»Das stimmt. Der Sack war groß und hätte wohl für zwei Wochen gereicht. Wer kann wissen! Vielleicht ist ein Loch darin, aber wir haben kein Schrot mehr … für höchstens zehn Schuß ist uns noch geblieben.«
»Was sollen wir jetzt anfangen? Die besten Stellen haben wir noch vor uns, für morgen hat man uns sechs Ketten Birkhühner versprochen.«
»Schicken Sie mich doch nach Tula. Es ist nicht weit, nur fünfundvierzig Werst. Ich fahre im Nu hinüber und bringe Schrot, wenn Sie befehlen, ein ganzes Pud.«
»Wann willst du denn fahren?«
»Meinetwegen gleich. Was soll ich säumen? Nur eines – wir werden Pferde mieten müssen.«
»Warum Pferde mieten? Wozu haben wir unsere eigenen?«
»Mit unsern kann ich nicht fahren. Das Mittelpferd hinkt, ein wahres Unglück!«
»Seit wann denn?«
»Neulich führte es der Kutscher zum Beschlagen, und der Schmied hat es vernagelt. Es war wohl ein schlechter Schmied. Jetzt kann es mit dem Fuß gar nicht auftreten. Es ist der Vorderfuß. Es schleppt ihn nach wie ein Hund.«
»Hat man ihm wenigstens das Eisen abgenommen?«
»Nein, man hat es nicht abgenommen, aber man müßte das unbedingt tun. Er hat ihm den Nagel wohl ins Fleisch getrieben.«
Ich ließ den Kutscher kommen Jermolai hatte die Wahrheit gesagt, das Mittelpferd konnte wirklich mit einem Fuß nicht auftreten. Ich befahl sofort, daß man ihm das Eisen abnehme und das Pferd auf feuchten Lehm stelle.
»Nun, befehlen Sie Pferde für die Fahrt nach Tula zu mieten?« setzte mir Jermolai zu.
»Kann man denn in diesem gottverlassenen Nest Pferde finden?« rief ich unwillkürlich verärgert aus.
Das Dorf, in dem wir uns befanden, war ärmlich und von der Welt abgeschnitten; alle seine Bewohner schienen Bettler zu sein; wir hatten mit großer Mühe eine, wenn auch nicht saubere, aber einigermaßen geräumige Bauernstube gefunden.
»Es geht«, antwortete Jermolai mit seiner gewöhnlichen Ruhe. »Sie haben über dieses Dorf die Wahrheit gesagt, aber in dieser selben Gegend lebte ein Bauer, ein gescheiter, reicher Mensch, der hatte neun Pferde. Er selbst ist tot, und sein ältester Sohn hat nun die ganze Wirtschaft. Ist ein furchtbar dummer Mensch, hat aber noch nicht Zeit gehabt, das Erbe des Vaters durchzubringen. – Wir werden bei ihm Pferde kriegen. – Wenn Sie befehlen, bringe ich ihn her. – Seine Brüder sollen fixe Jungen sein … und doch ist er ihr Oberhaupt.«
»Warum denn das?«
»Weil er der Älteste ist! Also müssen ihm die Jüngeren gehorchen.« Jermolai äußerte hier seine Meinung über die jüngeren Brüder im allgemeinen mit einem kräftigen, nicht wiederzugebenden Wort. »Ich will ihn herbringen. Er ist ein einfältiger Mensch. Mit dem kann man leicht einig werden!«
Bis Jermolai zu dem ›einfältigen‹ Menschen ging, kam mir der Gedanke, ob es nicht besser wäre, wenn ich selbst nach Tula führe. Erstens setzte ich, durch Erfahrung belehrt, keine zu großen Hoffnungen auf Jermolai – einmal hatte ich ihn in die Stadt geschickt, um verschiedenes einzukaufen; er versprach, alle meine Aufträge an einem Tag auszuführen, blieb aber eine ganze Woche aus, vertrank das ganze Geld und kam zu Fuß zurück, wahrend er mit einem Jagdwagen hingefahren war. Zweitens kannte ich in Tula einen Roßhändler, bei dem ich an Stelle des lahmen Mittelpferdes ein anderes kaufen konnte.
Abgemacht! dachte ich mir. Ich will selbst hinüberfahren; schlafen kann ich auch unterwegs, mein Reisewagen ist ja bequem genug! »Ich habe ihn hergebracht!« rief eine Viertelstunde später Jermolai, in die Tür meiner Stube stürzend. Ihm folgte ein großgewachsener Bauer im weißen Hemd, blauen Hosen und Bastschuhen, hellblond, kurzsichtig, mit einem roten, keilförmigen Bart, einer langen, geschwollenen Nase und offenem Mund. Er sah tatsächlich einfältig aus.
