»Nun, das wär’s«, sagte Idris. »Wir machen uns jetzt auf den Weg, Parric, und erledigen unsere Reparaturen unterwegs.« Er schien von Herzen erleichtert zu sein, diesen einsamen Ort verlassen zu können.
»Aber ihr werdet doch sicher bleiben, bis der neue Mast an Ort und Stelle ist«, protestierte der Kavalleriehauptmann.
»Keine Chance, Kamerad. Wir sollten euch nach Süden bringen, hat Yanis gesagt, und das war alles. Ich werde nicht hierblieben, bis die verfluchten Pferderitter kommen, vielen Dank! Von jetzt an seid ihr auf euch gestellt.« Er spuckte in den Sand. »Außerdem muß ich an meine Mannschaft denken. Ich habe noch nie um diese Jahreszeit solche Stürme erlebt. Nein, ich sehe zu, daß ich so schnell wie möglich nach Hause komme, und ich bin dankbar, wenn ich es endlich geschafft habe.«
»Aber du kennst diese Leute …«
Idris hob erstaunt die Augenbrauen. »Wer hat dir denn das erzählt? Wir handeln mit den Khazalim, weiter im Süden – was diese Leute hier betrifft, haben wir überhaupt keine Ahnung. Eine Horde von Wilden oder so etwas, habe ich gehört!«
Parric holte tief Luft, zählte bis zehn und legte dann mit einem üblen Fluch dem Schmugglerkapitän die Hände um den Hals. »Warum, zum Kuckuck, habt ihr uns dann nicht zu den Khazalim gebracht?« knurrte er. Idirs befreite sich mit einiger Mühe und trat hastig einen Schritt zurück. Dann warf er Parric einen bösartigen Blick zu und zog sich sein Lederwams zurecht.
»Weil«, sagte er, »ich bei diesem Wetter nicht weiter nach Süden fahre – und ich werde diese verdammte Magusch keinen Zentimeter weiter transportieren. Sie war mir schon die ganze Zeit über ein Dorn im Auge, und sie hätte die Mannschaft beinahe zur Meuterei gebracht mit ihren Befehlen und ihren Klagen. Außerdem bringt ihresgleichen immer Pech – sieh dir nur die Stürme an, die wir gehabt haben, wenn du irgendwelche Zweifel daran hast. Es tut mir leid, Kamerad, aber sie gehört jetzt ganz dir – und ich wünsche dir viel Glück mit ihr.« Mit diesen Worten stieg er in das letzte Boot. Seine Männer ruderten davon, kämpften mit den schäumenden Wellen und ließen Parric in hilflosem Zorn an der Küste zurück.
»Parric.« Sangra unterbrach das von Herzen kommende Fluchen des Kavalleriehauptmanns. Sie griff nach seinem Arm und zog ihn von den anderen weg. »Fluchen wird uns auch nichts nützen, Liebster. Wir müssen die Vorräte, die sie uns gelassen haben, ins Trockene schaffen, und Elewin braucht dringend ein Feuer. Es geht ihm sehr schlecht.«
Parric nickte, denn er wußte, sie hatte recht. Während des nicht enden wollenden Elends der Stürme war der alte Mann beinahe an Kälte und Seekrankheit gestorben, und Meiriel hatte sich geweigert, ihm zu helfen – hochmütig hatte sie darauf beharrt, daß es nicht ihre Aufgabe sei, ihre Kräfte an Sterbliche zu verschwenden.
Sie fanden einen Felsüberhang – er war zu flach, um eine Höhle genannt zu werden – und schickten Meiriel und Elewin hinein. Sangra begann, die Vorräte in ihr Versteck hineinzuzerren, während Parric Treibholz suchte. Ein Blick auf den durchnäßten Haufen Holz zeigte ihm, daß kein Sterblicher es jemals würde entzünden können. Und Elewin sah schrecklich aus. Der Haushofmeister kauerte hinten unter dem Felsen, geschüttelt von Hustenkrämpfen. Als Parric sein graues Gesicht und die blutleeren Lippen sah, spürte er heftige Angst. In der Erinnerung an Aurians Talente machte er der Magusch den Vorschlag, daß sie das Feuer mit ihrer Magie entzünden solle. Meiriel sah ihn an, als sei er eine Küchenschabe. »Ich kenne mich mit Feuermagie nicht aus«, erklärte sie. »Ich bin eine Heilerin, keine Feuermagusch.«
Da zerbrach etwas in Parric. Er sprang nach vorn, ergriff die Magusch und drehte ihr einen Arm auf den Rücken. Mit der anderen Hand zog er sein Messer und legte die Klinge auf die nackte, weiße Haut ihres Halses. »Wenn du eine verdammte Heilerin bist, dann mach deine Arbeit«, fuhr er sie an. »Heile Elewin, und zwar jetzt – sonst schlitze ich dir deine nutzlose Kehle auf!«
»Parric – keine Bewegung!« Sangras ruhige Warnung drang durch seinen Zorn. Der Kavalleriehauptmann blickte auf und sah mehrere Fremde, die den Eingang zu ihrem Versteck blockierten. Es waren Krieger – daran bestand kein Zweifel. Ihr vom Regen verdunkeltes Haar war lang – gleichgültig, ob es Männern oder Frauen gehörte –, und sie hatten es alle zu verschlungenen Zöpfen gebunden, um im Kampf mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Obwohl sie klein von Gestalt waren, mußten ihre knorrigen Muskeln von drahtiger Kraft sein – das verrieten die großen Schwerter, die sie bei sich trugen. Sie waren alle gleich gekleidet in ein Wams und in Kniehosen aus geschmeidigem Leder. Die Männer waren glatt rasiert. Eine der Frauen trat vor und sagte einige Worte in einer fließenden, wiegenden Sprache.
