Manchmal setzte er sich auf den Malek-Adel und ritt aus, nicht etwa, um die Nachbarn zu besuchen – mit diesen verkehrte er nach wie vor nicht – , aber über ihre Felder, an ihren Gutshäusern vorbei … »Bewundert doch das Pferd aus der Ferne, ihr Narren!« Und wenn er hörte, daß irgendwo eine Jagd stattfand, daß ein reicher Gutsherr auf die Hetzjagd ausritt, so begab er sich sofort dahin; er tummelte sich mit seinem Pferd in der Ferne, am Horizont, setzte alle Zuschauer durch dessen Schönheit und Schnelligkeit in Erstaunen, ließ aber niemand nahe zu sich heran. Einmal sprengte irgendein Liebhaber mit einem ganzen Gefolge ihm nach; er sah, daß er Tschertopchanow nicht einholen konnte, und schrie ihm, so laut er konnte, im vollen Lauf zu: »He, du! Hör! Verlange, was du willst, für dein Pferd! Tausend Rubel sind mir nicht zu schade! Meine Frau, meine Kinder will ich hergeben …! Nimm mein Letztes!«
Tschertopchanow hielt Malek-Adel plötzlich an. Der Liebhaber sprengte zu ihm heran. »Väterchen!« schrie er: »Sag, was du verlangst! Liebster!«
»Wenn du ein Zar bist«, sagte Tschertopchanow mit Nachdruck (er hatte aber nie etwas von Shakespeare gehört), »und mir dein ganzes Zarenreich für mein Pferd gibst – ich gebe es nicht her!« Das sagte er, lachte auf, ließ den Malek-Adel sich bäumen, wandte ihn in der Luft wie einen Kreisel auf den Hinterbeinen allein um und sprengte im Galopp davon. Er flog nur so über das Stoppelfeld. Aber der Liebhaber (man sagt, es sei ein steinreicher Fürst gewesen) warf seine Mütze zu Boden und stürzte sich mit dem Gesicht auf die Mütze! Eine halbe Stunde lag er so.
Wie hätte Tschertopchapow sein Pferd nicht teuer halten sollen? Hatte er doch ihm zu verdanken, daß er wieder einen zweifellosen Vorzug, einen letzten Vorzug vor allen seinen Nachbarn besaß!
Indessen verging die Zeit, und der Zahlungstermin rückte heran, aber Tschertopchanow hatte nicht nur keine zweihundert Rubel, sondern auch keine fünfzig. Was war da zu tun, wie war da zu helfen? – »Nun«, sagte er sich schließlich, »wenn der Jude kein Einsehen hat und nicht länger warten will, so gebe ich ihm mein Haus und mein Land, setze mich selbst aufs Pferd und reite davon, wohin meine Augen schauen! Ich werde Hungers sterben, meinen Malek-Adel aber nicht hergeben!« – Er war sehr aufgeregt und sogar nachdenklich; aber hier erbarmte sich seiner das Schicksal zum ersten und letzten Male: Irgendeine weitläufige Tante, die Tschertopchanow nicht einmal dem Namen nach kannte, vermachte ihm testamentarisch eine für seine Begriffe außerordentliche Summe – ganze zweitausend Rubel! – Das Geld kam just zur richtigen Zeit, einen Tag vor Erscheinen des Juden. Tschertopchanow wurde vor Freude beinahe verrückt, dachte aber nicht einmal an Schnaps; seit dem Tag, an dem er den Malek-Adel bekommen hatte, nahm er keinen Tropfen in den Mund. Er lief in den Stall und küßte seinen Freund zu beiden Seiten der Schnauze über den Nüstern, wo die Pferde die zarteste Haut haben. »Jetzt trennen wir uns nicht mehr!« rief er, indem er das Pferd auf den Hals unter der gekämmten Mähne klopfte. Nach Hause zurückgekehrt, zählte er zweihundertfünfzig Rubel ab und versiegelte das Paket. Dann überlegte er sich, auf dem Rücken liegend und ein Pfeifchen rauchend, wie er das übrige Geld verwenden wollte: Er gedachte sich Hunde anzuschaffen, von der Kostromaschen Rasse, und zwar unbedingt rotbraune! Er unterhielt sich sogar mit Perfischka, versprach ihm eine neue Livree mit gelben Tressen an allen Nähten und legte sich in der seligsten Gemütsverfassung schlafen.
