Eliseth stürmte auf den Flügeln des Zorns aus dem Turm hinaus und beauftragte den ersten zu Tode erschrockenen Sklaven, der ihr über den Weg lief, Angos zu holen, den Hauptmann der Söldner. Sie blickte dem flüchtenden Diener mit geballten Fäusten hinterher. So weit würde sie Miathans Befehlen gehorchen – aber weiter auch nicht.
»Du bist also fest entschlossen, sie zurückzuholen, ja, Miathan?« murmelte sie. »Nun, vielleicht habe ich eine Überraschung für dich!« Mit schnellen Schritten überquerte sie den Hof zu dem Kuppelbau, von dem aus sie das Wetter kontrollierte. Aurian war also in der Wüste? Hervorragend. Sie würde dort nicht mehr lebend herauskommen. Mit einem grimmigen Lächeln machte Eliseth sich daran, die Sandstürme zu entfesseln.
36
Der Kampf im Wald
Spät am Abend ging Vannor mit seiner Tochter Zanna über den von Fackeln erleuchteten Kiesstrand in der großen Höhle der Schmuggler. Zerbrochene Muscheln knirschten leise unter ihren Füßen, und das einzige andere Geräusch war das gedämpfte, beschwichtigende Lied der See, wenn das Wasser sanft gegen die steilen Wände auf der Rückseite der Höhle schlug. Das verständnisvolle Schweigen wurde von einem Seufzer Vannors durchbrochen. Sein Wiedersehen mit Antor und seiner Tochter war fröhlich gewesen, aber die kurze Zeit, die er mit ihnen verbracht hatte, war wie im Flug vergangen, und morgen würde er wieder aufbrechen müssen.
»Kopf hoch, Vater.« Zanna drückte, sehr zu Vannors Verdruß, seine Hand. Also wirklich, er sollte doch derjenige sein, der sie tröstet! Aber sein mittleres Kind, das gerade erst sechzehn Jahre alt geworden war, besaß einen Verstand, der weit über ihre Jahre hinausging. Sie war sein Liebling, und sie schlug ihm in jeder Hinsicht nach – unglücklicherweise einschließlich ihres Aussehens. Er lächelte ihr zu und betrachtete ihren stämmigen, kräftigen, kleinen Körper, ihr unscheinbares, freundliches Gesicht und ihr braunes Haar, das sie sich in schlichten Zöpfen flocht.
»Ich dachte, du würdest mit mir kommen wollen«, sagte er.
»Dann hättest du mich lehren müssen, wie man kämpft, so wie die Lady Aurian es tut«, erwiderte Zanna. »Die weiblichen Künste, die meiner Schwester einen Ehemann eingetragen haben, sind an mich verschwendet.« Sie seufzte und verriet damit ihre wahren Gefühle. »Ich wünschte, ich könnte mit dir kommen – aber ich würde dich nur aufhalten. Außerdem kann ich hier von größerem Nutzen sein.«
Vannor legte seinen Arm um sie und drückte sie fest an sich. »Nun, du scheinst dir die Sache ja genau überlegt zu haben. Hast du irgendwelche Pläne, von denen dein alter Vater wissen sollte?«
Zanna lächelte. Ein heimliches, kleines Lächeln, das ihrem Gesicht eine neue Reife gab. »Die habe ich wirklich – aber du mußt mir versprechen, mich ganz anzuhören, bevor du anfängst, mich anzuschreien.«
»Na gut.« Der Händler fragte sich, was ihr wohl durch den Kopf gehen mochte.
Zanna zögerte einen Augenblick. »Ich werde Yanis heiraten.«
»Was? Hast du den Verstand verloren? Nur über meine Leiche wirst du irgendeinen niedriggeborenen Gesetzlosen heiraten …«
»Vater, du hast gesagt, du würdest mich erst anhören. Du hast jetzt also keine Wahl mehr«, erinnerte Zanna ihn. »Außerdem bist du auch ein Gesetzloser! Es mag vielleicht nicht das sein, was du willst, aber siehst du denn nicht, wie vernünftig es wäre? Ich bin nicht dazu geschaffen, die Frau eines Kaufmanns zu sein, von der nur erwartet wird, daß sie hübsch und damenhaft ist.« Sie zog eine Grimasse. »Außerdem weißt du doch selbst, wie sehr den Kaufleuten am Aussehen gelegen ist. Du kannst dir keine Mitgift leisten, die irgend jemanden in Versuchung führen könnte, mich zu nehmen – und hier werde ich gebraucht. Yanis hat große Schwierigkeiten, seit er von seinem Vater die Führung der Nachtfahrer übernommen hat. Oh, er ist sehr tapfer und voller Ideen, aber er hat keine Ahnung, wie man plant. Ganz im Gegensatz zu mir – ich bin schließlich nicht umsonst deine Tochter!«
Vannor sah sie mit offenem Mund an, erstaunt und – widerwillig – beeindruckt. »Aber er ist doppelt so alt wie du«, wandte er ein.
