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Tschertopchanow fuhr zusammen … es war ihm, als hätte ihn jemand mit einem Jagdspieß mitten ins Herz gestoßen. Und in der Tat: Graue Pferde verändern sich doch. Wie war ihm dieser einfache Gedanke bisher nicht in den Sinn gekommen?

»Verdammter Zopf, laß mich in Ruhe!« brüllte er mit einemmal. Dann funkelte er wie rasend mit den Augen und verschwand in einem Augenblick dem erstaunten Diakon aus dem Gesicht.

Nun, jetzt ist alles zu Ende!

Alles ist zu Ende, alles ist zusammengestürzt, die letzte Karte ist geschlagen! Alles ist durch das eine Wort ›weißer‹ zusammengefallen! Die grauen Pferde werden weißer!

Galoppiere nur, Verdammter! Du wirst diesem Wort nicht entrinnen! Tschertopchanow sprengte nach Hause und schloß sich wieder in seinem Zimmer ein.

Daß dieser elende Klepper nicht der Malek-Adel war, daß zwischen ihm und Malek-Adel nicht die geringste Ähnlichkeit bestand, daß jeder einigermaßen vernünftige Mensch auf den ersten Blick hätte sehen müssen, daß er, Tschertopchanow, sich auf die gemeinste Weise getäuscht, nein, daß er sich selbst absichtlich und mit Vorbedacht betrogen und angeschwindelt hatte – über dies alles konnte jetzt nicht mehr der geringste Zweifel bestehen! Tschertopchanow ging auf und ab, indem er sich bei jeder Wand auf die gleiche Weise auf dem Absatz umdrehte, wie ein Tier in einem Käfig. Sein Ehrgeiz litt unerträglich; es war aber nicht nur der verletzte Ehrgeiz allein, was ihn so quälte – seiner bemächtigte sich die Verzweiflung, die Wut würgte ihn, Rachedurst brannte in ihm. Aber gegen wen? An wem sollte er Rache nehmen? Am Juden, an Jaff, an Mascha, am Diakon, am Kosaken, der das Pferd gestohlen hatte, an allen Nachbarn, an der ganzen Welt oder schließlich an sich selbst? Sein Verstand geriet durcheinander. Die letzte Karte geschlagen! (Dieser Vergleich gefiel ihm gut.) Nun ist er wieder der nichtigste, verächtlichste von allen Menschen, ein Gegenstand des Spottes für alle, ein Hanswurst, ein elender Narr, ein Gespött für den Diakon …! Er stellte sich deutlich vor, wie dieser niederträchtige Zopf den Leuten vom grauen Pferd und vom dummen Herrn erzählen wird … Verflucht …! Vergeblich bemühte sich Tschertopchanow, seine Galle zurückzuhalten; vergeblich versuchte er sich einzureden, daß dieses … Pferd zwar nicht der Malek-Adel, aber immerhin ein … gutes Pferd sei und ihm noch viele Jahre dienen könne – er stieß diesen Gedanken mit Wut von sich, als ob darin eine neue Beleidigung für jenen Malek-Adel enthalten wäre, vor dem er sich auch ohnehin schon schuldig fühlte … Gewiß! Diesen Klepper, diese Schindmähre hatte er wie ein Blinder, wie ein Dummkopf dem Malek-Adel gleichgestellt! Und was die Dienste betrifft, die dieser Klepper ihm noch leisten könnte … wird er ihn denn je wieder der Ehre würdigen, sich auf ihn zu setzen? Um nichts in der Welt! Niemals …! Er wird ihn einem tatarischen Schinder geben, er wird ihn den Hunden zum Fraß vorwerfen – er verdient nichts anderes … Ja! Das wäre das beste!

Über zwei Stunden ging Tschertopchanow in seinem Zimmer auf und ab. »Perfischka!« kommandierte er plötzlich. »Geh augenblicklich in die Schenke und bring mir einen halben Eimer Schnaps! Hörst du! Einen halben Eimer, augenblicklich! Daß der Schnaps sofort hier bei mir auf dem Tisch steht …!«

Der Schnaps erschien unverzüglich auf dem Tisch Pantelej Jeremejitschs, und er fing an zu trinken!

Hätte damals jemand Tschertopchanow beobachtet, wäre jemand Zeuge jener finsteren Wut gewesen, mit der er ein Glas nach dem andern leerte, so hätte er unwillkürlich Angst bekommen. Die Nacht war angebrochen; ein Talglicht brannte trübe auf dem Tisch. Tschertopchanow hörte auf, aus der einen Ecke in die andere zu wandern; er saß da, ganz rot, mit trüben Augen, die er bald zu Boden senkte, bald auf das dunkle Fenster richtete; dann stand er auf, schenkte sich Schnaps ein, trank aus, setzte sich wieder, richtete den Blick wieder auf einen Punkt und rührte sich nicht, nur sein Atem ging schneller, und sein Gesicht wurde immer röter. In ihm schien irgendein Entschluß zu keimen, der ihn selbst erschreckte, an den er sich aber allmählich gewöhnte; der gleiche Gedanke rückte unaufhaltsam und unaufhörlich immer näher, das gleiche Bild trat immer deutlicher hervor, und in seinem Herzen war unter dem versengenden Einfluß des schweren Rausches an Stelle der Wut ein Gefühl tierischer Grausamkeit getreten, und ein unheilkündendes Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen.

