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»Das ist aber schon gar zu bunt«, brummte im Nebenzimmer die verschlafene Stimme des Herrn Kantagrjuchin, »was für ein Dummkopf erlaubt sich, bei Nacht zu reden?«

Der Erzähler tauchte schnell unter die Bettdecke und drohte mir, schüchtern hervorlugend, mit dem Finger.

»Pst…, pst…«, flüsterte er und sägte dann respektvoll, sich nach der Richtung der Stimme Kantagrjuchins bückend und entschuldigend: »Ich höre, ich höre, entschuldigen Sie … Er darf schlafen, er muß schlafen«, fuhr er wieder flüsternd fort, »er muß neue Kräfte sammeln, wenn auch nur, um morgen mit demselben Genuß essen zu können. Wir haben nicht das Recht, ihn zu stören. Außerdem habe ich Ihnen, glaube ich, schon alles erzählt, was ich erzählen wollte; wahrscheinlich wollen Sie auch schon schlafen. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!«

Der Erzähler wandte sich mit fieberhafter Schnelligkeit weg und vergrub seinen Kopf in die Kissen.

»Darf ich wenigstens wissen«, fragte ich, »mit wem ich das Vergnügen habe …?«

Er hob rasch den Köpf.

»Nein, um Gottes willen«, unterbrach er mich, »fragen Sie weder mich noch sonst jemanden nach meinem Namen. Mag ich für Sie ein unbekanntes Geschöpf bleiben, ein vom Schicksal geschlagener Wassilij Wassiljewitsch. Außerdem verdiene ich, als unorigineller Mensch, keinen eigenen Namen … Wenn Sie mir aber unbedingt irgendeinen Namen geben wollen, so nennen Sie mich … nennen Sie mich den Hamlet des Schtschigrowschen Kreises. Solche Hamlets gibt es in jedem Kreis viel, vielleicht sind Sie aber noch nie einem begegnet… Und nun leben Sie wohl.«

Er vergrub sich wieder in sein Pfühl. Als man mich am anderen Morgen weckte, war er nicht mehr im Zimmer. Er war vor Sonnenaufgang weggefahren.

Tschertopchanow und Nedopjuskin

An einem heißen Sommertag kehrte ich einmal in einem einfachen Bauernwagen von der Jagd heim; Jermolai duselte neben mir sitzend und nickte fortwährend mit dem Kopf. Die schlafenden Hunde wurden unter unseren Füßen wie Leichen herumgerüttelt. Der Kutscher verscheuchte fortwährend mit seiner Peitsche die Bremsen von den Pferden. Der weiße Staub folgte als leichte Wolke dem Wagen. Wir kamen in ein Gebüsch. Der Weg wurde holpriger, die Räder fingen an, die Äste zu streifen. Jermolai fuhr auf und sah sich um … »Eh!« sagte er, »hier muß es ja Birkhühner geben. Wollen wir absteigen.« Wir hielten und traten ins Gebüsch. Mein Hund stieß auf eine Birkhuhnbrut. Ich schoß und wollte schon das Gewehr von neuem laden, als plötzlich hinter mir ein lautes Krachen ertönte und sich mir, die Büsche mit den Händen auseinanderschiebend, ein Reiter näherte. »Erlauben Sie die Frage«, begann er in hochmütigem Ton, »mit welchem Recht Sie hier jagen, verehrter Herr?« Der Unbekannte sprach ungewöhnlich rasch, abgerissen und durch die Nase. Ich sah ihm ins Gesicht: Mein Lebtag hatte ich nie etwas Ähnliches gesehen. Liebe Leser, stellen Sie sich einen kleinen blonden Menschen vor mit einem roten Stutznäschen und ungewöhnlich langem rotem Schnurrbart. Eine spitze, persische Mütze, mit himbeerfarbenem Tuch besetzt, bedeckte ihm die Stirn bis zu den Augenbrauen. Er trug einen gelben, abgetragenen Tscherkessenrock mit schwarzen plüschenen Patronenhülsen auf der Brust und verschossenen silbernen Tressen an allen Nähten; über die Schulter hing ihm ein Horn, im Gürtel steckte ein Dolch. Der magere Rotfuchs mit gebogener Nase taumelte unter ihm wie betrunken; zwei magere Windhunde mit krummen Beinen sprangen zwischen seinen Hufen. Das Gesicht, der Blick, die Stimme, jede Bewegung und das ganze Wesen des Unbekannten atmeten eine wahnwitzige Kühnheit und einen maßlosen, unerhörten Hochmut; seine blaßblauen, gläsernen Augen schweiften umher und schielten wie bei einem Betrunkenen; er warf den Kopf in den Nacken, blähte die Backen, schnaubte und zuckte mit dem ganzen Körper gleichsam im Überfluß seiner Würde – genau wie ein Truthahn. Er wiederholte seine Frage.

