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Als mich der Hausherr verlassen hatte, begann ich durch die Zimmer herumzuirren. Fast alle Gäste waren mir unbekannt; an die zwanzig Mann saßen schon beim Kartenspiel. Unter diesen Liebhabern von Préférence befanden sich zwei Militärs mit adligen, aber etwas abgelebten Gesichtern, einige Zivilisten in hohen, engen Halsbinden mit herabhängenden, gefärbten Schnurrbärten, wie man sie nur bei entschlossenen, aber wohlgesinnten Herren sieht (diese wohlgesinnten Herren lasen mit Wichtigkeit die Karten vom Tisch auf und warfen, ohne den Kopf zu wenden, Seitenblicke auf die Vorbeigehenden); fünf oder sechs Kreisbeamte mit runden Bäuchlein, vollen, schweißigen Händchen und bescheiden unbeweglichen Beinchen (diese Herren sprachen mit sanfter Stimme, lächelten mild nach allen Seiten, hielten ihre Karten dicht vor den Vorhemdchen und schlugen, wenn sie einen Trumpf ausspielten, nicht auf den Tisch, sondern ließen vielmehr ihre Karten wellenförmig auf das grüne Tuch fallen und erzeugten, wenn sie die Stiche zusammenlegten, ein leichtes, wohlanständiges und höfliches Knistern). Die übrigen Edelleute saßen auf den Sofas und drängten sich gruppenweise an den Türen und Fenstern; ein nicht mehr junger Gutsbesitzer von frauenhaftem Aussehen stand in einer Ecke, zuckte zuweilen zusammen, errötete und spielte verlegen mit dem Petschaft der Uhrkette auf seinem Magen, obwohl ihn niemand beachtete; einige Herren in runden Fräcken und karierten Pantalons, einem Erzeugnis des Moskauer Schneiders Firs Kljuschin, unterhielten sich äußerst ungezwungen und lebhaft, wobei sie ihre kahlen und fetten Nacken frei bewegten; ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren, kurzsichtig und blond, vom Kopf bis zu den Füßen schwarz gekleidet, zeigte große Schüchternheit, lächelte aber giftig …