»Nun ist es Zeit!« sagte er in einem geschäftigen, beinahe gelangweilten Ton. »Genug geruht!«

Er trank das letzte Glas Schnaps aus, nahm die Pistole über seinem Bett – dieselbe Pistole, aus der er auf Mascha geschossen hatte – , lud sie, steckte sich ›für jeden Fall‹ einige Zündhütchen in die Tasche und ging in den Stall.

Als er die Stalltür zu öffnen anfing, kam der Wächter hergelaufen, aber er schrie ihn an: »Das bin ich! Siehst du es denn nicht? Geh!« Der Wächter trat etwas auf die Seite. »Geh schlafen!« schrie ihm Tschertopchanow wieder zu. »Du hast hier nichts zu bewachen! So einen Schatz, so eine Kostbarkeit!« Dann trat er in den Stall. Malek-Adel … der falsche Malek-Adel lag auf der Streu. Tschertopchanow gab ihm einen Fußtritt. »Steh auf, du Krähe!« Dann band er den Zaum von der Krippe los, nahm dem Pferd die Decke ab und warf sie auf den Boden, drehte das gehorsame Tier roh in seinem Stand um, führte es in den Hof und aus dem Hof ins Feld, zum größten Erstaunen des Wächters, der unmöglich begreifen konnte, wohin sich der Herr nachts mit dem ungezäumten Pferd an der Leine begebe. Ihn zu fragen, traute er sich natürlich nicht, er begleitete ihn nur mit den Augen, bis er an der Wendung des Weges verschwand, der in den nahen Wald führte.

Tschertopchanow ging mit großen Schritten, ohne stehenzubleiben und ohne sich umzusehen; Malek-Adel – wir wollen ihn bis ans Ende so nennen – folgte ihm gehorsam. Die Nacht war ziemlich hell; Tschertopchanow konnte die gezackten Umrisse des Waldes unterscheiden, der als schwarzer Fleck vor ihm lag. In der nächtlichen Kälte wäre ihm wohl jetzt der Schnaps in den Kopf gestiegen, wenn ihn nicht ein anderer, viel stärkerer Rausch umfangen hätte. Sein Kopf war schwer geworden, das Blut klopfte laut im Halse und an den Ohren, er aber ging mit sicheren Schritten, und er wußte, wohin er ging.

Er hatte den Entschluß gefaßt, Malek-Adel zu töten; den ganzen Tag hatte er nur daran gedacht … Nun war er fest entschlossen!

Er ging an diesen Schritt, nicht gerade ruhig, aber seiner selbst sicher und so fest entschlossen wie ein Mensch, der dem Gefühl der Pflicht gehorcht. Dieser ›Spaß‹ erschien ihm sehr einfach: Wenn er den Falschen vernichtet, macht er ›allem‹ ein Ende. Dann bestraft er sich selbst für seine Dummheit, rechtfertigt sich vor seinem echten Freund und zeigt der ganzen Welt (Tschertopchanow war sehr um die ›ganze Welt‹ besorgt), daß er mit sich nicht spaßen lasse … Die Hauptsache aber ist, daß er zugleich mit dem falschen Malek-Adel auch sich selbst vernichtet, denn was braucht er noch zu leben?

Wie er sich das alles in seinem Kopf zurechtlegte und warum ihm dies so einfach erschien, ist nicht so leicht, wenn auch nicht ganz unmöglich zu erklären: Gekränkt, einsam, ohne eine einzige vertraute Menschenseele, ohne einen roten Heller, dabei mit vom Schnaps entzündetem Blut, befand er sich in einem an Wahnsinn grenzenden Zustand; es besteht aber kein Zweifel darüber, daß selbst in den sinnlosesten Streichen von Wahnsinnigen, von ihrem Standpunkt aus, eine Art Logik und sogar ein Recht liegt. Von seinem Recht war Tschertopchanow jedenfalls fest überzeugt; er schwankte nicht, er beeilte sich, das Urteil an dem Schuldigen zu vollstrecken, ohne sich übrigens Rechenschaft darüber zu geben, wen er eigentlich für den Schuldigen hielt … Die Wahrheit zu sagen – er dachte sehr wenig über sein Vorhaben nach. »Ich muß, ich muß ein Ende machen«, sagte er zu sich selbst streng und stumpf. »Ich muß ein Ende machen!«