»Ich gratuliere Ihnen, mein Herr, ich gratuliere«, fuhr er fort. »Freilich darf man wohl sagen, daß nicht jedermann geneigt wäre, sich sein Brot auf diese Weise zu verdienen; aber de gustibus non est disputandum, das heißt, ein jeder nach seinem Geschmack… Nicht wahr?«
In der hinteren Reihe winselte jemand ganz unanständig vor Erstaunen und Entzücken.
»Sagen Sie«, fiel Herr Stoppel ein, »welchem Talent insbesondere haben Sie Ihr Glück zu verdanken? Nein, schämen Sie sich nicht, sagen Sie es; wir sind ja hier alle unter uns, sozusagen en famille! Nicht wahr, meine Herren, wir sind doch en famille?«
Der Erbe, an den sich Herr Stoppel zufällig mit seiner Frage gewandt hatte, verstand leider kein Französisch und beschränkte sich daher auf ein leichtes, beifälliges Räuspern. Ein anderer Erbe, ein junger Mann mit gelblichen Flecken auf der Stirn, bestätigte dagegen hastig: »Wui, wui, selbstverständlich.«
»Sie könnten vielleicht«, begann Herr Stoppel von neuem, »auf den Händen, die Füße sozusagen nach oben gerichtet, gehen?«
Nedopjuskin blickte trübsinnig um sich – alle Gesichter lächelten gehässig, alle Augen glänzten vor Vergnügen. »Oder verstanden Sie vielleicht wie ein Hahn zu krähen?« Schallendes Gelächter erhob sich ringsum und verstummte sofort, von der Erwartung des Kommenden erstickt.
»Oder konnten Sie vielleicht mit der Nase …«
»Hören Sie auf!« unterbrach plötzlich den Rostislaw Adamytsch eine laute und scharfe Stimme. »Wie schämen Sie sich nicht, den armen Menschen zu quälen!«
Alle sahen sich um. In der Tür stand Tschertopchanow. Als Neffe vierten Ranges des seligen Branntweinpächters hatte auch er eine Einladung zum Familienkongreß bekommen. Während der Verlesung des Testaments hatte er sich – wie immer – hochmütig abseits von den andern gehalten.
»Hören Sie auf!« wiederholte er und warf den Kopf stolz in den Nacken.
Herr Stoppel wandte sich rasch um. Als er einen ärmlich gekleideten, unansehnlichen Menschen sah, fragte er halblaut seinen Nachbar (denn Vorsicht kann nie schaden): »Wer ist das?«
»Tschertopchanow, kein großes Tier«, antwortete ihm jener ins Ohr.
Rostislaw Adamytsch setzte eine hochmütige Miene auf.
»Was haben Sie zu kommandieren?« sagte er durch die Nase, mit den Augen blinzelnd. »Was sind Sie für ein Tier, wenn ich fragen darf?«
Tschertopchanow flammte auf wie Pulver von einem Funken. Die Wut benahm ihm den Atem.
»Ds-ds-ds-ds«, zischte er, wie wenn man ihn würgte, und donnerte plötzlich: »Wer ich bin? Wer ich bin? Ich bin der Edelmann Pantelej Tschertopchanow, mein Ururgroßvater hat dem Zaren gedient, und wer bist du?«
Rostislaw Adamytsch erbleichte und trat einen Schritt zurück. Eine solche Abfuhr hatte er nicht erwartet.
»Ich ein Tier! Ich ein Tier … Oh, oh, oh!«
Tschertopchanow ging auf ihn los; Stoppel sprang in großer Erregung zurück, die Gäste stürzten dem aufgebrachten Gutsbesitzer entgegen.
»Wir schießen uns, wir schießen uns, gleich hier auf der Stelle, über ein Schnupftuch!« schrie der rasende Pantelej. »Oder bitte mich um Verzeihung und auch ihn…«
»Bitten Sie doch um Verzeihung«, stammelten die aufgeregten Erben rings um Stoppel. »Er ist ja verrückt und kann einen erdolchen!«
»Verzeihen Sie, verzeihen« Sie, ich habe nicht gewußt«, lallte Stoppel, »ich habe nicht gewußt…«
»Bitte auch ihn um Verzeihung!« brüllte der unerbittliche Pantelej.
»Entschuldigen auch Sie«, fügte Rostislaw Adamytsch hinzu, sich an Nedopjuskin wendend, welcher selbst wie im Fieber zitterte.
Tschertopchanow beruhigte sich, ging auf Tichon Iwanytsch zu, nahm ihn bei der Hand, blickte frei um sich und verließ, als er keinem Blick begegnete, inmitten tiefsten Schweigens zugleich mit dem neuen Besitzer des wohlerworbenen Dorfes Besselendejewka das Zimmer.
Von diesem Tag an trennten sie sich nicht mehr. (Das Dorf Besselendejewka lag nur acht Werst von Bessonowo entfernt.) Die grenzenlose Dankbarkeit Nedopjuskins ging bald in eine andachtsvolle Unterwürfigkeit über. Der schwache, sanfte, in Geldsachen nicht ganz saubere Tichon beugte sich in den Staub vor dem furchtlosen und uneigennützigen Pantelej. Eine Kleinigkeit! dachte er manchmal bei sich. Er spricht mit dem Gouverneur und blickt ihm dabei gerade in die Augen… bei Gott, gerade in die Augen…!
Er bewunderte ihn ganz sinnlos, bis zur Erschöpfung aller Seelenkräfte, und hielt ihn für einen ungewöhnlichen, klugen und gelehrten Menschen. Man muß wohl sagen: Wie schlecht auch Tschertopchanows Erziehung war, im Vergleich mit der Erziehung Tichons konnte sie immer noch eine glänzende genannt werden. Tschertopchanow las allerdings nur wenig Russisch und verstand schlecht Französisch – so schlecht, daß er einmal auf die Frage eines Schweizer Hofmeisters »Vous parlez francais, monsieur?« antwortete: »Sche verstehe nicht«, und nach einiger Überlegung hinzusetzte: »pas«; aber er wußte immer noch, daß es auf der Welt einmal einen Voltaire, einen höchst beißenden Schriftsteller, gegeben und daß Friedrich der Große, König von Preußen, sich auf militärischem Gebiet ausgezeichnet habe. Von russischen Schriftstellern achtete er Derschawin und liebte Marlinskij; seinen besten Hund nannte er nach einem der Helden Marlinskijs Amalat Beck…