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»Ach, dieser …« murmelte Kirilla Selifanytsch und lachte.

»Sprechen Sie nur aus, mein Freund, sprechen Sie nur aus«, fiel ihm Lupichin ins Wort. »Man wird Sie vielleicht noch zum Richter wählen, man wird Sie ganz sicher wählen, Sie werden es sehen. Für Sie werden natürlich die Beisitzer denken; aber man muß ja gegebenenfalls auch einen fremden Gedanken auszusprechen verstehen. Es kann ja der Gouverneur kommen und fragen: ›Warum stottert der Richter?‹ Nun, nehmen wir an, daß man ihm antworte: ›Er hat einen Schlaganfall gehabt‹, dann wird der Gouverneur aber sagen: ›Nun, dann lasse man ihn zur Ader.‹ Gestehen Sie selbst, daß das in Ihrer Stellung unpassend wäre.«

Der süße Gutsbesitzer wälzte sich vor Lachen.

»Er lacht«, fuhr Lupichin fort mit einem boshaften Blick auf den zitternden Bauch Kirilla Selifanytschs. »Warum soll er auch nicht lachen?« fügte er, an mich gewandt, hinzu: »Er ist satt und gesund, hat keine Kinder, seine Bauern sind nicht verpfändet, er kuriert sie selbst, seine Frau ist nicht ganz gescheit …« Kirilla Selifanytsch wandte sich etwas auf die Seite, als hätte er nichts gehört, und fuhr fort zu lachen. »Ich lache doch auch … mir ist aber meine Frau mit einem Feldmesser durchgegangen.« Er grinste. »Haben Sie es denn nicht gewußt? Gewiß! Jawohl, sie ist durchgebrannt und hat mir einen Brief hinterlassen: ›Lieber Pjotr Petrowitsch, verzeihe mir; von Leidenschaft überwältigt, entferne ich mich mit dem Freund meines Herzens …‹ Der Feldmesser hatte sie aber nur dadurch erobert, daß er sich nie die Nägel schnitt und enganliegende Hosen trug. Sie wundern sich? Sie denken sich wohclass="underline" Ist das ein offenherziger Mensch … Mein Gott! So ein Steppenmensch wie ich sagt immer die Wahrheit. Wollen wir jedoch auf die Seite gehen … Was sollen wir neben dem zukünftigen Richter stehen?«

Er nahm mich unter den Arm, und wir traten ans Fenster.

»Ich gelte hier als Witzling«, sagte er mir im Verlauf des Gesprächs, »glauben Sie es nicht. Ich bin einfach ein erbitterter Mensch und schimpfe laut: Dann bin ich auch so ungeniert. Und warum sollte ich mich auch genieren? Ich gebe nichts auf die Meinung der anderen und strebe nach nichts; ich bin boshaft, was ist dabei! Ein boshafter Mensch braucht wenigstens keinen Verstand zu haben. Das ist aber so erfrischend, Sie werden es gar nicht glauben … Schauen Sie sich zum Beispiel unseren Gastgeber an! Warum rennt er so herum, ich bitte Sie! Jeden Augenblick schaut er auf die Uhr, er lächelt, schwitzt, setzt sich eine wichtige Miene auf und läßt uns verhungern! Als ob man einen solchen Würdenträger noch nie gesehen hätte! Da rennt er wieder vorbei, er humpelt sogar, sehen Sie nur!«

Lupichin lachte mit hoher Stimme.

»Eines ist schade«, fuhr er mit einem tiefen Seufzer fort, »es ist ein Junggesellendiner ohne Damen – aber das wäre für unsereinen ein Fressen. Schauen Sie nur, schauen Sie nur«, rief er plötzlich, »da kommt der Fürst Koseljskij – dieser große Mann mit dem Bart, mit, den gelben Handschuhen. Man sieht gleich, daß er im Ausland gewesen ist … immer kommt er so spät. Ich sage Ihnen, er ist allein so dumm wie ein Paar Kaufmannspferde; Sie hätten aber sehen sollen, wie herablassend er mit unsereinem spricht, wie großmütig er über die Liebenswürdigkeiten unserer hungrigen Mütterchen und Töchter zu lächeln geruht …! Auch er selbst macht zuweilen Witze, obwohl er sich hier nur auf der Durchreise befindet; die Witze sind aber auch danach! Es ist, wie wenn man mit einem stumpfen Messer einen Bindfaden entzweisägte. Mich kann er nicht ausstehen … Ich will mal hingehen und ihn begrüßen.«

Lupichin lief dem Fürsten entgegen.

»Dort geht aber mein persönlicher Feind«, sagte er, als er plötzlich wieder neben mir stand. »Sehen Sie jenen dicken Mann mit dem dunklen Gesicht und den Borsten auf dem Kopf – der seine Mütze in der Hand hält, an der Wand entlangschleicht und wie ein Wolf nach allen Seiten blickt? Ich habe ihm für vierhundert Rubel ein Pferd verkauft, welches tausend Rubel wert war, und dieses dumme Geschöpf hat das volle Recht, mich zu verachten; dabei ist er aber so vollkommen hirnlos, besonders morgens, nach dem Tee, oder gleich nach dem Mittagessen, daß er, wenn man ihm guten Tag sagt, antwortet: ›Was?‹ – Da kommt aber ein General«, fuhr Lupichin fort, »ein Zivilgeneral a. D., ein General, der sein Vermögen verloren hat. Er hat eine Tochter aus Rübenzucker und eine skrofulöse Fabrik … Entschuldigen Sie, ich habe mich versprochen, aber Sie verstehen mich schon. Ah! Auch der Architekt ist hier! Ist ein Deutscher, trägt aber einen Schnurrbart und versteht seine Sache nicht – ein blaues Wunder …! Was soll er übrigens seine Sache verstehen, wenn er nur versteht, Bestechungsgelder zu nehmen und recht viele Säulen und Pfeiler für unsere Edelleute, die Pfeiler der Gesellschaft, aufzustellen!«

