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Es war nicht schnell genug. Etwa eine Wegstunde vom Rand der Wüste entfernt wurden die Wolken dünner und lösten sich auf, und die blendende Scheibe der Sonne brach durch. Aurian preßte sich die Hände auf die Augen, um das qualvolle Funkeln abzuhalten, als plötzlich Shias Schmerz durch ihre Gedanken schoß. Die Pferde heulten auf und versuchten, sich auf die Hinterbeine zu stellen, um in wilder Panik vor der Quelle ihrer Qualen zu fliehen. Die Magusch kämpfte mit den Zügeln, blind und ohne Orientierung, und versuchte verzweifelt, ihr verrückt gewordenes, dahinstürmendes Pferd unter Kontrolle zu bekommen. Der entsetzliche Gedanke, daß sie Anvar verloren haben mußte, durchschoß sie, bis sein Pferd plötzlich gegen ihr eigenes prallte und sie beinahe aus dem Sattel warf. Wild geworden vor Angst, rannten die Pferde weiter und hielten sich, getrieben vom Herdeninstinkt, nah beieinander. Aurian klammerte sich an ihrem Tier fest und versuchte, den gedanklichen Kontakt zu Shia zu halten, um ihre Freundin bei ihrer Flucht zu führen. Durch ihre Verbindung mit der Katze konnte sie spüren, daß Anvar dasselbe tat, und sie betete darum, daß sie in die richtige Richtung flohen.

Dann verschwand das weiße Funkeln wie durch ein Wunder; barmherzig wurde es ausgeschaltet, als hätte es nie existiert. Die Pferde blieben taumelnd und mit zitternden Gliedern stehen. Die schwindelerregenden Nachbilder verschwanden allmählich, und Aurian sah Anvar starr vor Entsetzen über seine Schulter zurückblicken.

Der heiße Wind fuhr in heftigen Böen in ihre Kleider und peitschte brennende Staubteufel aus scharfem Juwelensand empor. Hinter ihnen flogen große, dunkle Wolken über den Wüstenboden. Sie reichten von Horizont zu Horizont, kamen von Süden und Osten. Die Wolken verdunkelten die Sonne und schoben sich mit jedem Augenblick näher. »Ein Sandsturm!« kreischte Aurian. »Lauft!«

Sie liefen. Die Pferde, die instinktiv wußten, was hinter ihnen war, legten eine Geschwindigkeit an den Tag, die die Magusch erstaunte. Shia rannte neben ihnen her und hielt sich sorgfältig von den hämmernden Hufen fern. Jetzt, da ihr Leben auf dem Spiel stand, konnte sie auch wieder laufen. Aber wie lange würde sie diese mörderische Geschwindigkeit durchhalten können? Wie lange würde es überhaupt jemand von ihnen können? Konnten sie hoffen, dem Wind selbst zu entfliehen?

Sandschwaden wirbelten um sie herum und begannen bereits, an Aurians Gewand zu zerren; sie schürften ihr die Gesichtshaut ab, als der scharfkantige Staub sich zielsicher unter ihre Schleier stahl. Der Schmerz spornte Pferde und Reiter an und beschleunigte ihre Flucht. Aurian erhaschte immer wieder einen Blick auf den Weg vor ihr, der sich in weiter Ferne durch die sich immer wieder verlagernden Vorhänge aus Sand hindurchschlängelte und in Sicherheit führte – zu einem steilen Spalt in einer flachen Klippe, auf deren Gipfel Bäume wuchsen. Gesegnete, dick belaubte Bäume; verzerrt und zerrissen von der Wüste, aber genug, um sie vor der Kraft des tödlichen Sturmes zu schützen. Doch sie waren zu weit weg. Als der Wind die Fetzen ihres Schleiers von ihrem blutüberströmten Gesicht riß, füllte sich ihr Mund mit erstickendem Sand; noch während sie gezwungen war, ihre Augen zu verschließen, wußte sie, daß sie es nicht schaffen würden. Sie konnte hinter der Kraft des Sturms die schadenfrohe Grausamkeit der Wettermagusch spüren, und sie wußte, daß Eliseth gewonnen hatte.

