Tschertopchanow beunruhigten weniger die körperlichen Unähnlichkeiten zwischen diesem Malek-Adel und jenem – ihrer gab es übrigens nicht viele; jener hatte vielleicht einen dünneren Schweif und eine dünnere Mähne, spitzere Ohren, kürzere Knöchel und hellere Augen gehabt, aber das schien ihm vielleicht nur so – , ihn beunruhigten andere Unähnlichkeiten, sozusagen moralische. Jener hatte andere Gewohnheiten und ein anderes Benehmen. Zum Beispieclass="underline" Jener sah sich um und wieherte leise, sooft Tschertopchanow in den Stall trat, dieser aber kaute ruhig sein Heu oder duselte mit gesenktem Kopf. Beide rührten sich nicht vom Fleck, wenn der Herr aus dem Sattel sprang, aber jener kam sofort gelaufen, wenn man ihn rief, während dieser stehenblieb wie ein Klotz. Jener galoppierte ebenso schnell, machte aber höhere und weitere Sprünge – dieser ging besser im Schritt, schüttelte aber im Trab und schlürfte zuweilen mit den Hufeisen, das heißt klopfte mit den vorderen an das hintere, bei jenem kam diese Schande niemals vor – Gott behüte! Dieser, so schien es Tschertopchanow, spielte immer ganz dumm mit den Ohren, jener aber pflegte ein Ohr zurückzuschlagen und ruhig den Herrn zu beobachten. Wenn jener Schmutz in seiner Nähe sah, so klopfte er gleich mit dem Huf an die Wand des Standes – diesem machte es aber gar nichts aus, und wenn man ihm den Mist bis an den Bauch aufschüttete. Wenn jener gegen den Wind gestellt wurde, so atmete er gleich mit der ganzen Lunge und schüttelte sich, dieser aber schnaubte nur; jenen belästigte die Feuchtigkeit, diesem machte sie gar nichts… Gröber war dieser, gröber! Er hatte nicht die Anmut des anderen und war schwer zu lenken – was ist noch viel zu reden. Jener war ein lieber Gaul, und dieser…
Das dachte sich manchmal Tschertopchanow, und diese Gedanken waren ihm bitter. Zu andern Zeiten aber ließ er das Pferd über ein neugepflügtes Feld galoppieren oder zwang es, auf den Grund einer ausgespülten Schlucht zu setzen und am steilsten Abhang wieder herauszuspringen – sein Herz erstarb dann vor Entzücken, laute Schreie entrangen sich seinem Mund, und er wußte ganz sicher, daß unter ihm der echte, unzweifelhafte Malek-Adel war, denn welches andere Pferd hätte das vollbringen können, was dieses vollbrachte?
Aber auch hier verfolgte ihn das Schicksal. Die lange Suche nach Malek-Adel hatte Tschertopchanow viel Geld gekostet; an die Kosteromanschen Hunde dachte er nicht mehr und ritt nach wie vor ganz allein in der Gegend umher. Eines Morgens stieß Tschertopchanow in fünf Werst von Bessonowo auf die gleiche fürstliche Jagdgesellschaft, vor der er vor anderthalb Jahren mit seinem Pferd paradiert hatte. Nun mußte es sich so treffen, daß auch an diesem Tag vor den Hunden aus dem Feldrain am Abhang ein Hase heraussprang! Hetz ihn, hetz ihn! Die ganze Gesellschaft sprengte dahin, und auch Tschertopchanow sprengte dahin, doch nicht mit den andern, sondern zweihundert Schritte seitwärts, genau wie er es damals getan hatte. Ein großer, vom Wasser ausgespülter Graben durchschnitt den Abhang in schräger Richtung, stieg immer höher, verengte sich und versperrte Tschertopchanow den Weg. Dort, wo er über ihn hinüberspringen sollte und wo er vor anderthalb Jahren wirklich hinübergesprungen war, war er immer noch an die acht Schritt breit und an die zwei Klafter tief. Im Vorgefühl des Triumphes, der sich auf eine so wunderbare Weise wiederholen sollte, stieß Tschertopchanow ein Siegesgeschrei aus, schwang die Peitsche – die Jäger galoppierten, ohne den kühnen Reiter aus den Augen zu lassen – sein Pferd flog wie ein Pfeil, da ist schon der Graben, nun, nun, mit einem Satz wie damals…! Malek-Adel wurde aber plötzlich bockig, wandte sich nach links und galoppierte längs des Grabens, wie sehr auch Tschertopchanow ihm den Kopf auf die Seite, zum Graben hin zerrte… Also hatte das Pferd Angst bekommen und kein Selbstvertrauen gehabt!
