»Zu Jaff gehst du, Nichtswürdige!« wiederholte Tschertopchanow. Er wollte sie an der Schulter packen, bekam aber, von ihrem Blick getroffen, Angst und hielt verlegen inne.
»Ich gehe gar nicht zu Herrn Jaff, Pantelej Jeremejitsch«, antwortete Mascha ruhig und leise, »aber ich kann mit Ihnen nicht mehr leben.«
»Wieso kannst du nicht mehr leben? Warum? Habe ich dich denn irgendwie gekränkt?«
Mascha schüttelte den Kopf.
»Sie haben mich durch nichts gekränkt, Pantelej Jeremejitsch, aber mir ist bei Ihnen zu öde … Für das Vergangene danke ich Ihnen, aber bleiben kann ich nicht, nein!«
Tschertopchanow war erstaunt; er schlug sich sogar auf die Schenkel und sprang in die Höhe.
»Was ist denn das? Hast bei mir so lange gelebt, hast nichts als Freude und Ruhe gehabt, und plötzlich langweilst du dich bei mir! ›Ich will ihn verlassen‹, sagst du auf einmal. Nimmst ein Tuch über den Kopf und gehst fort. Alle Achtung wurde dir bei mir erwiesen, ganz wie einer Gnädigen …«
»Das brauchte ich gar nicht«, unterbrach ihn Mascha.
»Das brauchtest du nicht? Bist aus einer Zigeunerin und Herumtreiberin eine Gnädige geworden, und das brauchtest du nicht? Wieso brauchtest du das nicht, du Hams Brut? Kann man es denn glauben? Verrat steckt dahinter, Verrat!« Er zischte wieder.
»Ich habe gar keinen Verrat im Sinn und auch niemals im Sinne gehabt«, sagte Mascha mit ihrer singenden, deutlichen Stimme, »aber ich habe es Ihnen schon gesagt: Die Sehnsucht hat mich gepackt.«
»Mascha!« rief Tschertopchanow und schlug sich mit der Faust vor die Brust, »Hör doch auf, genug, hast mich genug gequält, jetzt laß es sein! Bei Gott! Bedenke nur, was Tichon sagen wird, habe doch wenigstens mit ihm Mitleid!«
»Grüßen Sie Tichon Iwanytsch von mir und sagen Sie ihm …«
Tschertopchanow hob die Arme: »Nein, du irrst, du entkommst mir nicht! Dein Jaff wird es niemals erleben!«
»Herr Jaff …«, begann Mascha.
»Was ist er für ein Herr Jaff?« äffte Tschertopchanow nach. »Er ist ein Schuft, ein Gauner und hat eine Fratze wie ein Affe!«
Eine halbe Stunde schlug sich Tschertopchanow mit Mascha herum. Bald trat er ganz dicht an sie heran, bald sprang er zurück, holte zu einem Schlag aus, verneigte sich wieder vor ihr, weinte und fluchte… »Ich kann nicht«, wiederholte Mascha, »es ist mir so traurig… Die Langweile wird mich töten.« Ihr Gesicht nahm allmählich einen so gleichgültigen, fast schläfrigen Ausdruck an, daß Tschertopchanow fragte, ob man sie nicht mit irgendeinem Trank behext hätte.
»Die Langweile«, sagte sie zum zehntenmal.
»Und wenn ich dich töte?« rief er plötzlich und holte aus der Tasche die Pistole.
Mascha lächelte, ihr Gesicht belebte sich. »Nun, töten Sie mich, Pantelej Jeremejitsch, das ist in Ihrer Gewalt, aber zurückkehren werde ich nicht.«
»Du wirst nicht zurückkehren…?« Tschertopchanow spannte den Hahn.
»Ich werde nicht zurückkehren, Liebster. Nie im Leben kehre ich zurück. Ich halte mein Wort.«
Tschertopchanow steckte ihr plötzlich die Pistole in die Hand und setzte sich auf die Erde. »Nun, dann töte du mich! Ohne dich will ich nicht leben. Du magst mich nicht mehr, und auch ich mag nichts mehr im Leben.«
Mascha bückte sich, hob ihr Bündelchen auf, legte die Pistole ins Gras, den Lauf von Tschertopchanow abgewandt, und rückte näher zu ihm heran.
»Ach, Liebster, was grämst du dich? Oder kennst du uns Zigeunerinnen nicht? So ist einmal unsere Art, unsere Sitte. Wenn die Sehnsucht kommt und das Herz in ein fremdes, fernes Land lockt – wie kann man dann bleiben? Denke an deine Mascha – eine solche Freundin findest du nie wieder; auch ich vergesse dich nicht, mein Falke. Unser Miteinanderleben ist aber aus!«
»Ich habe dich geliebt, Mascha«, murmelte Tschertopchanow durch die Finger, die er sich aufs Gesicht preßte.
