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Zanna grinste. »Du tust es, weil du uns liebst«, neckte sie ihn. »Bist du bereit, Dulsina?«

Die Haushälterin lächelte gequält. »Ich hoffe nur, daß meine alten Gehmuskeln bald wieder da sind«, sagte sie zweifelnd.

»Bei allem Respekt, gute Frau, das will ich wirklich hoffen«, schnaubte Hargorn. »Wir können es uns nicht leisten, daß du uns aufhältst – und du solltest dich jetzt besser beeilen, wenn wir die anderen wieder einholen wollen. Vannor wird es nicht bemerken, wenn wir uns ganz vorsichtig dem hintersten Teil des Zuges anschließen.«

»Keine Angst, Hargorn. Wenn Vannor den Weg schafft, kann ich es auch. Der Mann ist schon seit Jahren nirgendwo mehr zu Fuß hingegangen.« Sie umarmte Zanna und schulterte ihre Last. Dann hob sie seufzend ihre Augen gen Himmel. »Was ich nicht alles für Vannor tue.«

»Was du nicht alles für die Liebe tust, meinst du«, murmelte Zanna leise, während Dulsina bereits in der Abenddämmerung verschwunden war. Lächelnd begann sie ihren Weg nach unten zum Kliff, um Yanis zu suchen.

Wo, beim Schlund der Hölle, sind wir? fragte Vannor sich. Der Abschied von seiner Familie und seinen Freunden erschien ihm jetzt wie ein lange vergangener Traum. Die Rebellen wanderten nun schon seit Tagen auf diesen kahlen, ekelhaften Mooren herum, die sich vom Meer aus bis zu Eilins Tal hinzogen. Weil sie gezwungen waren, ihren Weg durch die sich windenden Täler zu nehmen, um sich vor den suchenden Söldnertrupps zu verstecken – die weit zahlreicher waren, als Vannor erwartet hatte –, hatten sie sich schon bald verirrt. Und nun hatten sie sich in dieser pechschwarzen Nacht doppelt verirrt, denn Wolken waren auf die Hügel herabgesunken und hüllten sie ein wie ein dicker, klebriger Nebel, der dem Händler kalte Spinnweben übers Gesicht wischte.

Vannor fluchte, wie er schon seit Tagen fluchte. Was hatten die Magusch nur mit dem Wetter angestellt? Dem Kalender nach sollte es Zeit sein, das Heu einzuholen, kurz vor dem Herbst, und diese Hügel sollten in Sonnenschein schwelgen, eingehüllt in das lebhafte Grün junger Farne und das frische Purpur früher Heide unter einem Himmel, der eine dunkelblaue Schale war, erfüllt von der wilden, zirpenden Freude des Gesangs der Feldlerchen. Aber in diesem Jahr hatte es keinen Frühling gegeben, geschweige denn einen Sommer, und das Land war ausgetrocknet und verdorrt. Die Menschen hungerten jetzt sicher, dachte Vannor. Diejenigen, die in der Nacht der Todesgeister gestorben waren, konnten sich vielleicht noch glücklich schätzen.

Das grimmige Winterwetter nagte an dem Gemüt des Kaufmanns und beraubte ihn seiner Hoffnung und seines Muts. Wenn doch nur Parric da wäre, mit seinen militärischen Fähigkeiten und seinem unbeugsamen Geist! Er hätte sich nicht im Nebel verirrt. Wenn sie doch nur Pferde hätten, statt diesen langsamen, qualvollen Weg zu Fuß unternehmen zu müssen. Dann hätten sie schon vor Tagen die Zuflucht des Tals erreicht. Aber es waren keine Pferde zu haben gewesen. Die Schmuggler hatten nicht genug, um ihnen welche zu überlassen, und die meisten anderen waren mittlerweile wohl aufgegessen worden, vermutete Vannor. Parric hatte ihm seine Rebellen anvertraut, und er hatte alles verpfuscht. »Ich tauge nicht zu dieser Sache«, murmelte er hilflos. »O Parric, warum mußtest du nur weggehen?«

