»Warum sollen wir uns beschweren?« sagte mit einer tiefen Verbeugung ein gesetzter Bauer mit grauem Bart, der ganz wie ein alter Patriarch aussah. (Den Juden hatte er übrigens genauso wie die anderen mißhandelt.) »Wir kennen dich, Väterchen Pantelej Jeremejitsch, gut; wir sind deiner Gnaden dankbar, daß du uns eine Lehre erteilt hast!«
»Warum sollen wir uns beschweren!« fielen ihm die andern ins Wort. »Mit dem Ungetauften werden wir aber schon abrechnen! Er entkommt uns nicht! Wir werden ihn wie einen Hasen im Felde …«
Tschertopchanow bewegte seinen Schnurrbart, schnaubte und ritt im Schritt auf sein Gut, begleitet vom Juden, den er auf die gleiche Weise von seinen Bedrängern befreit hatte wie einst den Tichon Nedopjuskin.
Einige Tage später meldete ihm der einzige Diener, der Tschertopchanow noch geblieben war, es sei ein Reiter gekommen und wünsche ihn zu sprechen. Tschertopchanow trat vors Haus und sah den ihm bekannten Juden mitten auf dem Hof unbeweglich und stolz auf einem herrlichen Donschen Pferde sitzen. Der Jude hatte keine Mütze auf, er hielt sie unter dem Arm; seine Füße hatte er nicht in die Steigbügel selbst gesteckt, sondern in die Riemen der Steigbügel; die zerrissenen Schöße seines Kaftans hingen zu beiden Seiten des Sattels herab. Als er Tschertopchanow erblickte, schmatzte er mit den Lippen, zuckte mit den Ellenbogen und mit den Beinen.
Aber Tschertopchanow erwiderte nicht nur nicht seinen Gruß, sondern flammte plötzlich auf – so ein räudiger Jud' wagt es, auf so einem herrlichen Pferd zu sitzen …! »He, du äthiopische Fratze!« schrie er. »Steig sogleich ab, wenn du nicht willst, daß man dich in den Schmutz hinunterwirft!« Der Jude gehorchte sofort. Er fiel wie ein Sack vom Sattel und ging, die Zügel in der einen Hand, lächelnd und sich bückend auf Tschertopchanow zu.
»Was willst du?« fragte ihn Pantelej Jeremejitsch mit Würde.
»Euer Wohlgeboren, belieben zu sehen, was das für ein Pferdchen ist!« sagte der Jude, sich immer noch verbeugend.
»Hm … ja … ein gutes Pferd. Wo hast du es her? Hast es wohl gestohlen?«
»Was denken Sie, Euer Wohlgeboren! Ich bin ein ehrlicher Jud', ich habe es nicht gestohlen, ich habe es für Euer Wohlgeboren aufgetrieben! Solche Mühe habe ich mir gegeben, solche Mühe! Dafür ist es auch ein Pferd! So ein Pferd kann man am ganzen Don nicht mehr finden. Schauen Sie nur, Euer Wohlgeboren, was es für ein Pferd ist! Bemühen Sie sich her! – Tpru… tpru… dreh dich um, stell dich seitwärts! Wir wollen aber den Sattel abnehmen. Nun, was sagen Sie, Euer Wohlgeboren?«
»Das Pferd ist gut«, wiederholte Tschertopchanow mit geheuchelter Gleichgültigkeit, sein Herz klopfte aber in der Brust. Er war ein gar zu leidenschaftlicher Liebhaber von ›Pferdefleisch‹ und verstand sich darauf.
»Sehen Sie ihn sich nur an, Euer Wohlgeboren! Streicheln Sie ihn am Halse, hi-hi-hi! Ja, so!«
Tschertopchanow legte die Hand wie widerwillig dem Pferde auf den Hals, klopfte zweimal, fuhr dann mit den Fingern von der Mähne den Rücken entlang, und als er eine gewisse Stelle über den Nieren erreichte, drückte er auf Kennerart leicht darauf. Das Pferd bog sofort das Rückgrat, schielte mit seinem stolzen schwarzen Auge nach Tschertopchanow, schnaubte und wechselte die Stellung der Vorderbeine.
Der Jude lachte und klatschte leicht in die Hände. »Es erkennt seinen Herrn, Euer Wohlgeboren, seinen Herrn!«
»Nun, fasele nicht«, unterbrach ihn Tschertopchanow ärgerlich. »Um dir das Pferd abzukaufen, habe ich kein Geld, und Geschenke nehme ich nicht nur von dir, du Jud«, sondern auch vom lieben Gott selbst nicht an!«
»Wie wage ich auch, Ihnen etwas zu schenken, ich bitte Sie!« rief der Jude» »Kaufen Sie es, Euer Wohlgeboren … auf das Geld will ich aber warten.«
Tschertopchanow wurde nachdenklich. »Was verlangst du dafür?« fragte er endlich durch die Zähne. Der Jude zuckte die Achseln. »Was ich selbst bezahlt habe. Zweihundert Rubel.«
Das Pferd war zwei- oder sogar vielleicht dreimal mehr wert.
Tschertopchanow wandte sich zur Seite und gähnte nervös. »Und wann ist … die Zahlung?« fragte er, gewaltsam die Brauen runzelnd, ohne den Juden anzusehen.
