Vannor schob alle Vorsicht beiseite und bahnte sich ungeachtet der Gefahr einen Weg durch das Unterholz, bis er schließlich auf eine Lichtung stieß, wo lautes Kampfgetümmel herrschte.
»Halt, Vannor – Verräter und Gesetzloser!« Die Stimme war hart. Vannor blieb stehen und senkte den Arm, der ihm die Sicht versperrte. Von den Bäumen aus kam eine ringförmige Kette unrasierter Söldner auf ihn zu, die bis an die Zähne mit blankem Stahl bewaffnet waren.
»Laß dein Schwert fallen!« Der Kreis teilte sich, und Angos trat vor, mit bösartiger Belustigung auf dem Gesicht. »Was für ein Rebell«, höhnte er. »Du hattest nie eine Chance, du Narr.« Beinahe wie von selbst fiel das Schwert aus Vannors tauber Hand. Er hatte versagt. Parric hatte sich geirrt, als er ihm vertraute. Im Wald wurden die Kampfgeräusche leiser und hörten schließlich ganz auf. Einer nach dem anderen wurden die Rebellen auf die Lichtung getrieben – ihre Anzahl war geringer als zuvor, wie der Händler mit sinkendem Mut bemerkte. Man hatte ihnen die Hände auf dem Rücken gefesselt, und sie wurden nun gezwungen, auf dem Boden niederzuknien. Vannors Blick streifte über die demoralisierten Gefangenen, von einem Gesicht zum anderen, bis er eines entdeckte, das ihn steif vor Entsetzen werden ließ. Dort, ohne Umhang und ohne Maske, mit langem, schwarzen Haar, das ihr über ein geschundenes und schmutziges Gesicht fiel, kniete Dulsina. Der Schlag einer eisernen Faust fuhr hart über sein Gesicht, und Vannor taumelte. Durch tränende Augen sah er Angos, der über ihm stand und böse grinste. »Der Erzmagusch will dich und Parric zum Verhör. Wenn du das überlebst, hat er eine schöne, kleine öffentliche Hinrichtung geplant.« Sein kalter Blick flackerte über die gefangenen Rebellen. »Was, kein Parric? Hat der lächerliche kleine Zwerg euch im Stich gelassen? Oder versteckt er sich woanders?« Er zuckte die Achseln. »Wenn du es weißt, werden wir es schon herausbekommen. Wenn nicht, werden wir ihn trotzdem finden, keine Angst. Ich glaube nicht, daß wir uns die Mühe machen müssen, den Rest von diesem Abschaum mitzunehmen. Die sind es nicht einmal wert, daß man guten Stahl an ihnen zerkratzt. Bogenschützen …«
Die Stimme des Söldners ging in einem Donnern von Hufschlägen unter. Vor Vannors Augen riß ein Ruck Angos herum, der sich vor Schreck versteifte. Dann explodierte seine Brust, als wäre sie von einem Schwert durchstochen worden – aber es war nichts zu sehen! Sein Körper wurde in die Luft geschleudert und landete mehrere Meter entfernt auf dem Boden. Dann brach die Hölle unter den Söldnern los, aber bevor sie noch ein Schwert heben oder einen Bogen spannen konnten, wurden die Bäume auf der Lichtung lebendig. Äste und Wurzeln schlängelten sich vorwärts und umklammerten sie in einer tödlichen Umarmung. Dornige Zweige peitschten ihre Augen, und Äste rissen weiche Bäuche auf und besudelten den Boden mit Eingeweiden und Blut. Dann brachen die Wölfe wie eine brodelnde graue Masse aus dem Wald hervor und erstickten die Schmerzensschreie und das Krachen brechender Knochen mit ihrem wilden Todesgeheul.
Es war in wenigen Sekunden vorüber, obwohl Vannor, der jede Einzelheit des grauenvollen Gemetzels in sich aufnahm, wußte, daß er genug gesehen hatte, um endlose Monate lang Alpträume zu haben. Als die Wölfe ihr blutiges Werk beendet hatten, fiel die erstarrte Ruhe des Schocks von ihm ab, und er sank auf die Knie, krümmte sich und übergab sich stöhnend vor Entsetzen.
