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Auf diese Weise schwelgten wir drei Jahre in Seligkeit; im vierten Jahr starb Sofja in ihrem ersten Wochenbett, und es ist seltsam: Ich hatte gleichsam schon früher vermutet, daß sie nicht imstande sein würde, mir einen Sohn oder eine Tochter und der Erde einen neuen Bewohner zu schenken. Ich erinnere mich an ihr Begräbnis. Es war im Frühjahr. Unsere Pfarrkirche ist nicht groß, alt, der Ikonostas ist vor Alter schwarz, die Wände nackt, der Fußboden aus Ziegelsteinen schadhaft; rechts und links im Chor hängt je ein altes Heiligenbild. Man trug den Sarg herein, stellte ihn in die Mitte vor die Zarenpforte, bedeckte ihn mit einer verblichenen Decke und stellte drei Leuchter um ihn herum. Der Gottesdienst begann. Der altersschwache Diakon mit kleinem Zopf hinten, den Leib tief unten mit einem grünen Gürtel umschlungen, lallte traurig vor dem Betpult; der gleichfalls greise Geistliche mit gutmütigem Gesicht und halbblinden Augen, in einem lilagelb gemusterten Ornat, sang die Gebete für sich selbst und für den Diakon. In der ganzen Breite der geöffneten Fenster bewegten sich und flüsterten die jungen, frischen Blätter der Trauerbirken, von draußen zog der Duft des Grases herein; die roten Flammen der Wachskerzen erblaßten im lustigen Licht des Frühlingstages; die Spatzen zwitscherten, daß man es in der ganzen Kirche hörte, und ab und zu erklang unter der Kuppel der helle Schrei einer Schwalbe, die hereingeflogen war. Im goldenen Staub des Sonnenstrahles senkten und hoben sich schnell die blonden Köpfe der wenigen Bauern, die inbrünstig für die Verstorbene beteten; in dünnen bläulichen Fäden zog der Rauch aus den Öffnungen des Räucherfasses empor. Ich blickte auf das tote Antlitz meiner Frau… Mein Gott! Auch der Tod, der Tod selbst hatte sie nicht erlöst, hatte ihre Wunde nicht geheilt: der gleiche schmerzvolle, scheue, stumme Ausdruck – als fühle sie sich selbst im Sarge unbehaglich… Ein bitteres Gefühl regte sich in mir. Sie war ein so herzensgutes Geschöpf, und doch war es auch für sie selbst gut, daß sie gestorben war!«

Die Wangen des Erzählers röteten sich, und seine Augen wurden trüb.