»Wann es Euer Wohlgeboren beliebt.«
Tschertopchanow warf den Kopf zurück, hob aber die Augen nicht. »Das ist keine Antwort. Sprich vernünftig, du Herodesbrut! Soll ich von dir vielleicht eine Gefälligkeit annehmen?«
»Nun, sagen wir einmal so«, versetzte der Jude schnell, »nach sechs Monaten … sind Sie einverstanden?«
Tschertopchanow antwortete nichts.
Der Jude versuchte ihm in die Augen zu blicken. »Sind Sie einverstanden? Befehlen Sie, das Pferd in den Stall zu führen?«
»Den Sattel brauche ich nicht«, sagte Tschertopchanow kurz. »Nimm den Sattel mit, hörst du?«
»Gewiß, gewiß, ich werde ihn mitnehmen«, stammelte der Jude erfreut und lud sich den Sattel auf die Schulter.
»Das Geld aber«, fuhr Tschertopchanow fort, »in sechs Monaten, Und nicht zweihundert, sondern zweihundertfünfzig. Schweig! Zweihundertfünfzig sage ich dir! Die hast du bei mir gut.«
Tschertopchanow konnte sich noch immer nicht entschließen, die Augen zu heben. Noch niemals war sein Stolz so sehr verletzt. – Es ist doch klar, daß es ein Geschenk ist, dachte er sich, aus Dankbarkeit hat es mir der Teufel gebracht! – Er wäre imstande, den Juden zu umarmen oder auch zu verprügeln …
»Euer Gnaden Wohlgeboren«, begann der Jude ermutigt und lächelnd, »man müßte es nach russischer Sitte machen: aus einem Rockschoß in den andern …«
»Was dir nicht einfällt! Ein Jud'… und denkt an russische Sitten! – He, wer ist dort? Nimm das Pferd und führ es in den Stall. Und schütte ihm Hafer vor. Ich komme gleich selbst hin und schaue nach. Und merk dir: Das Pferd heißt Malek-Adel!«
Tschertopchanow war schon die Treppe hinaufgegangen, drehte sich aber scharf auf dem Absatz um, lief auf den Juden zu und drückte ihm fest die Hand. Dieser bückte sich und spitzte schon die Lippen, aber Tschertopchanow sprang zurück, sagte leise: »Erzähl es niemand«, und verschwand hinter der Tür.
Von diesem Tage an wurde Malek-Adel zur Hauptbeschäftigung, zur wichtigsten Sorge und zur größten Freude im Leben Tschertopchanows. Er liebte ihn so, wie er nicht einmal Mascha geliebt hatte, und hing an ihm stärker als an Nedopjuskin. Das war aber auch ein Pferd! Feuer, wirkliches Feuer, Schießpulver, dabei aber eine Würde wie bei einem Bojaren! Unermüdlich, ausdauernd, läßt sich überall hin wenden, leistet keinen Widerstand. – Sein Futter kostet aber so gut wie nichts: Wenn es nichts anderes gibt, so frißt er die Erde unter sich. Geht er im Schritt, so trägt er einen wie auf den Armen; läuft er Trab, so wiegt er einen wie in einer Wiege; saust er aber im Galopp, so kann ihn auch der Wind nicht einholen. Niemals geht ihm der Atem aus, so kräftig ist seine Lunge. Die Beine sind wie aus Stahl; es kommt nie vor, daß er stolpert. Über einen Graben oder einen Zaun zu springen ist für ihn eine Kleinigkeit, und dabei so klug! Auf einen Ruf kommt er gleich mit erhobenem Kopf gelaufen; befiehlt man ihm stillzustehen und geht selbst weg, so rührt er sich nicht von der Stelle; kommt man aber zurück, so wiehert er leise, als wollte er sagen: Ich bin da. – Nichts fürchtet er, im Finstern, im Schneesturm findet er den Weg. Aber einen Fremden läßt er zu sich nicht heran – er beißt ihn mit den Zähnen tot! Auch ein Hund darf ihm nicht nahe kommen – sogleich trifft er ihn mit dem Vorderhuf auf die Stirn, und der Hund ist hin. Ein Pferd mit Ehrgefühl – man darf die Reitpeitsche nur zur Parade über ihm schwingen, aber Gott behüte, ihn anzurühren! Doch was soll man lange reden: ein Schatz und kein Pferd!
Wenn Tschertopchanow über seinen Malek-Adel zu sprechen anfing, so staunte man bloß, wo er die Worte hernahm! Und wie er ihn pflegte und hätschelte! Sein Haar glänzte wie Silber, aber nicht wie altes, sondern wie neues, das noch einen dunkeln Schimmer hat; fährt man mit der Hand darüber, so ist es wie Samt! Der Sattel, die Schabracke, der Zaum, das ganze Geschirr – alles paßte ausgezeichnet, war in Ordnung und schön geputzt, man hätte einen Bleistift nehmen können und zeichnen; Tschertopchanow selbst – was will man noch mehr? – pflegte seinem Liebling eigenhändig die Mähne und den Schopf zu Zöpfen zu flechten und den Schweif mit Bier zu waschen; er schmierte ihm sogar öfters die Hufe mit einer Salbe …