»Ich wußte nicht, daß das Schießen hier verboten ist«, antwortete ich.

»Verehrter Herr«, fuhr er fort, »Sie sind hier auf meinem Grund und Boden.«

»Wenn Sie wollen, entferne ich mich.«

»Gestatten Sie die Frage«, entgegnete er, »habe ich die Ehre, mit einem Edelmann zu sprechen?«

Ich nannte meinen Namen.

»In diesem Falle wollen Sie nur weiterjagen. Ich bin selbst Edelmann und freue mich, einem Edelmann dienen zu können … Ich heiße übrigens Pantelej Tschertopchanow.«

Er beugte sich vor, stieß einen Schrei aus und schlug sein Pferd auf den Hals; das Pferd schüttelte den Kopf, bäumte sich, schwenkte auf die Seite ab und trat einem der Hunde auf die Pfote. Der Hund begann durchdringend zu winseln. Tschertopchanow brauste und zischte auf, schlug das Pferd auf den Kopf, zwischen die Ohren, sprang schneller als der Blitz vom Sattel, untersuchte die Pfote des Hundes, spuckte auf die Wunde, stieß den Hund mit dem Fuß in die Seite, damit er nicht mehr winsele, ergriff das Pferd an der Mähne und setzte den Fuß in den Steigbügel. Das Pferd warf den Kopf empor, hob den Schweif und stürzte sich seitwärts in die Büsche; er folgte ihm auf einem Fuß hüpfend. Schließlich sprang er doch in den Sattel, schwang wie rasend die Reitpeitsche, stieß ins Horn und sprengte davon. Ich hatte mich von meinem Erstaunen über das unerwartete Erscheinen Tschertopchanows noch nicht erholt, als plötzlich aus dem Gebüsch fast geräuschlos ein dicker Mann von etwa vierzig Jahren auf einem schwarzen Pferdchen erschien. Er hielt an, zog eine grünlederne Mütze vom Kopf und fragte mich mit einer feinen, weichen Stimme, ob ich nicht einen Reiter auf einem Rotfuchs begegnet sei. Ich antwortete, den hätte ich wohl gesehen.

»Nach welcher Seite beliebte es dem Herrn zu reiten?« fuhr er in demselben Ton fort, ohne die Mütze aufzusetzen.

»Dorthin.«

»Ich danke Ihnen ergebenst.«

Er schnalzte mit den Lippen, schlug das Pferdchen mit den Beinen in die Flanken und trabte langsam in die von mir angegebene Richtung. Ich blickte ihm nach, bis seine gehörnte Mütze hinter den Zweigen verschwand. Dieser neue Unbekannte glich seinem Vorgänger in keiner Beziehung. Sein aufgedunsenes und kugelrundes Gesicht drückte Schüchternheit, Gutmütigkeit und sanfte Demut aus; die ebenfalls gedunsene und runde, von blauen Adern durchzogene Nase verriet einen Wollüstling. Auf seinem Kopf war vorn kein einziges Härchen übriggeblieben, hinten hingen aber noch einige dünne blonde Strähnen; die wie mit einem scharfen Schilfblatt geschlitzten Äuglein zwinkerten freundlich; süß lächelten seine roten und saftigen Lippen. Er trug einen Überrock mit einem Stehkragen und Messingknöpfen, ziemlich abgetragen, aber reinlich; seine tuchene Hose war in die Höhe gerutscht; über dem gelben Besatz der Stiefel waren seine vollen Waden zu sehen.