»Als ich mich endlich vom schweren Druck, der auf mir nach dem Tode meiner Frau lastete, befreit hatte«, begann er wieder, »entschloß ich mich, wie man so sagt, etwas Vernünftiges anzufangen. Ich trat in der Gouvernementsstadt in den Staatsdienst; in den großen Zimmern des Amtsgebäudes bekam ich Kopfschmerzen, meine Augen waren auch nicht in Ordnung; es kamen auch noch andere Gründe hinzu… ich nahm meinen Abschied. Ich wollte schon nach Moskau hinüberfahren, aber erstens fehlte es mir an Geld, und zweitens… ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich mich gedemütigt hatte. Die Demut kam über mich plötzlich und zugleich auch nicht plötzlich. Geistig hatte ich mich schon längst gedemütigt, aber mein Kopf wollte sich noch immer nicht beugen. Ich schreibe die demütige Stimmung meiner Gefühle und Gedanken dem Einfluß des Landlebens und meines Unglücks zu… Andererseits hatte ich schon längst bemerkt, daß fast alle meine Nachbarn, wie die alten so die jungen, am Anfang von meiner Gelehrsamkeit, von meinem Aufenthalt im Ausland und den übrigen Vorzügen meiner Erziehung eingeschüchtert, sich an mich nicht nur nicht gewöhnt hatten, sondern mich entweder grob oder von oben herab behandelten, meine Betrachtungen nicht zu Ende anhörten und in ihren Gesprächen mit mir gewisse Höflichkeitsformen vernachlässigten. Ich vergaß, Ihnen noch zu sagen, daß ich im ersten Jahr meiner Ehe aus Langweile versucht hatte, mich auf die Literatur zu verlegen, und sogar einen Beitrag an eine Zeitschrift schickte, eine Novelle, wenn ich nicht irre; aber nach einiger Zeit erhielt ich vom Redakteur einen höflichen Brief, in dem es unter anderm hieß, man könne mir Geist wohl nicht absprechen, wohl aber das Talent; in der Literatur brauche man aber gerade das Talent. Außerdem kam es mir zu Ohren, daß ein durchreisender Moskauer, ein im übrigen seelenguter junger Mann, sich über mich in einer Abendgesellschaft beim Gouverneur als über einen abgeschmackten und hohlen Menschen geäußert hatte. Aber meine halb freiwillige Verblendung hielt noch immer an: Ich wollte, wissen Sie, mich nicht selbst ›ohrfeigen‹; schließlich gingen mir eines schönen Morgens die Augen auf. Dies geschah auf folgende Weise: Mich besuchte der Isprawnik, um meine Aufmerksamkeit auf eine eingefallene Brücke auf meinen Besitzungen zu lenken, zu deren Instandsetzung mir aber völlig die Mittel fehlten. Während der nachsichtige Hüter der öffentlichen Ordnung nach einem Schnaps ein Stück gedörrten Störrückens verzehrte, warf er mir väterlich meine Unachtsamkeit vor, ging übrigens auf meine Lage ein und riet mir nur, meinen Bauern zu befehlen, etwas Mist auf die Stelle zu werfen; dann steckte er sich ein Pfeifchen an und begann von den bevorstehenden Wahlen zu sprechen. Um den Ehrentitel eines Gouvernements-Adelsmarschalls bewarb sich damals ein gewisser Orbassanow, ein leerer Schreier und bestechlicher Mensch obendrein. Dabei zeichnete er sich weder durch Reichtum noch durch vornehme Abstammung aus. Ich äußerte meine Meinung über ihn ziemlich abfällig; offen gestanden, sah ich auf Herrn Orbassanow hochmütig herab. Der Isprawnik sah mich an, klopfte mir leutselig auf die Schulter und bemerkte gutmütig: ›Ach, Wassilij Wassiljewitch, uns beiden steht es nicht an, über solche Leute zu urteilen; wie kommen wir dazu – Schuster, bleib bei deinem Leisten.‹ – ›Ich bitte Sie‹, entgegnete ich ärgerlich, ›welch ein Unterschied ist zwischen mir und Herrn Orbassanow?‹ – Der Isprawnik nahm die Pfeife aus dem Mund, riß die Augen weit auf und lachte. – ›So ein Spaßvogel‹, sagte er endlich unter Tränen, ›so ein Witz… köstlich!‹ Bis zu seiner Abreise hörte er nicht mehr auf, sich über mich lustig zu machen; er stieß mich ab und zu mit den Ellenbogen in die Seite, und duzte mich zuletzt. Endlich fuhr er davon. Dieser eine Tropfen hatte nur noch gefehlt, die Schale war voll. Ich ging einigemal durchs Zimmer, blieb vor dem Spiegel stehen, betrachtete lange mein verlegenes Gesicht, streckte bedächtig die Zunge heraus und schüttelte mit bitterem Hohn den Kopf. Die Binde war mir von den Augen gefallen; ich sah ganz klar, klarer als mein Gesicht im Spiegel, welch ein leerer, nichtiger, überflüssiger und unorigineller Mensch ich war!« Der Erzähler schwieg eine Weile.

»In einer Tragödie Voltaires«, fuhr er traurig fort, »freut sich jemand darüber, daß er die äußerste Grenze des Unglücks erreicht habe. Obwohl in meinem Schicksal nichts Tragisches ist, habe ich doch, offen gestanden, etwas Ähnliches empfunden. Ich lernte die giftigen Wonnen der kalten Verzweiflung kennen; ich erfuhr, wie süß es ist, während eines ganzen Morgens, in seinem Bett liegend, ohne Übereilung den Tag und die Stunde seiner Geburt zu verfluchen; ich konnte mich nicht mit einem Male demütigen. Urteilen Sie doch selbst: Der Geldmangel fesselte mich an das mir verhaßte Gut; weder die Landwirtschaft noch der Staatsdienst, noch die Literatur standen mir an; den Gutsbesitzern ging ich aus dem Wege, die Bücher widerten mich an; für die wässerig-gedunsenen und krankhaft-empfindsamen Fräulein, die ihre Locken schütteln und fieberhaft das Wort ›Leben‹ wiederholen, stellte ich nichts Interessantes mehr dar, seitdem ich aufgehört hatte zu schwatzen und in Verzückung zu geraten; um mich ganz in die Einsamkeit zurückzuziehen, fehlten mir Verständnis und Kraft … Ich fing an – was glauben Sie wohl? – , mich bei den Nachbarn herumzutreiben. Von der Verachtung gegen sich selbst gleichsam berauscht, ließ ich wie absichtlich allerlei kleinliche Erniedrigungen über mich ergehen. Ich wurde bei Tisch mit manchem Gericht übergangen, man empfing mich kalt und hochmütig, übersah mich endlich ganz; man erlaubte mir nicht, mich in ein allgemeines Gespräch einzumischen, und es kam vor, daß ich selbst aus meinem Winkel irgendeinem dummen Schwätzer zustimmte, der früher in Moskau mit Entzücken den Staub meiner Füße, den Saum meines Mantels geküßt hätte… Ich erlaubte mir sogar selbst nicht den Gedanken, daß ich mich dem bitteren Genuß der Ironie hingebe… Ich bitte Sie, was ist es für eine Ironie, wenn man ganz allein ist! So habe ich einige Jahre hintereinander gehandelt und handle auch jetzt noch …«