Vor Scham und Zorn glühend, beinahe weinend, ließ nun Tschertopchanow die Zügel locker und lenkte das Pferd gerade vor sich hin, den Hügel hinauf, von den andern Jägern hinweg, um nicht zu hören, wie sie sich über ihn lustig machten, um nur möglichst schnell aus ihren verfluchten Augen zu verschwinden!
Mit wundgepeitschten Flanken, ganz mit Schaum bedeckt, kam Malek-Adel nach Hause gesprengt, und Tschertopchanow schloß sich sofort in seinem Zimmer ein.
»Nein, er ist es nicht, das ist nicht mein Freund! Der hätte sich den Hals gebrochen, mich aber nicht verraten!«
Folgender Fall gab Tschertopchanow sozusagen den Rest. Einmal ritt er auf dem Malek-Adel durch die Hinterhöfe des Popengutes, das die Kirche umgab, zu deren Pfarrbezirk das Dorf Bessonowo gehörte. Die Mütze tief in die Stirn gestülpt, gebückt und die beiden Hände auf dem Sattelknopf, bewegte er sich langsam vorwärts; es war ihm traurig und trübe zumute. Plötzlich rief ihn jemand.
Er hielt sein Pferd an, hob den Kopf und erkannte seinen Korrespondenten, den Diakon. Mit einem braunen, dreieckigen Hut auf den braunen, zu einem Zopf eben geflochtenen Haaren, mit einem gelblichen Nankingkaftan bekleidet, tief unter der Taille mit einem blauen Fetzen umgürtet, war der Diener des Altars aus dem Haus getreten, um seinen Getreideschober nachzusehen; als er Pantelej Jeremejitsch erblickte, hielt er es für seine Pflicht, ihm seine Hochachtung zu bezeigen und bei dieser Gelegenheit sich etwas auszubitten. Ohne diesen Nebengedanken sprechen bekanntlich Personen geistlichen Standes niemals einen Laien an.
Tschertopchanow hatte aber andere Dinge im Kopf als den Diakon; er erwiderte kaum seine Verbeugung, brummte etwas durch die Zähne und schwang schon die Peitsche …
»Was haben Sie aber für ein prächtiges Roß!« fuhr der Diakon schnell fort. »So ein Roß bringt einem wirklich Ehre ein. Wahrlich, Sie sind ein Mann von trefflichem Verstand, einem Löwen zu vergleichen!« Der Diakon war wegen seiner Beredsamkeit berühmt, was den Popen, dem die Gabe des Wortes fehlte, nicht wenig ärgerte – dem letzteren löste nicht einmal der Schnaps die Zunge. »Ein Tier haben Sie auf das Anstiften böser Menschen verloren«, fuhr der Diakon fort, »haben sich aber, ohne den Mut sinken zu lassen, vielmehr auf die göttliche Vorsehung bauend, ein neues angeschafft, das nicht nur in keiner Weise schlechter ist als das erste, sondern vielleicht sogar besser … denn …«
»Was faselst du da?« unterbrach ihn Tschertopchanow finster. »Wo siehst du ein anderes Pferd? Es ist dasselbe, es ist Malek-Adel … Ich habe ihn gefunden. Du schwatzest ins Blaue …«
»Eh! eh! eh! eh!« sagte gedehnt, gleichsam zögernd der Diakon, indes er mit den Fingern im Bart spielte und Tschertopchanow mit seinen hellen, gierigen Augen betrachtete. »Wie ist es nun, Herr? Ihren Gaul hat man, wenn ich mich recht besinne, im vorigen Jahr so an die zwei Wochen nach dem Feste Mariä Schutz und Fürbitte gestohlen, und jetzt haben wir Ende November.«
»Na ja, was ist denn dabei?«
Der Diakon fuhr fort, mit den Fingern im Bart zu spielen. »Es ist also mehr als ein Jahr seitdem vergangen, und Ihr Pferd, das damals ein Apfelschimmel war, ist auch ein Apfelschimmel geblieben, scheint sogar etwas dunkler geworden zu sein. Was ist das? Die grauen Pferde werden ja in einem Jahr viel weißer.«