Ich sah ihn von meinem Versteck aus neugierig an. Ich gestehe, er machte auf mich keinen angenehmen Eindruck. Allem Anschein nach war er der verhätschelte Kammerdiener eines jungen, reichen Herrn. Seine Kleidung verriet Ansprüche auf Geschmack und eine stutzerhafte Nachlässigkeit: Er trug einen kurzen, bronzefarbenen, bis oben zugeknöpften Paletot, wahrscheinlich ein abgelegtes Stück seines Herrn, eine rosa Halsbinde mit lila Enden und eine schwarzsamtene Mütze mit goldener Tresse, bis an die Brauen ins Gesicht gedrückt. Der runde Kragen seines weißen Hemdes schnitt sich ihm unbarmherzig in die Wangen und stützte seine Ohren, und die gestärkten Manschetten bedeckten seine Hände bis an die roten krummen Finger, an denen er silberne und goldene Ringe mit Vergißmeinnicht aus Türkisen trug. Sein rosiges, frisches, freches Gesicht gehörte zu den Gesichtern, die, soweit ich bemerkt habe, die Männer fast immer empören, den Frauen aber leider sehr oft gefallen. Offenbar bemühte er sich, seinen ziemlich groben Zügen einen verächtlichen und gelangweilten Ausdruck zu verleihen; er, kniff seine auch ohnehin winzigen milchgrauen Augen zusammen, verzog das Gesicht, ließ die Mundwinkel herab, gähnte gezwungen und strich sich bald mit einer etwas ungeschickten Ungezwungenheit seine rötlichen, kühn geschwungenen Schläfenlocken und zupfte bald an den gelben Härchen, die auf seiner dicken Oberlippe wuchsen – mit einem Wort, er spielte eine ekelhafte Komödie. Er begann sie zu spielen, sobald er das junge Bauernmädchen erblickt hatte, das auf ihn wartete; er ging langsam, nachlässig auf sie zu, blieb eine Weile stehen, zuckte die Achseln, steckte beide Hände in die Taschen seines Paletots und ließ sich, nachdem er das arme Mädchen kaum eines flüchtigen und gleichgültigen Blickes gewürdigt hatte, auf die Erde nieder.
»Nun«, fing er an, immer auf die Seite blickend, mit dem Fuße wippend und gähnend, »bist du schon lange hier?«
Das Mädchen konnte ihm nicht sogleich antworten.
»Schon lange, Viktor Alexandrytsch«, sagte sie endlich mit kaum hörbarer Stimme.
»Ah!« Er nahm die Mütze ab, fuhr sich majestätisch durch sein gekräuseltes Haar, das fast dicht über den Augenbrauen begann, sah sich mit Würde um und bedeckte dann sorgfältig sein kostbares Haupt. »Ich hatte es ganz vergessen. Außerdem regnete es, siehst du!« Er gähnte wieder. »Furchtbar viel zu tun: Ich muß an eine Menge Sachen denken, und der Herr schimpft noch. Wir reisen morgen …«
»Morgen?« rief das Mädchen und richtete auf ihn ihren erschrockenen Blick.
»Morgen … Nun, nun, nun, ich bitte dich«, begann er hastig und ärgerlich, als er sah, daß sie am ganzen Körper erbebte und still den Kopf senkte, »ich bitte dich, Akulina, weine nicht. Du weißt, ich kann das nicht leiden.« Er rümpfte seine stumpfe Nase. »Sonst geh' ich gleich wieder weg … Was für Dummheiten – weinen!«
»Ich werde nicht, ich werde nicht weinen«, erwiderte Akulina hastig, mit Anstrengung die Tränen schluckend. »Sie reisen also morgen?« fügte sie nach kurzem Schweigen hinzu. »Wann werden wir uns wiedersehen, Viktor Alexandrytsch?«
»Wir werden uns schon wiedersehen. Wenn nicht im nächsten Jahr, so später einmal. Der Herr scheint in Petersburg in den Dienst treten zu wollen«, fuhr er fort, die Worte nachlässig und etwas durch die Nase aussprechend, »vielleicht gehen wir auch ins Ausland.«
»Sie werden mich vergessen, Viktor Alexandrytsch«, sagte Akulina traurig.
