohne ihre weitgeöffneten Augen von der Stelle zu wenden, wo das leise Knistern ertönte, seufzte dann, wandte langsam den Kopf, neigte sich noch tiefer und begann, die Blumen auseinanderzunehmen. Ihre Lider röteten sich, die Lippen zuckten bitter, und eine neue Träne rollte unter den dichten Wimpern hervor und funkelte auf ihrer Wange. So verging ziemlich lange Zeit; das arme Mädchen rührte sich nicht, es bewegte nur ab und zu traurig die Arme und lauschte, lauschte … Wieder raschelte etwas im Wald – sie fuhr zusammen. Das Rascheln hörte nicht auf, es wurde immer lauter, kam näher, und endlich ließen sich schnelle, entschlossene Schritte vernehmen. Sie richtete sich auf und schien zaghaft zu werden; ihr aufmerksamer Blick zitterte, wie es schien, vor Erwartung. Im Dickicht wurde eine männliche Gestalt sichtbar. Das Mädchen sah gespannt hin, errötete, lächelte freudig und glücklich, wollte schon aufstehen, sank aber gleich wieder zusammen, erbleichte, wurde verlegen und hob ihren bebenden, beinahe flehenden Blick auf den Mann erst, als er neben ihr stehenblieb.