»Er ist nicht einmal dreißig«, korrigierte Zanna ihn schnell, »und du hast wirklich kein Recht, über Alter zu reden.«
Vannor zuckte zusammen, denn er wußte, wie sehr sie Sara ablehnte . Also wechselte er hastig das Thema. »War das seine Idee?«
»Gewiß nicht!« Zanna war zutiefst empört. »Aber Remana wird mir helfen. Sie findet auch, daß es langsam Zeit wird, daß er heiratet …«
»Einen Augenblick mal. Du meinst, Yanis weiß nichts davon?«
Grinsend schüttelte Zanna den Kopf. »Nein – aber ich habe nicht die Absicht, mich davon aufhalten zu lasen. Dulsina sagt …«
»Schon wieder Dulsina«, brummte Vannor. »Ich hätte wissen müssen, daß sie da irgendwie mit drinsteckt.« Er versuchte, das liebevolle Lächeln zu unterdrücken, das sich bei dem Gedanken an seine unbeugsame Haushälterin über sein Gesicht schlich. Als man ihn zum Gesetzlosen erklärte, hatte Dulsina darauf bestanden, ihn in die Kanäle zu begleiten, wo sie sich gleich darangemacht hatte, den zusammengewürfelten Haufen seiner Rebellen zu organisieren und zu bemuttern; und sie hatte bei ihrem Aufenthalt dort gelernt, mit dem Bogen zu schießen und eine tödliche Klinge zu führen – mit demselben ruhigen Interesse, das sie gezeigt hätte, wenn es darum gegangen wäre, ein neues Rezept auszuprobieren. Jetzt war sie mit ihm zu den Nachtfahrern gegangen und organisierte das Leben seiner Familie wieder, als hätte sie nie damit aufgehört.
Vannor schüttelte den Kopf. »Bei den Göttern 1« Plötzlich stellte er fest, daß er sich keine Sorgen mehr über seine praktisch veranlagte Tochter machte. Sein Mitgefühl richtete sich statt dessen auf den ahnungslosen Anführer der Schmuggler. Der arme Yanis hatte keine Chance.
»Nun komm schon, Vater.« Zanna zog an seinem Arm. »Da ist Parric mit den anderen. Es ist Zeit, auf Wiedersehen zu sagen.«
»Und da wäre noch etwas …« begann Vannor und schloß abrupt wieder den Mund. Er hatte kein Recht, seine Tochter damit zu belasten, daß er größte Zweifel hegte an Parrics starrköpfigem Beharren, auf der Suche nach Aurian nach Süden zu fahren. Er sollte mit uns ins Tal kommen, dachte Vannor. Selbst wenn die Lady uns helfen will, wie soll ich ohne Parrics Hilfe eine Rebellenbasis aufbauen? Es ist ja schön und gut, zu sagen, daß ich Hargorn haben werde, der mir hilft, aber der Mann ist Soldat und kein Stratege. Ich selbst habe einfach nicht genug militärische Erfahrung, und Parric macht sich auf und davon und läßt sich für nichts und wieder nichts umbringen.
Der Kavalleriehauptmann kam durch die Öffnung, die von seinen Unterkünften hierherführte, und lächelte, als er Zanna mit ihrem Vater sah. Er war froh, daß die Kleine gekommen war, um auf Wiedersehen zu sagen – er hatte sie richtig in sein Herz geschlossen. Wenn er nur ein paar Jahre jünger gewesen wäre … Parric unterdrückte den Gedanken. Vannor würde es nicht dulden, daß irgendein ungehobelter Soldat mit seiner Lieblingstochter herumtändelte. Außerdem lag ihr Interesse woanders – und er wünschte ihr viel Glück. Yanis war nicht besonders klug, aber er war ein gutaussehender Bursche, und Parric wußte, wer in dieser Ehe die Zügel in der Hand halten würde. Er kicherte und fragte sich, ob sie wohl eine Chance gehabt hatte, ihrem Vater die Neuigkeiten mitzuteilen. Dem verblüfften Gesichtsausdruck Vannors nach hatte sie das wohl. Und als er näher kam, machte Zanna ihm auch ein kleines Zeichen hinter dem Rücken ihres Vaters. Parric mußte sich bemühen, eine ausdruckslose Miene beizubehalten, obwohl es ihn ganz unvernünftig freute, daß das Mädchen ihm ihr Vertrauen geschenkt hatte. Selbst wenn das bedeutete, daß sie ihn in einer väterlicheren Rolle sah, als ihm lieb war.