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Pantelej erfuhr von der Krankheit des Vaters beim Militär, mitten in der schon erwähnten 'Unannehmlichkeit'. Er war eben ins neunzehnte Lebensjahr getreten. Von Kind an hatte er das Elternhaus nicht verlassen und war unter der Leitung seiner Mutter Wassilissa Wassiljewna, einer herzensguten, aber vollkommen stumpfsinnigen Frau, als verzogenes Muttersöhnchen aufgewachsen. Sie allein hatte sich mit seiner Erziehung beschäftigt; Jeremej Lukitsch war ganz von seinen wirtschaftlichen Sorgen in Anspruch genommen und hatte keine Zeit dafür. Allerdings bestrafte er einmal seinen Sohn eigenhändig dafür, weil er den Buchstaben ›rzy‹ wie ›arzy‹ aussprach, aber an jenem Tag hatte Jeremej Lukitsch einen tiefen, heimlichen Kummer; sein bester Hund war an einen Baum angerannt und den Verletzungen erlegen. Die Bemühungen Wassilissa Wassiljewnas um die Erziehung Pantelejs beschränkten sich übrigens auf eine schmerzvolle Anstrengung: Im Schweiße ihres Angesichts hatte sie für ihn einen verabschiedeten Soldaten aus dem Elsaß, einen gewissen Bierkopf, als Hofmeister engagiert, vor dem sie bis zu ihrem Tode wie ein Espenblatt zitterte: Nun, dachte sie sich, wenn er mir kündigt, bin ich verloren! Was soll ich dann anfangen? «Wo soll ich einen andern Lehrer finden? Diesen schon habe ich mit vieler Mühe der Nachbarin weggeschnappt! – Bierkopf machte sich als kluger Mann seine Sonderstellung sofort zunutze: Er trank in einem fort und schlief vom Morgen bis zum Abend. Nach Beendigung der 'wissenschaftlichen Ausbildung' trat Pantelej in den Dienst. Wassilissa Wassiljewna war nicht mehr am Leben. Sie war ein halbes Jahr vor diesem wichtigen Ereignis vor Schreck gestorben; sie sah im Traum einen weißen Menschen auf einem Bären reiten. Jeremej Lukitsch folgte bald seiner besseren Hälfte nach.

Pantelej eilte bei der ersten Kunde von der Krankheit des Vaters Hals über Kopf zu ihm. Wie groß war aber das Erstaunen des ehrerbietigen Sohnes, als er sich plötzlich aus einem reichen Erben in einen Bettler verwandelt sah! Nur wenige Menschen sind imstande, eine so plötzliche Wendung zu ertragen. Pantelej wurde hart und wild. Aus einem ehrlichen und guten, wenn auch unberechenbaren und hitzigen Menschen verwandelte er sich in einen hochmütigen Raufbold, gab jeden Verkehr mit seinen Nachbarn auf – vor den Reichen schämte er sich, die Armen verschmähte er – und behandelte alle, selbst die vorgesetzten Behörden, mit unerhörter Frechheit: Ich bin eben ein Edelmann! Einmal hätte er den Kreispolizisten beinahe niedergeschossen, weil der mit der Mütze auf dem Kopf zu ihm ins Zimmer getreten war. Die Behörden sahen ihm ihrerseits natürlich auch nichts nach und gaben es ihm bei jeder Gelegenheit zu fühlen; aber sie hatten vor ihm doch einige Angst, denn er war ein schrecklicher Hitzkopf und forderte einen gleich nach dem zweiten Wort zu einem Zweikampf auf Messer. Bei der geringsten Widerrede begannen Tschertopchanows Augen unruhig umherzuschweifen und seine Stimme versagte… »Ah, wa-wa-wa-wa«, stammelte er, »und wenn es mich auch den Kopf kostet!« Dann war er imstande, die Wände hinaufzuklettern! Aber abgesehen davon war er ein makelloser Mensch und in keine anrüchige Sache verwickelt. Selbstverständlich besuchte ihn niemand… Dabei war er gutmütig und in seiner Weise auch hochherzig: Er konnte keine Ungerechtigkeit oder Unterdrückung selbst gegen Fremde ertragen. Für seine Bauern trat er mit Leib und Seele ein. »Wie?« pflegte er zu sagen, indem er sich wütend auf den Kopf schlug. »Meine Leute anrühren? Ich will nicht Tschertopchanow heißen, wenn…«