»Auch ich habe Sie geliebt, Freund Pantelej Jeremejitsch!«
»Ich habe dich geliebt, ich liebe dich wahnsinnig, bis zur Bewußtlosigkeit – und wenn ich bedenke, daß du mich so ohne jeden Grund, so mir nichts, dir nichts, verläßt und dich in der Welt herumtreiben willst, so stelle ich mir vor, daß, wenn ich nicht so ein armer Teufel wäre, du mich niemals verlassen hättest!«
Auf diese Worte hatte Mascha nur ein Lächeln. »Und du hast mich doch immer uneigennützig genannt!« sagte sie und schlug ihn kräftig auf die Schulter.
Er sprang auf die Füße. »Nun, dann nimm wenigstens Geld von mir – was willst du denn ohne Geld anfangen? Aber noch besser: Töte mich! Ich sage es dir klar und deutlich: Töte mich auf einen Schlag!«
Mascha schüttelte wieder den Kopf. »Dich töten? Und wofür wird man nach Sibirien verschickt, mein Lieber?«
Tschertopchanow fuhr zusammen. »Also nur darum nicht, aus Furcht vor Sibirien …»
Er warf sich wieder ins Gras.
Mascha stand eine Weile schweigend über ihm. »Du tust mir leid, Pantelej Jeremejitsch«, sagte sie mit einem Seufzer, »du bist ein guter Mensch … aber es ist nichts zu machen – leb wohl!«
Sie wandte sich weg und machte zwei Schritte. Die Nacht war schon angebrochen, von allen Seiten schwebten dunkle Schatten heran. Tschertopchanow sprang schnell auf und packte Mascha von rückwärts an den beiden Ellenbogen.
»Du gehst also, Schlange? Zu Jaff!«
»Leb wohl!« sagte Mascha ausdrucksvoll und scharf. Sie riß sich los und ging.
Tschertopchanow sah ihr nach, lief zu der Stelle, wo die Pistole lag, ergriff sie, zielte und schoß … Aber bevor er losdrückte, wandte er die Waffe nach oben; die Kugel pfiff über Maschas Kopf hinweg. Sie sah ihn im Gehen über die Schulter an und ging, sich wiegend, weiter, als neckte sie ihn.
Er bedeckte sich das Gesicht und rannte davon … Aber er war noch nicht fünfzig Schritte gelaufen, als er plötzlich wie angewurzelt stehenblieb. Eine bekannte, allzu bekannte Stimme schlug an sein Ohr. Mascha sang. »O schöne Zeit, o Jugendzeit!« sang sie; jeder Ton schwebte durch die Abendluft, klagend und sehnsuchtsvoll. Tschertopchanow lauschte. Die Stimme entfernte sich immer mehr; bald erstarb sie ganz, bald tönte sie wieder, kaum hörbar, doch voller Glut …
Das tut sie mir zum Trotz, dachte sich Tschertopchanow; aber er stöhnte gleich darauf: »Ach, nein! Sie nimmt von mir Abschied für immer«, und brach in Tränen aus.
Am nächsten Tag erschien er in der Wohnung des Herrn Jaff, der als echter Weltmann die Einsamkeit des Landlebens nicht liebte und sich darum in der Kreisstadt niedergelassen hatte, ›näher bei den jungen Damen‹, wie er sich ausdrückte. Tschertopchanow traf Jaff nicht an; nach den Worten seines Kammerdieners war er einen Tag vorher nach Moskau abgereist.
»Ja, es stimmt!« rief Tschertopchanow voller Wut. »Es ist eine abgekartete Sache, sie ist mit ihm geflohen … aber warte!«
Er stürzte sich trotz des Widerstandes des Kammerdieners ins Kabinett des jungen Rittmeisters. Im Kabinett hing über dem Sofa ein in Öl gemaltes Bild des Hausherrn.
»Ah, da bist du, du schwanzloser Affe!« donnerte Tschertopchanow; er sprang aufs Sofa, schlug mit der Faust auf die gespannte Leinwand und machte ein großes Loch.
»Sag deinem nichtsnutzigen Herrn«, wandte er sich an den Kammerdiener, »daß der Edelmann Tschertopchanow in Abwesenheit der wirklichen Fratze deines Herrn die gemalte verstümmelt hat; wenn er aber von mir Genugtuung haben will, so weiß er selbst, wo er den Edelmann Tschertopchanow finden kann! Andernfalls aber werde ich ihn finden, auf dem Meeresgrund werde ich ihn finden, den gemeinen Affen!«
Nachdem er diese Worte gesprochen hatte, sprang Tschertopchanow vom Sofa und entfernte sich feierlich.
Aber der Rittmeister Jaff verlangte von ihm keinerlei Genugtuung – er begegnete ihm sogar niemals mehr; auch Tschertopchanow dachte gar nicht daran, seinen Feind zu suchen, und es kam zu gar keinem Auftritt zwischen ihnen. Mascha selbst war aber bald darauf spurlos verschwunden. Tschertopchanow fing an zu saufen, kam aber wieder zur Vernunft. Doch da traf ihn der zweite Schlag.