Die Tür ging leise auf, und ich erblickte eine Frau von etwa zwanzig Jahren, groß und schlank, mit einem dunklen Zigeunergesicht, gelbbraunen Augen und einem pechschwarzen Zopf; die großen weißen Zähne leuchteten zwischen den vollen und roten Lippen. Sie trug ein weißes Kleid; ein blauer Schal, am Halse mit einer goldenen Nadel festgesteckt, bedeckte zur Hälfte ihre feinen, rassigen Arme. Sie machte zwei Schritte mit der scheuen Unbeholfenheit einer Wilden, blieb stehen und senkte das Gesicht.
»Hier, ich stelle Ihnen vor«, sagte Pantelej Jeremejitsch, »meine richtige Frau ist sie eigentlich nicht, aber so gut wie eine Frau.«
Mascha errötete leicht und lächelte verlegen. Ich verneigte mich vor ihr besonders tief. Sie gefiel mir sehr. Die feine Adlernase mit den offenen, halb durchsichtigen Flügeln, der kühne Schwung der hohen Augenbrauen, die blassen, ein wenig eingefallenen Wangen, alle ihre Gesichtszüge drückten launische Leidenschaftlichkeit und sorglose Ausgelassenheit aus. Unter dem geflochtenen Zopf liefen zwei glänzende Haarsträhnen den breiten Hals herab – ein Zeichen von Rasse und Kraft.
Sie trat ans Fenster und setzte sich. Ich wollte ihre Verlegenheit nicht noch vergrößern und begann ein Gespräch mit Tschertopchanow. Mascha wandte etwas den Kopf und musterte mich mit verstohlenen, wilden und schnellen Blicken. Ihre Blicke waren so schnell wie ein Schlangenstachel. Nedopjuskin setzte sich zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie lächelte wieder. Beim Lächeln runzelte sie die Nase und hob die Oberlippe, was ihrem Gesicht etwas von einer Katze und vielleicht auch von einer Löwin verlieh…
Oha, du bist ein Rührmichnichtan, dachte ich mir, indem ich meinerseits verstohlen ihre biegsame Taille, die eingefallene Brust und die eckigen, raschen Bewegungen beobachtete.
»Was glaubst du, Mascha«, fragte Tschertopchanow, »man sollte doch dem Gast etwas vorsetzen, wie?«
»Wir haben Eingemachtes«, antwortete sie.
»Nun, gib das Eingemachte her, bei dieser Gelegenheit auch den Schnaps. Hör, Mascha«, rief er ihr nach, »bring auch die Gitarre!«
»Wozu die Gitarre? Ich werde nicht singen.«
»Warum nicht?«
»Ich will nicht.«
»Unsinn, du wirst schon wollen, wenn…«
»Was?« fragte Mascha, schnell die Brauen runzelnd.
»Wenn man dich darum bittet«, sprach Tschertopchanow den Satz nicht ohne Verlegenheit zu Ende.
»Ach so!«
Sie ging hinaus, kehrte bald mit dem Eingemachten und mit dem Schnaps zurück und setzte sich wieder ans Fenster. Auf ihrer Stirn war noch eine Runzel zu sehen; die beiden Augenbrauen hoben und senkten sich wie die Fühler einer Wespe … Haben Sie schon einmal bemerkt, Leser, was für ein böses Gesicht so eine Wespe hat? Nun, dachte ich mir, es wird ein Gewitter geben. Das Gespräch wollte nicht ordentlich in Fluß kommen; Nedopjuskin war gänzlich verstummt und lächelte gespannt; Tschertopchanow keuchte, errötete und glotzte; ich hatte schon die Absicht, mich zu empfehlen… Mascha erhob sich plötzlich, öffnete das Fenster, steckte den Kopf hinaus und rief wütend einem vorübergehenden Bauernweibe zu: »Aksinja!« Das Weib fuhr zusammen, wollte sich umdrehen, glitt aber aus und fiel schwer zu Boden. Mascha warf sich zurück und begann laut zu lachen; auch Tschertopchanow lachte; Nedopjuskin piepste vor Vergnügen. Wir wurden alle lebendig. Das Gewitter hatte sich durch einen einzigen Blitz entladen … die Luft war nun rein.