Tichon Iwanytsch Nedopjuskin konnte nicht auf seine Herkunft so stolz sein wie Pantelej Jeremejitsch. Sein Vater stammte von den Einhöfern ab und erlangte erst nach vierzigjährigen Diensten den Adel. Herr Nedopjuskin-Vater gehörte zu den Menschen, die das Unglück mit seiner Erbitterung verfolgt, die wie persönlicher Haß aussieht. Ganze sechzig Jahre lang, von der Geburt bis zum Tode, kämpfte der arme Mensch mit allen möglichen Nöten, Krankheiten und Schicksalsschlägen, die den kleinen Leuten eigentümlich sind; er plagte sich furchtbar ab, aß sich nicht satt, gönnte sich keinen Schlaf, bückte sich vor jedermann, verzagte und quälte sich, zitterte um jede Kopeke, wurde wirklich ›unschuldig‹ aus dem Dienst gejagt und starb schließlich auf einem Dachboden oder in einem Keller, ohne für sich und seine Kinder ein Stück Brot erarbeitet zu haben – das Schicksal hatte ihn wie einen Hasen auf der Treibjagd totgehetzt. Er war ein guter und ehrlicher Mensch, nahm aber doch Bestechungsgelder an – von zehn Kopeken bis zu zwei Silberrubel einschließlich. Nedopjuskin hatte eine magere und schwindsüchtige Frau gehabt und auch Kinder; zum Glück waren diese alle jung gestorben mit Ausnahme Tichons und einer Tochter Mitrodora, mit dem Zunamen ›Kaufmannsparade‹, die nach vielen traurigen und komischen Abenteuern einen verabschiedeten Gerichtsschreiber heiratete. Herr Nedopjuskin-Vater hatte noch bei Lebzeiten seinen Sohn Tichon als einen nichtetatmäßigen Schreiber in einer Kanzlei untergebracht, aber Tichon nahm gleich nach dem Ableben des Vaters seinen Abschied. Die ewige Unruhe, der qualvolle Kampf gegen Kälte und Hunger, das Jammern der Mutter, die Anstrengungen und die Verzweiflung des Vaters, die rohen Verfolgungen seitens des Hauswirtes und des Krämers, dieser ganze tägliche, ununterbrochene Kummer erzeugte in Tichon eine unbeschreibliche Schüchternheit; bei dem bloßen Anblick eines Vorgesetzten zitterte und erstarb er wie ein gefangenes Vögelchen. Er gab den Dienst auf. Die gleichgültige, vielleicht auch spöttische Natur gibt den Menschen verschiedene Fähigkeiten und Neigungen ein, ohne sich nach ihrer Stellung in der Gesellschaft und nach ihren Verhältnissen zu richten; mit der ihr eigenen Sorge und Liebe formte sie aus Tichon, dem Sohn eines armen Beamten, ein empfindsames, faules, sanftes, empfindliches Geschöpf, das ausschließlich für den Genuß geboren schien und mit einem außerordentlich feinen Geruchsinn und Geschmack begabt war… sie formte ihn, vollendete ihn aufs sorgfältigste und stellte es ihrer Schöpfung anheim, mit Sauerkraut und faulen Fischen heranzuwachsen. Diese Schöpfung wuchs heran und begann, was man so nennt, zu ›leben‹. Nun ging der Spaß los. Das Schicksal, das den Nedopjuskin-Vater ununterbrochen gepeinigt hatte, machte sich auch an den Sohn, es hatte wohl Geschmack daran gefunden. Aber gegen Tichon ging es anders vor: Es peinigte ihn nicht, sondern spielte mit ihm. Es brachte ihn kein einziges Mal zur Verzweiflung, zwang ihn nicht, die beschämenden Qualen des Hungers zu kosten, aber es trieb ihn durch ganz Rußland, aus Welikij-Ustjug nach Zarewo-Kokschaisk, aus der einen erniedrigenden und lächerlichen Stellung in die andere; bald beförderte es ihn zum ›Majordomus‹ bei einer zänkischen und gallsüchtigen Wohltäterin, bald machte es ihn zum Kostgänger bei einem reichen, geizigen Kaufmann, bald ernannte es ihn zum Vorstand der Hauskanzlei eines glotzäugigen, nach englischer Art zugestutzten Gutsbesitzers, bald erhob es ihn zu einem halben Haushofmeister und halben Spaßmacher bei einem Liebhaber der Hetzjagd… Mit einem Wort, das Schicksal ließ den armen Tichon den ganzen bitteren und giftigen Trank einer untergeordneten Existenz Tropfen auf Tropfen trinken. In seinem Leben hatte er genug den schweren Launen, der verschlafenen und boshaften Langweile der müßigen Gutsbesitzer gedient … Wie oft hatte er in seinem Zimmer, nachdem er einem Rudel