Anvar spürte mehr, als daß er sah, wie Aurian taumelte, und griff mit aller Kraft in die Zügel, um sein wild gewordenes Pferd zum Stehen zu bringen. Von Shia war keine Spur mehr zu sehen, und er konnte auch ihre Gedanken nicht mehr finden. Er drehte sich auf seinem Sattel um und spähte durch seine zerfetzten Schleier hindurch auf die Magusch, die die Hände übers Gesicht geschlagen hatte, um ihre Augen zu schützen, und ihre Knie benutzte, um das Pferd weiter unter Kontrolle zu halten – mit einer Sicherheit, die das Kennzeichen von Parrics Unterricht war. Aber das hier war kein nördliches Kriegspferd, dem solche Methoden antrainiert waren, und er wußte, daß es nur eine Frage der Zeit war, bevor das Tier in panischer Angst durchgehen und sie abwerfen würde. Schmerz umwölkte seine Gedanken, als der Juwelenstaub durch seine zerfetzten Kleider an seinem Fleisch riß, aber Anvar konnte Eliseths Triumph spüren, und dieser Triumph trieb ihn zu einem so gewaltigen Zorn, wie er ihn seit jener Nacht nicht mehr empfunden hatte, in der er Miathan seine Kräfte entrissen hatte. Aurian hatte keine Energie mehr, dem Angriff zu begegnen. Wenn überhaupt noch irgend etwas zu ihrer Verteidigung getan werden konnte, mußte es von ihm, Anvar, kommen. Mit plötzlicher Entschlossenheit sprang er von seinem dahinstürmenden Pferd und warf Aurian die Zügel zu, wodurch er sie zwang, ihre aufgescheuerten, blutigen Hände von ihrem Gesicht zu nehmen, um nach den Lederriemen zu greifen. Er ignorierte ihren verblüfften Gesichtsausdruck und stachelte seine Wut mit der Schärfe seiner Angst weiter an, schwang sie wie ein Schwert und streckte sein Bewußtsein aus, wie die Magusch es ihm beigebracht hatte. Dann schmetterte er seine ganze Kraft hinaus in das Gesicht des Sturms.

Frieden. Es war eine plötzliche, gesegnete Stille in dem verzauberten Brodeln von Anvars Schild, obwohl der Sturm sich mit wachsendem Zorn gegen die schimmernde, durchsichtige Barriere warf, die Anvar um sich und seine Freunde errichtet hatte. Er sah Aurian mit den wild gewordenen Pferden kämpfen. Sie hatte ihre tränenden Augen voller Überraschung auf ihn gerichtet. Der Boden hob sich plötzlich, als Shia auftauchte und sich in einem glitzernden Schauer den Juwelenstaub aus dem Fell schüttelte, um schließlich gewaltig zu niesen. Die Katze hatte genug Verstand gehabt, um sich zu Boden zu werfen und zu vergraben, so daß der Sand ihr einen gewissen Schutz vor seiner eigenen, schneidenden Kraft geboten hatte. Das war alles, was Anvar sehen konnte, bevor Eliseth ihm in frustriertem Zorn ihre gebündelte Macht entgegenschlug, als sie aus der Ferne seine Magie spürte.

Sein Schild zitterte und brach unter der Gewalt ihre Schlags, und der Sturm fiel wieder einmal über sie her. Grimmig nahm Anvar den Kampf mit Eliseth auf, und sein Bewußtsein setzte alles daran, sich in den Kern ihres Willens hineinzubohren. Er spürte, wie sie entsetzt zurückwich, als sie die Identität ihres Angreifers erkannte, und er benutzte ihr Zögern, um seine Kraft zu erneuern und den Sturm von seinen Freunden abzulenken. Eliseth schlug zurück wie eine Viper, aber diesmal rechnete er mit ihr, und sein erneuerter Schild schwankte zwar, hielt aber stand. Ihr Kampf nahm einen tödlichen Ernst an, während sie verzweifelt miteinander rangen und ihrer beider Wille ineinander griff, bis sie schließlich in eine Sackgasse gerieten: Eliseth war unfähig, seinen Schild zu durchdringen, und Anvar war in eine Position der Verteidigung hineingezwungen, in der er zu beschäftigt damit war, seine zerbrechliche Barriere aufrechtzuerhalten, als daß er zum Schlag gegen sie hätte ausholen können. Die Luft um den Schild herum zischte und summte und glühte bald rot, bald blau unter dem Druck des magischen Kampfes.

Anvar verlor jegliches Gefühl für die Zeit, während der tödliche Kampf immer weiter ging. Obwohl nur Minuten – oder vielleicht auch Stunden – vergangen waren, hatte er das Gefühl, als sei er schon seit einer Ewigkeit in diesen endlosen Kampf verstrickt, und während Eliseths heimtückische Bosheit seine Kräfte aufsog, spürte er, wie er langsam müde wurde. Er war neu in diesem Spiel, ungeübt im Kampf mit Magie, aber er biß die Zähne zusammen und hielt aus, obwohl sein Gesicht sich unter dem Druck verzerrte und seine Knie unter der unbarmherzigen Gewalt von Eliseths Willen zitterten. Wenn er jetzt versagte, waren sie alle verloren.

Die Hand, die so energisch an seinem Arm zog, war eine unwillkommene Störung in seiner Konzentration. Anvars Schild schwankte und sackte gefährlich unter der Gewalt des Sturms in sich zusammen. Aurian schrie ihm ins Ohr, und ihre Stimme klang schrill vor Anstrengung, als sie sich bemühte, seine Aufmerksamkeit zu erringen. »Laß deinen Schild sinken, laß ihn fallen und schlag zu, solange du noch Kraft dazu hast!«