Er hatte einen unangenehmen Traum – ihm war, als sei er auf die Jagd geritten, aber nicht auf dem Malek-Adel, sondern auf einem seltsamen Tier von der Art eines Kamels; ein schneeweißer Fuchs lief ihm entgegen … Er will seine Reitpeitsche schwingen, will die Hunde auf den Fuchs hetzen, aber er hat in den Händen statt der Peitsche einen Bastwisch. Und der Fuchs läuft vor ihm her und reckt ihm die Zunge. Er springt von seinem Kamel, stolpert und fällt … fällt gerade einem Gendarmen in die Hände, der ihn zum Generalgouverneur ruft, und in diesem erkennt er Jaff …
Tschertopchanow erwachte. Im Zimmer war es dunkel. Der Hahn hatte erst zum zweitenmal gekräht … Irgendwo in weiter Ferne wieherte ein Pferd. Tschertopchanow hob den Kopf … Wieder hörte er ein feines, leises Wiehern.
»Das ist Malek-Adel!« sagte er sich. »Das ist sein Wiehern! Warum aber so weit? Du lieber Gott … Es kann nicht sein …«
Es überlief ihn plötzlich ganz kalt. Er sprang im Nu aus dem Bett, tastete nach seinen Stiefeln und Kleidern, zog sich an, holte unter dem Kopfkissen den Stallschlüssel und rannte in den Hof.
Der Stall befand sich am äußersten Ende des Hofes; mit der einen Wand grenzte er an das freie Feld. Tschertopchanow konnte den Schlüssel nicht sogleich ins Schloß stecken – seine Hände zitterten – und er drehte den Schlüssel auch nicht sogleich um … Eine Weile stand er unbeweglich, mit angehaltenem Atem – wenn sich hinter der Tür auch nur etwas regte! »Malek! Malek!« rief er halblaut – ein Grabesstille! Tschertopchanow riß unwillkürlich an dem Schlüssel, die Tür knarrte und ging auf … Sie war also nicht verschlossen gewesen. Er trat über die Schwelle und rief sein Pferd, diesmal mit dem vollen Namen: »Malek-Adel«. Der treue Freund gab aber keine Antwort, nur eine Maus raschelte durch das Stroh. Nun stürzte sich Tschertopchanow in jenen der drei Stände des Stalles, in welchem sonst Malek-Adel stand. Er traf gerade diesen Stand, obwohl es im Stall stockfinster war … Leer! Tschertopchanow schwindelte der Kopf; es war ihm, als dröhnte eine Glocke unter seiner Schädeldecke. Er wollte etwas sagen, zischte aber nur und kam, mit den Händen oben, unten und an den Seiten tastend, keuchend, mit schlotternden Knien aus dem einen Stand in den andern … Im dritten, der bis oben mit Heu gefüllt war, stieß er an die eine Wand, an die andere, fiel hin, rollte kopfüber, stand auf und rannte plötzlich durch die halbgeöffnete Tür in den Hof … »Gestohlen! Perfischka! Perfischka! gestohlen!« schrie er mit wilder Stimme.
Der kleine Diener Perfischka rollte wie ein Kreisel im bloßen Hemd aus der Kammer, in der er schlief …
Wie zwei Betrunkene stießen die beiden, der Herr und sein einziger Diener, mitten im Hof zusammen; wie betäubt drehten sie sich voreinander im Kreise. Der Herr konnte nicht erklären, was los war, und der Diener konnte nicht begreifen, was von ihm verlangt wurde. – »Ein Unglück! Ein Unglück!« lallte Tschertopchanow. »Ein Unglück! Ein Unglück!« wiederholte der Diener.
»Die Laterne! Gib die Laterne her, zünde sie an! Licht! Licht!« entrang es sich endlich Tschertopchanows beklemmter Brust. Perfischka stürzte ins Haus.
Es war aber nicht leicht, Licht zu machen: Schwefelhölzer waren damals in Rußland noch eine Seltenheit; die letzte Kohlenglut in der Küche war schon längst ausgegangen; Feuerstein und Stahl ließen sich nicht sogleich finden und wollten keinen Funken geben. Zähneknirschend entriß sie Tschertopchanow den Händen des bestürzten Perfischka und fing selbst an, Feuer zu schlagen; die Funken sprühten reichlich, noch reichlicher kamen die Flüche und sogar Seufzer, aber der Zunder wollte entweder nicht brennen oder löschte wieder aus, trotz der vereinten Bemühungen von vier angestrengten Backen und Lippen. Endlich, nach fünf Minuten, nicht früher, brannte der Talglichtstummel auf dem Boden der zerschlagenen Laterne, und Tschertopchanow stürzte, von Perfischka begleitet, in den Stall. Er hob die Laterne über seinen Kopf und sah sich um … Alles leer!