»Jetzt ist es aus!« murmelte Parric. »Ich verstehe kein Wort von dem, was sie sagen.« Er spürte, wie sein Messer über Meiriels Kehle glitt, als die Maguschfrau ein hartes Lachen ausstieß.
»Ich verstehe sie«, rief sie mit schriller, triumphierender Stimme. »Sie hat gesagt, du sollst deine Waffe wegwerfen, Parric. Sie hat gesagt, wir sind ihre Gefangenen.«
37
Begegnung mit einem Geist
Das Pferd geriet ins Taumeln, riß Aurian nach vorn und hätte sie beinahe abgeworfen. Sie reagierte schnell und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht zurück in den Sattel, während sie gleichzeitig an den Zügeln zerrte, um ihr stolperndes Pferd wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mit leisen Worten der Ermutigung streichelte sie den Hals ihres müden Hengstes und zog eine Grimasse, als sie auf ihre Hand blickte, die nun mit einer Schicht von Schweiß und Staub aus dem Fell des Tieres überzogen war. Obwohl das Pferd sich beim Klang ihrer Stimme tapfer wieder gefangen hatte, wußte sie, daß es am Ende seiner Kräfte war. Die Magusch blickte nach vorn, dorthin, wo eine weit entfernte Bergkette das Ende der Wüste markierte. Sie stieß einen leisen Fluch aus. Die ganze Nacht waren sie geritten, und nun brach der Morgen an, aber diese schneehellen Gipfel schienen kein bißchen näher gerückt zu sein. Aurian fragte sich, ob sie überhaupt noch hoffen durften, sich in Sicherheit zu bringen, bevor die Pferde unter ihnen wegstarben.
Es war die dritte Nacht ihrer Reise von der letzten Oase aus, und die Gefährten waren angesichts der furchtbaren Bedingungen so schnell geritten, wie sie nur konnten. Sie hatten nur wenig Wasser mitnehmen können und waren gezwungen, langsamer zu reiten, als sie es gern getan hätten, denn sie mußten an Shia und an ihre Pferde denken. Es hatte jedoch nur eine Lösung gegeben. Der Himmel war von niedrigen, bauchigen Wogen leuchtend gelber Wolken bedeckt, die die Sonne verbargen und es ihnen gestatteten, während eines Teil des Tages weiterzureiten, obwohl sie immer noch gezwungen waren, gegen Mittag Schutz zu suchen, wenn das Licht am hellsten und die Hitze am größten waren. Unglücklicherweise, so dachte Aurian, während sie schaudernd zum Himmel aufblickte, kündigten diese Wolken schwere Stürme an.
Es schien beinahe so, als hätte der Gedanke die trügerischen Elemente angespornt. Aurian spürte, wie ein heißer Windstoß in ihre Gewänder fuhr. Ihre Hände klammerten sich unbewußt an den Zügeln fest, während sie einen Blick auf Anvar warf. Obwohl sein Gesicht hinter den Wüstenschleiern verborgen war, sah sie, wie er sich vor Angst in dem heller werdenden Licht anspannte. Der Wind wurde stärker, trieb die dahinfliegenden Wolken mit gewaltiger Geschwindigkeit über den Himmel und riß ihre hohen Türme in Fetzen. Flecken klaren Himmels begannen sich zu zeigen und zwangen Aurian, die Augen zusammenzukneifen, damit das Funkeln des Sandes, das noch schneller als das Sonnenlicht selbst aufzustrahlen schien, ihr nicht unerträgliche Schmerzen bereitete. Die Magusch biß sich auf die Lippen; Angst umklammerte ihre Eingeweide wie eine eiserne Faust. Es war schon zu windig, um noch ein Schutzzelt aufzubauen – dünne Schlieren glitzernden Juwelenstaubs wehten über den Wüstenboden und kündigten Schlimmeres an.
»Lauft!« Sie hätte Anvars Warnung nicht gebraucht. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und zwang es weiter auf die Sicherheit des Wüstenrandes zu – so schnell seine müden Beine es tragen konnten.