»Hier, bitte«, sagte Jermolai, »er hat Pferde und ist einverstanden.«
»Das heißt, also, ich …«, begann der Bauer stotternd mit heiserer Stimme, seine dünnen Haare schüttelnd und mit den Fingern am Rand der Mütze nestelnd, die er in der Hand hielt. »Das heißt, ich …«
»Wie heißt du?« fragte ich.
Der Bauer schlug die Augen nieder, als überlege er sich meine Frage.
»Wie ich heiße?«
»Ja, wie ist dein Name?«
»Mein Name ist Filofej.«
»Nun, Bruder Filofej, ich habe gehört, daß du Pferde hast. Bring mal ein Dreigespann her, wir wollen es an meinen Reisewagen spannen – der Wagen ist leicht – und fahre mich nach Tula. Jetzt ist Vollmond, die Nächte sind hell und schön kühl. Wie ist hier der Weg?«
»Der Weg? Der Weg ist nicht schlecht. Bis zur großen Landstraße sind es im ganzen an die zwanzig Werst. Eine Stelle ist … nicht gut, sonst ist aber der Weg nicht schlecht.«
»Was für eine Stelle ist da nicht gut?«
»Wo man durch die Furt fahren muß.«
»Wollen Sie denn selbst nach Tula fahren?« erkundigte sich Jermolai.
»Ja, ich selbst.«
»Nun!« versetzte mein treuer Diener und schüttelte den Kopf. »N-n-nun!« wiederholte er, spie aus und ging aus der Stube.
Die Fahrt nach Tula hatte offenbar jeden Reiz für ihn verloren; sie war für ihn zu einem uninteressanten Unternehmen geworden.
»Kennst du den Weg gut?« wandte ich mich an Filofej.
»Wie sollte ich den Weg nicht kennen! – Aber ich kann nicht, das heißt, ganz wie Sie befehlen … denn, so plötzlich, auf einmal …«
Es stellte sich heraus, daß Jermolai, als er Filofej mietete, ihm nur erklärt hatte, er solle keine Bedenken haben, man werde ihn, den Dummkopf, schon bezahlen. Filofej war zwar nach Jermolais Behauptung ein Dummkopf, gab sich aber mit dieser Erklärung allein nicht zufrieden. Er forderte von mir fünfzig Rubel in Assignaten, einen ungeheuren Preis; ich bot ihm dagegen nur zehn Rubel, und das war viel zuwenig. Wir fingen an zu handeln; Filofej bestand erst auf seiner Forderung, fing dann aber an nachzugeben, doch langsam. Jermolai, der auf einen Augenblick zurückgekommen war, beteuerte: »Dieser Dummkopf!«
»Wie gut dem das Wort gefällt!« bemerkte Filofej halblaut.
»Dieser Dummkopf weiß gar nicht, was Geld ist!« Bei dieser Gelegenheit erinnerte er mich, wie vor etwa zwanzig Jahren das von meiner Mutter an einer guten Stelle, an der Kreuzung zweier Landstraßen errichtete Wirtshaus vollständig in Verfall geriet, nur weil der alte Leibeigene, den man zum Verwalter gemacht hatte, tatsächlich keine Ahnung vom Geld hatte und es nur nach der Menge zählte, d. h., er gab zum Beispiel einen silbernen Viertelrubel für sechs kupferne Fünfkopekenstücke her, wobei er jedoch fürchterlich fluchte.
»Ach du, Filofej, bist ein richtiger Filofej!« rief endlich Jermolai und warf beim Hinausgehen die Tür wütend ins Schloß.
Filofej entgegnete ihm nichts, als gäbe er zu, daß es wirklich nicht sehr geschickt sei, Filofej zu heißen, und daß man einem Menschen diesen Namen vorwerfen dürfe, obwohl eigentlich nur der Pope allein daran schuld sei, den man bei der Taufe nicht gut genug bezahlt hatte.
Schließlich einigten wir uns auf zwanzig Rubel. Er ging die Pferde holen und brachte nach einer Stunde ganze fünf zur Auswahl. Die Pferde stellten sich als recht anständig heraus, obwohl ihre Mähnen und Schweife ungepflegt und die Bäuche groß und aufgetrieben wie Trommeln waren. Mit Filofej kamen zwei seiner Brüder, die ihm gar nicht ähnlich sahen. Sie waren klein, hatten schwarze Augen und spitze Nasen und machten in der Tat den Eindruck von ›fixen‹ Jungens; sie sprachen oder ›schwatzten‹, wie es Jermolai nannte, viel und schnell, gehorchten aber dem Ältesten.
Sie rollten meinen Reisewagen aus dem Schuppen und mühten sich an die anderthalb Stunden mit ihm und mit den Pferden ab; bald machten sie die aus Stricken bestehenden Stränge lose, bald spannten sie sie ganz stramm. Beide Brüder wollten durchaus den Falben in die Mitte spannen, weil ›er beim Bergabfahren gut sei‹; Filofej entschied sich aber für den Zottigen. So spannte man den Zottigen in die Mitte.