»Nein, warum denn? Ich werde dich nicht vergessen. Sei aber vernünftig, mach keine Dummheiten und höre auf den Vater … Ich werde dich aber nicht vergessen, nein.« Er rekelte sich ruhig und gähnte wieder.
»Vergessen Sie mich nicht, Viktor Alexandrytsch«, fuhr sie mit flehender Stimme fort. »Ich habe Sie doch so geliebt, alles tat ich für Sie … Sie sagen, ich solle auf den Vater hören, Viktor Alexandrytsch … Wie soll ich aber auf ihn hören …«
»Warum denn nicht?« Er sprach diese Worte, als kämen sie aus dem Magen; dabei lag er auf dem Rücken, die Hände im Nacken.
»Aber Viktor Alexandrytsch, Sie wissen es doch selbst.«
Sie verstummte. Viktor spielte mit seiner stählernen Uhrkette.
»Akulina, du bist doch ein gescheites Mädel«, begann er endlich, »rede daher keinen Unsinn. Ich will ja dein Bestes, verstehst du mich? Gewiß, du bist nicht dumm, bist nicht ganz Bäuerin sozusagen; auch deine Mutter ist nicht immer Bäuerin gewesen. Aber du bist immerhin ungebildet und mußt darum folgen, wenn man dir etwas sagt.«
»Es ist so schrecklich, Viktor Alexandrytsch.«
.»Unsinn, meine Liebe, was soll da schrecklich sein? Was hast du da«, fügte er hinzu, sich zu ihr umwendend. »Blumen?«
»Ja, Blumen«, antwortete Akulina traurig. »Ich habe Färbergarben gepflückt«, fuhr sie etwas lebhafter fort, »die sind gut für die Kälber. Und das ist Wasserdost, gegen die Skrofeln. Schauen Sie nur, was für eine herrliche Blume, eine so herrliche Blume habe ich noch nie gesehen. Das sind Vergißmeinnicht und das Veilchen … Diese aber habe ich für Sie gepflückt«, fügte sie hinzu, unter den gelben Färbergarben ein kleines, mit einem Grashalm zusammengebundenes Sträußchen Kornblumen hervorziehend, »wollen Sie sie haben?«
Viktor streckte träge die Hand aus, nahm das Sträußchen, roch nachlässig daran und fing an, es zwischen den Fingern zu drehen, nachdenklich und wichtig zum Himmel aufblickend. Akulina sah ihn an … In ihrem traurigen Blick war soviel zarte Hingebung, andächtige Demut und Liebe. Sie fürchtete ihn und wagte nicht zu weinen, sie nahm von ihm Abschied und betrachtete ihn entzückt zum letztenmal; er aber rekelte sich wie ein Sultan und ertrug mit großmütiger Geduld und Herablassung ihre Anbetung. Ich muß gestehen, daß ich mit Empörung sein rotes Gesicht betrachtete, in dem neben der geheuchelten, verächtlichen Gleichgültigkeit auch eine befriedigte und übersättigte Eigenliebe zu sehen war. Akulina war in diesem Augenblick so schön: Ihre ganze Seele öffnete sich ihm so vertrauensvoll und leidenschaftlich entgegen, sie strebte zu ihm, schmiegte sich an ihn, er aber … er ließ die Kornblumen auf die Erde fallen, zog aus der Seitentasche seines Paletots ein rundes, in Bronze gefaßtes Glas und begann, es sich ins Auge zu drücken; wie sehr er sich auch mühte, es mit der gerunzelten Braue, der erhobenen Wange und sogar mit der Nase festzuhalten, das Glas fiel immer wieder heraus und glitt ihm auf die Hand.
»Was ist das?« fragte endlich Akulina erstaunt.
»Ein Lorgnon«, antwortete er wichtig.
»Wozu?«