Vannor öffnete die Augen, um endlich zu begreifen, was ihm sein betäubtes Gehirn schon seit einigen Minuten zu sagen versuchte. Die Wölfe und die Bäume hatten gewußt, welche Leute sie nehmen mußten! Die blutigen Überreste von Angos und seinen Männern waren über die ganze Lichtung verstreut. Kein einziger hatte überlebt. Auf dem winzigen Flecken, der von dem Greuel verschont geblieben war, kauerten die gefesselten und entsetzten Rebellen nahe beieinander mit weit aufgerissenen Augen und zitternden Gliedern, aber vollkommen unversehrt! Neben ihnen stand der größte der Wölfe; allein jetzt, denn seine Kameraden waren wieder mit dem Wald verschmolzen. Er stellte fragend die Ohren auf und sah Vannor an. Dann winselte er und wedelte mit dem Schwanz!
Der Kaufmann schüttelte ungläubig den Kopf und näherte sich mit ausgestreckter Hand dem Wolf. Als er die Entfernung zwischen sich und dem Tier verringerte, trat es langsam, aber immer noch schwanzwedelnd zurück.
Vannor hob einen Dolch vom Boden auf, und nachdem er das Blut an seinem Umhang abgewischt hatte, begann er, die anderen von ihren Fesseln zu befreien. »Das mir niemand dem Wolf etwas tut«, warnte er mit leiser Stimme.
»Niemand soll ihm etwas tun!« murmelte irgend jemand ungläubig. »Niemand wird auch nur in die Nähe dieses verdammten Dings kommen!« Es erhob sich ein nervöses Kichern unter den Rebellen, und ihr Mut gab Vannor die Kraft, von neuem das Kommando zu übernehmen. Er riß Dulsina auf die Füße.
»Du«, sagte er streng. »Du hast mir etwas zu erklären!« Er starrte seine versammelte Mannschaft an. »Um genau zu sein, hat es schon einer Verschwörung bedurft, um sie die ganze Zeit während unseres Marsches zu verstecken, also habt ihr alle mir etwas zu erklären!«
Alle blickten nun zu Hargorn hin, und der alte Veteran zuckte die Achseln. »Nun, Parric hat sich darauf verlassen, daß ich mich um dich kümmere, und da du die Absicht hattest, ein ständiges Lager ohne eine Köchin und ohne einen Quartiermeister aufzuschlagen …« Er grinste. »Ich konnte doch nicht zulassen, daß du einen solchen Fehler machst, oder?«
Zum Glück für Hargorn und Dulsina lenkte ein drängendes Winseln Vannors Aufmerksamkeit von den Missetätern ab. Er sah sich um und erblickte den Wolf, der immer noch geduldig am anderen Ende der Lichtung auf ihn wartete. Hinter ihm hatten die Bäume sich irgendwie zur Seite bewegt und einen deutlich erkennbaren Weg durch den Wald freigegeben. Der Wolf drehte sich um und rannte den Pfad entlang, blieb dann stehen und sah sich über die Schulter nach Vannor um. Der Händler warf einen Blick auf seine Rebellen und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, was ihr denkt, aber für mich sieht es so aus, als würden wir hier willkommen geheißen.«
Als die erschöpften Rebellen dem Wolf in die schützende Zuflucht des Tals gefolgt waren, schloß D’arvan die Reihen der Bäume hinter sich und verbarg ihren Weg und alle Anzeichen des Gemetzels auf der Lichtung. Maya wischte sich im Gras ihr Hörn ab, das von Angos Blut besudelt war. Sehnsüchtig blickte sie ihrem alten Freund Hargorn hinterher und stieß ein trauriges, kleines Winseln aus. D’arvan wußte, wie sie sich fühlte. Er legte tröstend einen Arm um den warmen, glänzenden Rücken des Einhorns und wünschte, die Männer könnten ihn sehen – wünschte, er könnte mit ihnen sprechen und ihnen sagen, daß sie nun in Sicherheit waren. Er sehnte sich so sehr nach Gesellschaft. Der Wald hatte sich als ein einsamer Ort für seinen Wächter erwiesen, und für Maya mußte es noch schlimmer sein.
»Nun, meine Liebste«, sagte er zu dem Einhorn, »Hellorin hat uns angewiesen, die Feinde des Erzmagusch zu beschützen, und ich kann mir niemanden denken, den ich lieber unserem Schutz unterstellte als unsere Freunde aus der Garnison. Und mit der Zeit werden noch andere kommen. Es ist jetzt vielleicht noch keine große Armee, aber immerhin ein Anfang.«
De Abend dämmerte bereits, als sie endlich den Baum gefällt und von seinen Zweigen befreit hatten. Parric sah vom regenüberströmten Strand aus zu, wie der Baum mit Hilfe von Ruderbooten zu dem ramponierten Schiff gebracht wurde.