Eine halbe Stunde später hätte uns niemand wiedererkannt; wir plauderten und tollten wie die Kinder. Mascha war ausgelassener als alle. Ihr Gesicht war blaß geworden, die Nasenlöcher hatten sich gebläht, der Blick war leuchtender und zugleich dunkler geworden. Die Wilde war entfesselt. Nedopjuskin humpelte auf seinen dicken und kurzen Beinchen hinter ihr her wie ein Enterich hinter einer Ente. Selbst Vensor kam unter der Bank im Vorzimmer hervorgekrochen, blieb eine Weile auf der Schwelle stehen, sah uns an und begann plötzlich zu springen und zu bellen, Mascha flog flink wie ein Vögelchen ins andere Zimmer hinüber, brachte die Gitarre, warf sich den Schal von den Schultern, setzte sich rasch und stimmte ein Zigeunerlied an. Ihre Stimme klang und zitterte wie ein gesprungenes Glasglöckchen, sie schwoll an und erstarb… Es wurde einem dabei so süß und so bange ums Herz. – »Ai, brenne, glüh und sprich…!« Tschertopchanow fing an zu tanzen. Nedopjuskin stampfte und strampelte mit den Füßen. Mascha war ganz Bewegung und bog sich wie Birkenrinde im Feuer, die feinen Finger liefen hurtig über die Saiten, der braune Hals hob sich langsam unter der doppelten Bernsteinkette. Bald verstummte sie, sank erschöpft hin und zupfte lustlos an den Saiten; Tschertopchanow blieb stehen, zuckte nur mit einer Achsel und tänzelte auf einem Fleck, während Nedopjuskin wie ein Porzellanchinese mit dem Kopf wackelte; bald sang sie wieder aus voller Kehle wie eine Wahnsinnige, richtete sich auf und reckte die Brust, Tschertopchanow hockte sich wieder bis zur Erde nieder, sprang bis an die Decke, drehte sich wie ein Kreisel und schrie: »Schneller…!«
»Schneller, schneller, schneller, schneller!« wiederholte Nedopjuskin.
Spät am Abend verließ ich Bessonowo.
Das Ende Tschertopchanows
Etwa zwei Jahre nach meinem Besuch bei Pantelej Jeremejitsch trafen ihn harte Schicksalsschläge, Schicksalsschläge im buchstäblichen Sinne des Wortes. Unannehmlichkeiten, Mißerfolge und Unglücksfälle hatte er auch schon früher erlebt; aber er hatte ihnen keine Beachtung geschenkt und nach wie vor wie ein Fürst gelebt. Der erste Schlag, der ihn traf, war für ihn am empfindlichsten: Mascha verließ ihn.
Was sie bewegen hatte, aus seinem Haus zu gehen, an das sie sich so gut gewöhnt zu haben schien, ist schwer zu sagen. Tschertopchanow hielt bis ans Ende seiner Tage an der Ansicht fest, daß die Schuld an Maschas Verrat ein junger Nachbar gewesen sei, ein Ulanenrittmeister a. D. namens Jaff, der nach den Worten Pantelej Jeremejitschs nur dadurch einnahm, daß er ununterbrochen seinen Schnurrbart drehte, sehr viel Pomade gebrauchte und mit wichtiger Miene ›Hm‹ zu sagen pflegte; es ist aber eher anzunehmen, daß hier das unstete Zigeunerblut, das in Maschas Adern floß, im Spiele war. Wie dem auch sei, an einem schönen Sommerabend band Mascha einige Kleidungsstücke zu einem kleinen Bündel zusammen und verließ Tschertopchanows Haus.
Vorher hatte sie drei Tage in einem Winkel gesessen, zusammengekauert und an die Wand gedrückt, wie eine verwundete Füchsin; sie hatte kein Wort gesprochen, sondern nur immer die Augen herumschweifen lassen, nachgedacht, mit den Brauen gezuckt, die Zähne gefletscht und die Arme bewegt, als wenn sie sich in etwas einhüllte. Solche Launen hatte sie auch schon früher gehabt, aber so lange hatte der Zustand noch nie gedauert; Tschertopchanow wußte es, beunruhigte daher weder sich selbst noch sie. Als er aber auf dem Heimweg vom Hundezwinger, wo, nach den Worten seines Jagdgehilfen, die beiden letzten Windhunde ›verreckt‹ waren die Dienstmagd traf, die ihm mit bebender Stimme meldete, Maria Akinfijewna lasse ihn grüßen und ihm sagen, daß sie ihm alles Gute wünsche, zu ihm aber nicht mehr zurückkehren werde – da drehte sich Tschertopchanow ein paarmal auf einem Fleck, gab ein dumpfes Gebrüll von sich und stürzte der Flüchtigen nach; für jeden Fall nahm er seine Pistole mit.
Er hohe sie zwei Werst von seinem Hause ein, neben dem Birkenwäldchen an der Landstraße, die nach der Kreisstadt führte. Die Sonne stand tief am Horizont, und alles ringsum war plötzlich rot geworden: die Bäume, das Gras und die Erde.
»Zu Jaff! Zu Jaff!« stöhnte Tschertopchanow, sobald er Mascha erblickte. »Zu Jaff!« sagte er wieder, auf sie zulaufend und bei jedem Schritt fast stolpernd.
Mascha blieb stehen und wandte ihm ihr Gesicht zu. Sie stand mit dem Rücken zum Licht und erschien ganz schwarz, wie aus dunklem Holz geschnitzt. Nur das Weiße ihrer Augen leuchtete wie silberne Mandeln, die Pupillen selbst schienen aber noch dunkler. Sie warf ihr Bündel auf die Seite und kreuzte die Arme.