Lupichin lachte wieder … Plötzlich verbreitete sich eine Unruhe durch das ganze Haus. Der Würdenträger war angekommen. Der Hausherr stürzte ins Vorzimmer. Einige ergebene Hausfreunde und eifrige Gäste folgten ihm nach … Das geräuschvolle Gespräch verwandelte sich in ein leises, angenehmes Raunen, so summen die Bienen zur Frühlingszeit in ihren heimatlichen Stöcken. Nur eine rastlose Wespe, Lupichin, und eine prächtige Hummel, Koseljskij, dämpften ihre Stimmen nicht … Endlich trat die Bienenkönigin, der Würdenträger, herein. Alle Herzen flogen ihm entgegen, die sitzenden Oberkörper hoben sich; selbst der Gutsbesitzer, der von Lupichin so billig das Pferd gekauft hatte, selbst dieser Gutsbesitzer – drückte sein Kinn gegen die Brust. Der Würdenträger bewahrte seine Würde vortrefflich; den Kopf in den Nacken werfend, als ob er grüßte, sprach er einige lobende Worte, von denen ein jedes mit dem Laut A begann, den er gedehnt und durch die Nase sprach; mit einer Empörung, die an Hunger grenzte, blickte er auf den Bart des Fürsten Koseljskij und reichte dem ruinierten Zivilgeneral mit der Fabrik und der Tochter den Zeigefinger der linken Hand. Nach einigen Minuten, innerhalb deren der Würdenträger zweimal die Bemerkung gemacht hatte, er sei sehr froh, daß er zum Mittagessen nicht zu spät gekommen sei, begab sich die ganze Gesellschaft unter Vorantritt der großen Tiere in den Speisesaal.

Brauche ich denn noch dem Leser zu erzählen, wie man den Würdenträger auf den Ehrenplatz zwischen den Zivilgeneral und den Adelsmarschall des Gouvernements, einen Menschen mit einem unabhängigen und würdigen Ausdruck des Gesichts, das vollkommen seiner gestärkten Hemdbrust, seiner unermeßlichen Weste und der runden Tabaksdose mit französischem Schnupftabak entsprach, plazierte – wie der Hausherr geschäftig herumlief, aus der Haut fuhr, die Gäste nötigte, im Vorbeigehen den Rücken des Würdenträgers anlächelte und, wie ein Schuljunge im Winkel stehend, hastig einen Teller Suppe oder ein Stückchen Fleisch hinunterschlang – wie der Haushofmeister einen Fisch von anderthalb Arschin Länge mit einem Bukett im Maul auftrug; wie die livrierten Diener mit strengen Mienen jedem Edelmann mürrisch bald Drymadeira, bald Malaga aufdrängten, und wie fast alle Edelleute, besonders die älteren, als müßten sie sich unwillig einer Pflicht unterziehen, ein Glas nach dem anderen leerten; wie schließlich die Champagnerpropfen knallten und die Toaste begannen: Dies alles ist dem Leser wohl allzu bekannt. Besonders bemerkenswert erschien mir aber die Anekdote, die der Würdenträger selbst inmitten eines allgemeinen, freudigen Schweigens zum besten gab. Jemand, ich glaube ein General, der sein Vermögen verloren hatte, ein mit der neuesten Literatur vertrauter Mann, erwähnte den Einfluß der Frauen im allgemeinen und auf die jungen Leute im besonderen. »Ja, ja«, fiel ihm der Würdenträger ins Wort, »das ist wahr, aber man muß die jungen Leute in strenger Zucht halten, sonst werden sie von jedem Weiberrock verrückt.« Ein kindlich-heiteres Lächeln glitt über die Gesichter aller Gäste; die Augen eines Gutsbesitzers drückten sogar Dankbarkeit aus. »Denn die jungen Leute sind dumm.« Der Würdenträger betonte zuweilen, wohl der Wichtigkeit wegen, gewisse Worte anders, als es sonst üblich ist. »Da habe ich zum Beispiel einen Sohn Iwan«, fuhr er fort, »der Dummkopf ist kaum zwanzig Jahre alt, aber plötzlich sagt er mir: ›Papachen, erlauben Sie mir zu heiraten.‹ Ich sage ihm: ›Dummkopf, diene erst dem Staat …‹ Natürlich Verzweiflung und Tränen … aber ich bin in solchen Fällen …« Das Wort ›Fällen‹ sprach der Würdenträger mehr mit dem Bauch als mit den Lippen; dann machte er eine Pause und blickte majestätisch seinen Nachbarn, den General an, wobei er seine Brauen viel höher hob, als man es erwartet hätte. Der Zivilgeneral neigte den Kopf freundlich auf die Seite und zwinkerte außerordentlich schnell mit dem Auge, das dem Würdenträger zugewandt war. »Und was glauben Sie?« begann der Würdenträger von neuem: »Jetzt schreibt er mir selbst: ›Ich danke Ihnen, Papachen, daß Sie mich Dummkopf belehrt haben …‹ Ja, so muß man handeln.« – Alle Gäste stimmten natürlich dem Erzähler zu und schienen von dem empfangenen Vergnügen und der Belehrung neu belebt … Nach dem Essen stand die ganze Gesellschaft auf und begab sich ins Gastzimmer mit einem etwas lauteren, aber immer noch anständigen und in einem solchen Falle gleichsam erlaubten Geräusch … Man setzte sich an die Kartentische.