Man stopfte den Wagen mit Heu voll und steckte unter den Sitz das Kumt des lahmen Pferdes, für den Fall, daß man es in Tula einem neugekauften Pferd anpassen müßte … Filofej, der inzwischen nach Hause gelaufen und in einem langen, weißen, von seinem Vater geerbten Leinenkittel, einem hohen Hut und geschmierten Stiefeln zurückgekehrt war, schwang sich feierlich: auf den Bock. – Ich setzte mich und sah nach der Uhr, es war ein Viertel elf. – Jermolai verabschiedete sich nicht mal von mir und fing an, seinen Waletka zu schlagen; Filofej zog die Zügel an, schrie mit feiner Stimme: »Ach, ihr meine Kleinen!« – Seine Brüder sprangen von beiden Seiten heran und peitschten die Seitenpferde auf die Bäuche, der Reisewagen kam in Bewegung, rollte aus dem Tor auf die Straße. – Der Zottige wollte schon auf seinen Hof zurückkehren, aber Filofej brachte ihn mit einigen Peitschenhieben zur Vernunft – und schon verließen wir das Dorf und rollten auf einer ziemlich ebenen Straße zwischen dichtem Haselgebüsch dahin.
Die Nacht war still, schön und außerordentlich geeignet zum Fahren. Der Wind rauschte bald im Gebüsch und bewegte die Zweige und legte sich bald ganz; aber am Himmel waren hier und da unbewegliche silberne Wölkchen zu sehen; der Mond stand hoch und beleuchtete hell die ganze Umgebung. – Ich streckte mich auf dem Heu aus und war schon beinahe eingeschlafen … da erinnerte ich mich der ›schlechten Stelle‹ und fuhr auf.
»Du, Filofej, ist es noch weit bis zur Furt?«
»Bis zur Furt? Es werden an die acht Werst sein.«
Acht Werst, dachte ich mir. – Vor einer Stunde kommen wir nicht hin. Ich kann inzwischen schlafen. – »Du, Filofej, kennst du den Weg gut?« fragte ich wieder.
»Wie sollte ich ihn nicht kennen, den Weg? Ich fahre doch nicht zum erstenmal.«
Er fügte noch etwas hinzu, aber ich verstand ihn nicht … Ich schlief.
Mich weckte nicht meine eigene Absicht, genau nach einer Stunde zu erwachen, wie es so oft vorkommt – sondern ein seltsames, wenn auch schwaches Plätschern und Klatschen dicht an meinem Ohr. Ich hob den Kopf …
Was für ein Wunder! Ich liege wie vorher im Wagen, aber um den Wagen herum, eine halbe Elle unter seinem Rand, breitet sich eine von Mond beschienene, zitternde und funkelnde Wasserfläche. Ich blickte nach vorwärts: Auf dem Bock sitzt mit gesenktem Kopf und gekrümmtem Rücken, unbeweglich wie eine Bildsäule, Filofej – und noch weiter, über dem rieselnden Wasser sehe ich die geschwungene Linie des Krummholzes und die Köpfe und Rücken der Pferde. – Alles ist so unbeweglich und so lautlos, wie verzaubert, wie im Traum, wie in einem Märchentraum … Was ist denn das? Ich blicke zurück, hinter den Wagen … Wir befinden uns mitten im Fluß … das Ufer ist an die dreißig Schritt von uns entfernt.
»Filofej!« rief ich.
»Was?« fragte er.
»Was? Ich bitte dich! Wo sind wir?«
»Im Fluß.«
»Ich sehe, daß wir im Fluß sind. Aber so werden wir gleich ertrinken. So fährst du durch die Furt? Wie? Du schläfst doch, Filofej? Antworte!«
»Ich habe mich ein wenig versehen«, antwortete mein Kutscher. »Ich bin wohl, ich sündiger Mensch, zu sehr auf die Seite gekommen, jetzt müssen wir aber warten.«
»Was heißt warten? Worauf werden wir warten?«
»Soll sich der Zottige umsehen – wohin er sich wendet, dorthin müssen wir fahren.«
Ich setzte mich im Heu auf. Der Kopf des Zottigen ragte unbeweglich aus dem Wasser. Im hellen Mondlicht konnte man nur sehen, wie er das eine Ohr hin und her bewegte.
»Er schläft ja, dein Zottiger!«
»Nein«, antwortete Filofej, »er beschnüffelt jetzt das Wasser.«
Alles verstummte wieder, nur das Wasser plätscherte leise wie früher. Auch ich erstarrte. Mondlicht, Nacht, der Fluß, und wir im Fluß …
»Was schnarcht dort?« fragte ich Filofej.
