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Er sprang in den Hof, durchrannte ihn in allen Richtungen – das Pferd war nirgends zu sehen! Der Zaun, der Pantelej Jeremejitschs Besitz umgab, war längst baufällig und hatte sich an vielen Stellen zur Erde gesenkt … Neben dem Stall lag er auf einer Strecke von einem Arschin ganz auf dem Boden. Perfischka zeigte diese Stelle Tschertopchanow. »Herr! Schauen Sie nur her, das war heute noch nicht. Da ragen auch die Pfähle aus dem Boden, jemand hat sie wohl herausgedreht.«

Tschertopchanow sprang mit der Laterne hinzu und bewegte sie über dem Boden … »Hufe, Hufe, Spuren von Hufeisen, Spuren, frische Spuren!« murmelte er hastig. »Hier hat man ihn hinausgeführt, hier, hier!« Er sprang augenblicklich über den Zaun und lief mit dem Schrei: »Malek-Adel! Malek-Adel! Malek-Adel!« ins Feld.

Perfischka blieb bestürzt am Zaun stehen. Der helle Lichtkreis der Laterne verschwand ihm bald aus den Augen, verschlungen von der dichten Finsternis der sternenlosen und mondlosen Nacht.

Immer schwächer und schwächer klangen die verzweifelten Schreie Tschertopchanows.

Der Osten rötete sich schon, als er nach Hause zurückkehrte. Er sah kaum einem Menschen ähnlich, seine ganze Kleidung war von Schmutz bedeckt, das Gesicht zeigte einen wilden und schrecklichen Ausdruck, düster und stumpf blickten seine Augen. Er jagte mit einem heiseren Flüstern Perfischka fort und schloß sich in sein Zimmer ein. Vor Müdigkeit konnte er sich kaum auf den Beinen halten, aber er legte sich nicht ins Bett, sondern setzte sich auf einen Stuhl neben der Tür und griff sich an den Kopf. »Gestohlen …! Gestohlen!«

Wie hatte es aber der Dieb fertiggebracht, Malek-Adel nachts aus dem verschlossenen Stall zu stehlen? Malek-Adel, der auch bei Tag keinen fremden Menschen zu sich heranließ – ihn ohne Lärm und Klopfen zu stehlen? Und wie konnte man erklären, daß kein einziger Hofhund gebellt hatte? Es waren ihrer allerdings nur zwei da, zwei ganz junge Hunde, und diese vergruben sich vor Hunger und Kälte in die Erde, aber immerhin!

Was fange ich jetzt ohne Malek-Adel an? dachte sich Tschertopchanow. »Meine letzte Freude habe ich verloren, nun ist es Zeit, daß ich sterbe. Soll ich vielleicht ein anderes Pferd kaufen, da ich gerade Geld habe? Aber wo finde ich ein Pferd wie dieses?«

»Pantelej Jeremejitsch! Pantelej Jeremejitsch!« rief eine scheue Stimme hinter der Tür.

Tschertopchanow sprang auf die Füße. »Wer ist da?« rief er mit veränderter Stimme.

»Das bin ich, Ihr Diener Perfischka.«

»Was willst du? Hat er sich vielleicht gefunden, ist nach Hause zurückgelaufen?«

»Nein. Pantelej Jeremejitsch; der Jud', der ihn verkauft hat …«

»Nun?«

»Er ist angekommen.«

»Ho-ho-ho-ho!« rief Tschertopchanow und warf die Tür auf. »Schlepp ihn her, schlepp ihn her!«

Beim Anblick der plötzlich auftauchenden zerzausten und verwilderten Gestalt seines ›Wohltäters‹ wollte der Jude, der hinter Perfischkas Rücken stand, sich schon aus dem Staube machen; aber Tschertopchanow erreichte ihn mit zwei Sprüngen und packte ihn wie ein Tier an der Gurgel »Ah! Du kommst um das Geld! Um das Geld!« röchelte er, als ob nicht er würgte, sondern als ob man ihn würgte. »Bei Nacht hast du ihn gestohlen und kommst bei Tag um das Geld? Wie? Wie?«

»Ich bitte, Eu-er Wohl-geboren«, stöhnte der Jude.

»Sag, wo ist mein Pferd? Wo hast du es hingebracht? Wem hast du es verkauft? Sag, sag, sag!«

Der Jude konnte nicht mehr stöhnen; aus seinem blauangelaufenen Gesicht war sogar der Ausdruck des Schreckens verschwunden. Seine Arme hingen herab; sein ganzer Körper, den Tschertopchanow wütend schüttelte, schwankte wie ein Schilfrohr.

»Das Geld werde ich dir bezahlen, ich werde es dir bis auf die letzte Kopeke bezahlen«, schrie Tschertopchanow, »aber ich werde dich wie ein Küken erwürgen, wenn du mir nicht gleich sagst …«

»Sie haben ihn schon erwürgt, Herr«, bemerkte Perfischka.