von Gästen als Spielball gedient und von ihnen ›mit Gott‹ entlassen war, vor Scham verbrennend, mit kalten Tränen der Verzweiflung in den Augen, geschworen, sich gleich am nächsten Morgen heimlich aus dem Staub zu machen, sein Glück in der Stadt zu versuchen und wenigstens eine Schreiberstelle zu finden oder aber auf der Straße Hungers zu sterben. Aber erstens gab ihm Gott keine Kraft, zweitens war er zu schüchtern und drittens: Wie findet man eine Stelle, wen bittet man darum? »Man wird mir keine geben«, flüsterte zuweilen der Unglückliche, sich in seinem Bett von der einen Seite auf die andere wälzend: »Man wird mir keine geben!« Und am andern Tag trug er wieder sein Joch. Seine Stellung war um so qualvoller, als selbst die fürsorgliche Natur sich nicht die Mühe gegeben hatte, ihn auch nur mit einem winzigen Anteil jener Fähigkeiten und Anlagen zu begaben, ohne die das Amt eines Spaßmachers fast unmöglich ist. Er verstand z.B. nicht, bis zum Umfallen in einem mit dem Futter nach außen umgewendeten Bärenpelz zu tanzen oder in unmittelbarer Nähe geschwungener Hundepeitschen Witze und Komplimente zu machen; wenn man ihn nackt einem Frost von zwanzig Grad aussetzte, erkältete er sich zuweilen; sein Magen verdaute weder mit Tinte und sonstigem Zeug vermischten Wein noch gehackte Fliegenschwämme und Täublinge mit Essig. Gott allein weiß, was aus Tichon geworden wäre, wenn der letzte seiner Wohltäter, ein reich gewordener Branntweinpächter, in einer lustigen Stunde nicht den Einfall gehabt hätte, in seinem Testament folgenden Zusatz zu machen: ›Dem Sjosja (alias Tichon) Nedopjuskin vermache ich aber zum ewigen und erblichen Besitz das von mir wohlerworbene Dorf Besselendejewka mit allen Appertinenzien.‹ Einige Tage später wurde der Wohltäter beim Verzehren einer Sterlettsuppe vom Schlag gerührt. Es entstand ein Lärm, das Gericht trat ein und versiegelte, wie es sich gehört, die Hinterlassenschaft. Die Verwandten kamen zusammen, öffneten das Testament, lasen es und schickten nach Nedopjuskin. Nedopjuskin erschien. Der größte Teil der Versammelten wußte, welches Amt Tichon Iwanytsch bei seinem Wohltäter bekleidet hatte; man empfing ihn mit lauten Ausrufen und spöttischen Glückwünschen: »Der Gutsbesitzer, da ist er, der neue Gutsbesitzer!« schrien die übrigen Erben. – »Da kann man wirklich sagen«, fiel ein bekannter Spaßvogel und Witzbold ein, »da kann man wirklich sagen … das ist wirklich … was man so nennt … ein Erbe!« Und alle platzten vor Lachen. Nedopjuskin wollte an sein Glück lange nicht glauben. Man zeigte ihm das Testament, er errötete, kniff die Augen zusammen, fuchtelte abwehrend mit den Händen und begann zu schluchzen. Das Lachen der Versammlung wurde zu einem lauten, eintönigen Gebrüll. Das Dorf Besselendejewka zählte nur zweiundzwanzig leibeigene Seelen; niemand neidete es ihm, warum sollte man also nicht seinen Spaß haben? Nur ein Erbe aus Petersburg, ein würdiger Herr mit griechischer Nase und höchst vornehmem Gesichtsausdruck, Rostislaw Adamytsch Stoppel, konnte sich nicht beherrschen: Er rückte seitwärts zu Nedopjuskin heran und sah ihn hochmütig über die Schulter hinweg an. »Soviel ich sehen kann, mein Herr«, sagte er verächtlich und wegwerfend, »haben Sie beim verehrten Fjodor Fjodorowitsch das Amt eines Spaßmachers, sozusagen eines Dieners bekleidet?« Der Herr aus Petersburg bediente sich einer unerträglich deutlichen, scharfen und genauen Sprache. Der fassungslose und aufgeregte Nedopjuskin verstand die Worte des ihm unbekannten Herrn nicht, aber alle andern verstummten sofort; der Witzling lächelte herablassend. Herr Stoppel rieb sich beide Hände und wiederholte seine Frage. Nedopjuskin hob erstaunt die Augen und riß den Mund auf. Rostislaw Adamytsch blinzelte verächtlich mit den Augen.