Ich fing schon an, mich zu langweilen, als sich zu mir plötzlich ein gewisser Woinizyn gesellte, ein junger Mann, der seine Studien nicht beendet hatte und im Hause Alexander Michailytschs in Eigenschaft eines … es ist schwer zu sagen, in welcher Eigenschaft er da lebte. Er schoß vorzüglich und verstand sich auf die Dressur von Hunden. Ich hatte ihn schon in Moskau gekannt. Er gehörte zu jenen jungen Leuten, die bei jedem Examen von einem Starrkrampf befallen wurden, das heißt, kein Wort auf die Fragen des Professors zu sagen wußten. Diese Herren nannte man des schönen Stiles wegen auch ›Backenbartisten‹. (Es ist schon lange her, wie Sie zu sehen belieben.) Das spielte sich auf folgende Weise ab: Es wurde z.B. Woinizyn aufgerufen. Woinizyn, der bis dahin unbeweglich und gerade, vom Köpf bis zu den Füßen in Schweiß gebadet auf seiner Bank gesessen und langsam, aber gedankenlos seine Augen hatte herumschweifen lassen; erhob sich, knöpfte hastig seinen Uniformrock bis oben zu und näherte sich seitwärts dem Tisch der Examinatoren. – »Wollen Sie sich ein Billett nehmen«, sagte der Professor freundlich zu ihm. Woinizyn streckte die Hand aus und berührte zitternd den Haufen der Billette mit seinen Fingern. – »Suchen Sie sich bitte eines heraus«, bemerkte mit zitternder Stimme irgendein unbeteiligter, aber reizbarer Greis, ein Professor von einer anderen Fakultät, von einem plötzlichen Haß gegen den unglücklichen Backenbartisten erfüllt. Woinizyn ergab sich in sein Schicksal, nahm ein Billett, zeigte die Nummer vor und setzte sich ans Fenster, während sein Vorgänger examiniert wurde. Am Fenster blickte Woinizyn unverwandt auf sein Billett, ließ nur ab und zu langsam seinen Blick umherschweifen und rührte im übrigen kein Glied. Sein Vorgänger ist nun fertig geworden, und man sagt zu ihm: »Gut, Sie können gehen« oder sogar: »Gut, sehr gut«, je nach seinen Fähigkeiten. Nun wird Woinizyn aufgerufen; Woinizyn steht auf und nähert sich mit festen Schritten dem Tisch. – »Lesen Sie Ihr Billett vor«, sagt man zu ihm. Woinizyn hebt das Billett mit beiden Händen dicht vor die Nase, liest es langsam vor und senkt langsam die Augen. – »Nun, jetzt wollen Sie antworten«, sagt träge derselbe Professor, den Oberkörper zurückwerfend und die Arme auf der Brust kreuzend. Es tritt eine Grabesstille ein. – »Nun?« – Woinizyn schweigt. Der unbeteiligte Greis beginnt zu zucken. – »Sagen Sie doch etwas!« – Mein Woinizyn schweigt wie erstarrt. Sein kurzgeschorener Nacken ragt unbeweglich gegen die neugierigen Blicke aller Kollegen. Dem unbeteiligten Greis wollen die Augen aus dem Kopf springen, nun ist er ganz vom Haß gegen Woinizyn erfüllt. – »Es ist immerhin sonderbar«, bemerkt ein anderer Examinator: »Warum stehen Sie wie stumm da? Sie wissen nichts? Sagen Sie es doch geradeheraus.« – »Gestatten Sie, daß ich mir ein anderes Billett nehme«, sagt der Unglückliche mit dumpfer Stimme. Die Professoren wechseln Blicke. – »Nun, nehmen Sie nur«, antwortet der Hauptexaminator mit einer resignierten Handbewegung. Woinizyn nimmt wieder ein Billett, geht wieder zum Fenster, kehrt zum Tisch zurück und schweigt wieder wie ein Toter. Der unbeteiligte Greis ist imstande, ihn beim lebendigen Leibe aufzufressen. Schließlich läßt man ihn gehen und setzt ihm eine Null. Glaubt ihr etwa, daß er wenigstens jetzt fortgehen wird? Keine Spur! Er kehrt auf seinen Platz zurück und schweigt wieder wie ein Toter, sitzt unbeweglich bis zum Schluß des Examens und ruft beim Weggehen: »Diese Plage! Diese Schinderei!« – Dann geht er den ganzen Tag durch die Straßen von Moskau, greift sich ab und zu an den Kopf und verwünscht sein unglückseliges Schicksal. Natürlich nimmt er aber kein Buch in die Hand, und am nächsten Tag wiederholt sich genau die gleiche Geschichte. Dieser selbe Woinizyn gesellte sich also zu mir. Wir sprachen von Moskau und von der Jagd.

»Wollen Sie«, flüsterte er mir plötzlich zu, »daß ich Sie mit dem ersten Witzling dieser Gegend bekannt mache?«

»Ich bitte sehr.«

Woinizyn führte mich zu einem kleinen Mann mit hohem Schopf und Schnurrbart, in einem braunen Frack und bunter Halsbinde. Seine galligen, beweglichen Züge atmeten wirklich Geist und Bosheit. Ein flüchtiges, giftiges Lächeln verzerrte fortwährend seine Lippen; die schwarzen, zusammengekniffenen Äuglein blickten frech unter den ungleichen Wimpern hervor. Neben ihm stand ein breitschultriger, gedunsener, einäugiger Gutsbesitzer, süßlich wie ein Stück Zucker. Er lachte schon im voraus über die Witze des kleinen Mannes und schmolz gleichsam vor Vergnügen. Woinizyn stellte mich dem Witzling vor, welcher Pjotr Petrowitsch Lupichin hieß. Wir machten Bekanntschaft und tauschten die ersten höflichen Worte.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen meinen besten Freund vorstelle«, begann plötzlich Lupichin, indem er den süßen Gutsbesitzer bei der Hand faßte. »Sträuben Sie sich nicht, Kirilla Selifanytsch«, fügte er hinzu, »man wird Sie nicht beißen. Hier«, fuhr er fort, während der verlegene Kirilla Selifanytsch sich so ungeschickt verbeugte, als wollte ihm der Bauch abfallen, »ich empfehle Ihnen einen vorzüglichen Edelmann. Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr erfreute er sich einer vortrefflichen Gesundheit, da fiel es ihm plötzlich ein, sich seine Augen behandeln zu lassen. Infolgedessen wurde er auf einem Auge blind. Seitdem behandelt er seine Bauern mit dem gleichen Erfolg. Diese sind natürlich mit der gleichen Anhänglichkeit …«