»Das da? Das sind die Enten im Schilf … oder Schlangen …«
Das Mittelpferd schüttelte plötzlich den Kopf, spitzte die Ohren, schnaubte und rührte sich.
»Hü! Hü!« brüllte plötzlich aus vollem Hals Filofej; er erhob sich und schwang die Peitsche. Der Wagen kam sofort mit einem Ruck von der Stelle, durchschnitt die Strömung und bewegte sich schwankend und rüttelnd weiter … Anfangs schien es mir, daß wir in die Tiefe fahren und untertauchen, aber nach zwei oder drei Stößen und Sprüngen schien die Wasserfläche sich etwas zu senken … Sie senkte sich immer tiefer und tiefer, der Wagen wuchs aus ihr hervor, schon wurden die Räder und die Pferdeschweife sichtbar – und nun zogen uns die Pferde, große, schwere Spritzer um sich werfend, die im matten Mondlicht wie diamantene, nein, nicht wie diamantene, sondern wie saphirene Garben in die Höhe flogen, munter und mit vereinten Kräften auf das sandige Ufer und stiegen die Landstraße bergauf, ihre glänzenden, nassen Hufe ohne jeden Takt auf die Erde setzend.
Was wird jetzt wohl Filofej sagen, ging es mir durch den Kopf, wahrscheinlich, daß er recht gehabt habe oder irgend etwas in dieser Art! – Aber er sagte nichts. Darum hielt ich es nicht für nötig, ihm seine Unvorsichtigkeit vorzuhalten. Ich streckte mich wieder auf dem Heu aus und versuchte von neuem einzuschlafen.
Aber ich konnte nicht einschlafen, nicht etwa weil ich von der Jagd nicht müde genug gewesen wäre, auch nicht weil die Aufregung von vorhin meinen Schlaf verscheucht hätte, sondern weil wir durch eine gar zu schöne Gegend fuhren. Es waren ausgedehnte, weite, im Frühjahr überschwemmte Wiesen, mit einer Menge kleiner Pfützen, kleiner Seen, Bäche, am Rande mit Weidengebüsch bewachsene Buchten – eine typisch russische, vom russischen Volk so sehr geliebte Landschaft, die an die Gegenden erinnert, in die die Recken der alten Bylinen ritten, um weiße Schwäne und graue Enten zu jagen. Als gelbliches Band wand sich die eingefahrene Straße, die Pferde liefen leicht, und ich konnte die Augen vor Entzücken nicht schließen! Und das alles schwebte weich und harmonisch unter dem freundlichen Mond vorüber. Sogar auf Filofej machte das Eindruck.
»Diese Wiesen heißen bei uns Sankt-Georgs-Wiesen«, wandte er sich an mich. »Nach diesen kommen die Großfürsten-Wiesen; solche Wiesen findet man in ganz Rußland nicht wieder… So schön!« Das Mittelpferd schnaubte und schüttelte sich … »Gott sei mit dir …!« versetzte Filofej ernst und halblaut. »So schön!« wiederholte er und seufzte; dann räusperte er sich. »Bald beginnt die Heuernte, wieviel Heu werden sie hier ernten, eine Menge! In den Buchten gibt es viel Fische – was für Brachsen!« fügte er in singendem Ton hinzu. »Mit einem Wort – hier braucht man nicht zu sterben.«
Plötzlich hob er die Hand.
»Ach, sieh mal an! Über dem See … steht da ein Reiher? Fängt er denn auch nachts Fische? Ach, es ist ein Ast und kein Reiher. Wie ich mich bloß so täuschen konnte! Das macht der Mond.«
So fuhren wir und fuhren wir … Da nahmen aber die Wiesen ein Ende, es zeigten sich kleine Wälder, gepflügte Felder; auf der Seite blickte uns ein Dörfchen mit zwei oder drei Lichtern an – bis zur Landstraße blieben nur noch fünf Werst. Ich schlief ein.
Wieder erwachte ich nicht von selbst. Diesmal weckte mich die Stimme Filofejs.
»Herr … Herr!«
Ich erhob mich. Der Wagen stand auf einer ebenen Stelle in der Mitte der Landstraße; vom Bock mit dem Gesicht zu mir gewandt, die Augen weit aufgerissen (ich war sogar erstaunt, denn ich hatte bei ihm so große Augen gar nicht vermutet), flüsterte Filofej vielsagend und geheimnisvolclass="underline" »Es klopft …! Es klopft!«
»Was sagst du?«
»Ich sage – es klopft! Bücken Sie sich mal und horchen Sie. Hören Sie es?«
Ich steckte meinen Kopf aus dem Wagen, hielt den Atem an und hörte tatsächlich irgendwo weit, weit hinter uns ein schwaches Klopfen, wie das Poltern rollender Räder.