Jetzt erst kam Tschertopchanow zu sich. Er ließ die Gurgel des Juden los, und dieser fiel wie leblos zu Boden. Tschertopchanow fing ihn auf, setzte ihn auf die Bank, goß ihm ein Glas Schnaps in den Mund und brachte ihn zur Besinnung. Und sobald er ihn zur Besinnung gebracht hatte, begann er ein Gespräch mit ihm.

Es stellte sich heraus, daß der Jude keine blasse Ahnung davon hatte, daß Malek-Adel gestohlen worden war. Warum hätte er auch das Pferd stehlen sollen, das er selbst für ›den verehrtesten Pantelej Jeremejitsch‹ beschafft hatte?

Nun führte ihn Tschertopchanow in den Stall. Sie untersuchten gemeinsam die Stände, die Krippen, das Türschloß, durchwühlten das Stroh und das Heu und gingen dann auf den Hof; Tschertopchanow zeigte dem Juden die Hufspuren am Zaun und schlug sich plötzlich auf die Schenkel. »Halt!« rief er. »Wo hast du das Pferd gekauft?«

»Im Maloarchangelsker Kreis, auf dem Werchossensker Jahrmarkt«, antwortete der Jude.

»Von wem?«

»Von einem Kosaken.«

»Halt! War der Kosak jung oder alt?«

»Von mittleren Jahren, ein gesetzter Mann.«

»Wie sah er aus? Wohl wie ein Gauner?«

»Wahrscheinlich war er ein Gauner, Euer Wohlgeboren.«

»Und was hat er dir gesagt, dieser Gauner – daß das Pferd ihm schon lange gehöre?«

»Ich glaube, er sagte, es gehöre ihm schon lange.«

»Nun, dann kann es niemand anders gestohlen haben als er allein! Urteile doch selbst, hör, stell dich mal her … wie heißt du?«

Der Jude fuhr zusammen und richtete seine schwarzen Augen auf Tschertopchanow. »Wie ich heiße?«

»Nun ja, wie ist dein Name?«

»Moschel-Lejba.«

»Nun, urteile doch selbst, mein Freund Lejba, du bist ein kluger Mann; von wem würde sich Malek-Adel wegführen lassen, wenn nicht von seinem alten Herrn? Er hat ihn doch aufgezäumt und gesattelt, hat ihm die Decke abgenommen – da liegt sie auf dem Heu …! Er hat sich einfach wie im eigenen Hause benommen! Jeden andern hätte ja Malek-Adel niedergetrampelt! Er hätte Lärm gemacht und das ganze Dorf geweckt! Bist du mit mir einverstanden?«

»Einverstanden, einverstanden, Euer Wohlgeboren …«

»Also muß man vor allen Dingen jenen Kosaken finden!«

»Wie findet man ihn aber, Euer Wohlgeboren? Ich habe ihn ja nur ein einziges Mal gesehen – wo ist er jetzt, und wie heißt er? Auwei, auwei!« fügte der Jude hinzu und schüttelte bekümmert seine Schläfenlocken.

»Lejba!« rief plötzlich Tschertopchanow, »Lejba, sieh mich an! Ich bin ja um meinen Verstand gekommen, ich bin wie verrückt …! Ich lege Hand an mich, wenn du mir nicht hilfst!«

»Wie kann ich aber …«

»Fahre mit mir, und wir wollen den Dieb suchen!«

»Wohin wollen wir denn fahren?«

»Auf die Jahrmärkte, auf die großen und kleinen Landstraßen, zu den Pferdedieben, in die Städte, in die Dörfer, in die Gehöfte – überallhin! Was aber das Geld betrifft, so mache dir keine Sorgen, ich habe eine Erbschaft gemacht, Bruder! Meine letzte Kopeke gebe ich her, aber ich finde meinen Freund. Der Kosak, unser Feind, soll und wird uns nicht entkommen! Wo er sich hinwendet, da gehen auch wir hin! Versinkt er in die Erde, so folgen wir ihm in die Erde! Geht er zum Teufel, so gehen wir zum Satan selbst!«

»Warum denn zum Satan«, bemerkte der Jude, »man kann auch ohne ihn – «

»Lejba!« rief Tschertopchanow. »Lejba, du bist zwar ein Hebräer und hast einen gemeinen Glauben, aber deine Seele ist besser als manche Christenseele! Erbarme dich meiner! Allein fahren kann ich nicht, allein bringe ich nichts zustande. Ich bin ein hitziger Mensch, du aber hast einen goldenen Kopf! Euer Volk ist schon einmal so: Ohne etwas zu lernen, habt ihr alles erfaßt! Du zweifelst vielleicht und fragst dich, woher ich Geld nehme? Komm auf mein Zimmer, ich werde dir das ganze Geld zeigen. Nimm das Geld, nimm mir das Kreuz von der Brust, gib mir nur den Malek-Adel wieder, gib ihn mir wieder!«