Voller Verzweiflung hatte Vannor seine kleine Schar verlassen und war auf diesen Hügel gekrochen in der Hoffnung, von dort aus den Nebel durchdringen zu können, der wie ein dunkelgrauer Fluß über dem Tal lag. Aber es hatte keinen Sinn. Selbst von hier oben aus konnte er nichts sehen. »Fional? Hargorn?« flüsterte er den Spähern zu, die ihn begleitet hatten. Er bekam keine Antwort. Zur Hölle mit ihnen! Hatte er ihnen nicht eingeschärft, ganz in der Nähe zu bleiben? Die Geräusche drangen weit im Nebel, und er wagte nicht, laut nach ihnen zu rufen. In den Hügeln wimmelte es von Angors Söldnern. Wenn sie sich verlaufen hatten, hatten sie keine Chance, in dieser Dunkelheit und diesem Nebel wieder zurückzufinden. Wütend über ihre Dummheit und voller Sorge um ihre Sicherheit machte er sich auf den Weg den Hügel hinab, um sich wieder zu seinen Leuten zu gesellen. Vannor war einige Zeit gegangen, bevor ihm die schreckliche Wahrheit dämmerte. Nicht seine Späher hatten sich verirrt – er war es! Er hatte schon vor langer Zeit wieder flachen Boden erreicht und ging doch gewiß in die richtige Richtung – aber von den Rebellen war nichts zu sehen und nichts zu hören. Vannors Herz begann zu hämmern, und klebriger Schweiß sickerte zwischen seinen Schulterblättern herab. Als er so sicher gewesen war, in die richtige Richtung zu gehen, hatte er sich noch ganz wohl gefühlt, aber jetzt … Der undurchdringliche Nebel umwaberte ihn und verwirrte ihn so sehr, daß er keine Orientierung mehr hatte. Vannor kämpfte seine Panik nieder. War der Boden unter seinen Füßen wirklich eben? Ging er in die falsche Richtung und lief dem Feind direkt in die Arme? Er kämpfte einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, um sich davon abzuhalten, blind in die Dunkelheit hineinzurennen und vor der Furcht zu fliehen, die ihn zu verzehren drohte. Unter größten Anstrengungen gelang es Vannor, sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ruhig, dachte er. Beruhige dich, du Narr! Was hätte Parric in dieser Situation getan? Zunächst einmal hätte er sich nicht verirrt – aber das war kein Trost.

Er blieb stehen und nahm einen Schluck aus seiner Wasserflasche, wobei er wünschte, sie enthielte den feurigen Alkohol, den er zu Hause hatte. Aber was jetzt? Er konnte warten, bis der Nebel sich hob oder bis die Dämmerung kam, was immer von beiden früher geschehen mochte; oder er konnte versuchen, seine Schritte zurückzuverfolgen, in der Hoffnung, daß er irgendwo über seine Leute stolperte. Er wußte, das vernünftigste wäre, einfach abzuwarten, aber die Kälte ging ihm bis auf die Knochen, und die Untätigkeit erzürnte ihn und zwang seinen Verstand zu nutzlosen Vorstellungen. War das ein Geräusch? Da drüben? Oder dort? Waren es seine Leute? Oder der Feind? Wieder und wieder war er nahe daran, irgendwelchen eingebildeten Geräuschen hinterherzulaufen, obwohl ihm der gesunde Menschenverstand sagte, daß er damit nur riskierte, sich auf diesen endlosen Mooren endgültig zu verirren. Am Ende waren seine Nerven bis zum Zerreißen gespannt, und er gab auf. Besser sich weiterzubewegen, beschloß er; er wollte versuchen, seinen Weg zurückzuverfolgen. Zumindest mußte ihn das noch näher an seine Leute heranbringen. Also drehte er sich vorsichtig um und blickte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann machte er sich durch den Nebel auf den Weg.

Verflucht und verdammt! Die Neigung des Bodens unter seinen Füßen und der Druck in seinen Oberschenkeln waren keine Illusion. Eine Zeitlang war Vannor wieder bergauf gegangen, einen Hügel hinauf, der weit steiler war als derjenige, den er zuvor erklommen hatte. Wie konnte das sein? Er war doch so vorsichtig gewesen! Entsetzt und angewidert über sich selbst, ließ der Händler sich fallen und legte seinen Kopf in die Hände. Es hatte keinen Sinn. Vielleicht konnte er klarer denken, wenn er sich ein wenig ausgeruht hatte.

Vannor setzte sich mit einem Ruck auf. Es war noch immer neblig, aber um ihn herum schimmerte ein trübes, graues Licht, und er konnte ein paar Meter von sich entfernt gelblichen, vertrockneten Rasen erkennen. Er mußte eingedöst sein. Dann hörte er wieder das schwache Geräusch, das ihn geweckt hatte. Von irgendwoher auf den Hügeln über ihm erklangen Kampfgeräusche, die durch den Nebel bis zu ihm herunterdrangen. Die Furcht um seine Leute krampfte ihm den Magen zusammen, und Vannor erhob sich taumelnd und rannte mit gezücktem Schwert den Abhang hinauf.

Der steile Hang schien endlos zu sein, aber die Kampfgeräusche wurden in seinen Ohren immer lauter. Endlich sah Vannor verschwommene, dunkle Schatten vor sich. Die Entfernung war trügerisch im Nebel, und er war mitten in dem Tumult, bevor er noch recht wußte, wie ihm geschah. Bäume! Dank den Göttern! Es gab nur einen Ort auf diesem grimmigen Moor, an dem Bäume wuchsen. Er mußte in der Nähe des Abhangs zum Tal hin sein, und er konnte deutlich den Kampf vor sich hören, dessen Geräusche immer noch ungemindert waren. Also warf er einen Arm in die Höhe, um sein Gesicht vor dem Gewirr federnder Äste zu schützen, und zwängte sich durch die Bäume hindurch.