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»Laß mich gehen!« kreischte Aurian. »Forral, warte!« Während sie mit Anvar kämpfte, zitterte der Schild abermals, hielt jedoch stand. Obwohl Anvar alle Kraft brauchte, um ihre einzige Verteidigung aufrechtzuerhalten, ließ er Aurian trotzdem nicht gehen.

»Du hattest deine Chance«, rief er dem Geist zu. »Aurian gehört den Lebenden! Verschwinde von hier. Laß uns in Ruhe!«

»Aurian, nein« Shias Gedankenstimme war voller Angst. Aus den Augenwinkeln sah die Magusch, wie die große Katze verzweifelt versuchte, sich zu erheben, dann aber besiegt und geschlagen wieder zu Boden fiel. Doch Aurian war so in der Verlockung von Eliseths Zauber gefangen, daß nicht einmal dieser Anblick sie bewegen konnte.

»Laß mich los, du Mistkerl!« zischte sie Anvar zu. Sie hob die Hand und schlug ihm quer übers Gesicht. Anvar fing ihr Handgelenk auf und hielt es so fest, daß Aurian vor Schmerz aufkeuchte. Auf seinem Gesicht brannte der Abdruck ihrer Hand, und er sah zutiefst unglücklich und verletzt aus, aber seine Augen brannten.

»Das ist das zweite Mal, daß du mich dafür schlägst, daß ich dir das Leben gerettet habe. Ich dachte, wir hätten diesen Unfug endgültig hinter uns gelassen.«

»Du verstehst es nicht«, schrie Aurian. »Ich liebe ihn!«

»Ich verstehe es nicht?« Anvars Gesicht verzog sich zu einer gequälten Maske, während er versuchte, an zwei Fronten gleichzeitig zu kämpfen; mit der einen Hand mußte er den Schild aufrechterhalten, während er mit der anderen versuchte, Aurian zurückzuhalten. »Forral ist tot!« sagte er brutal. Aurian zuckte zusammen und haßte ihn in diesem Augenblick, aber seine Finger waren fest um ihr Handgelenk geschlossen und hinderten sie an der Flucht, während er ihr die unerträgliche, unausweichliche Wahrheit ins Gesicht schleuderte. »Er ist tot, du Närrin. Aber du lebst – und dein Kind lebt. Du hast kein Recht, diesem Kind die Chance zum Leben zu rauben. Das wäre vollkommen falsch, und du weißt es auch.« Anvar sah ihr direkt in die Augen. »Ich verstehe dich, weil ich dich liebe – und wenn ich an Forrals Stelle wäre, würde ich dich viel zu sehr lieben, um dich und unser Kind in den Tod zu locken.«

Seine Offenheit hatte dieselbe Wirkung auf Aurian, als hätte er ihr einen Schlag erwidert. Unfähig, seine Worte zu leugnen, konnte sie nur Verletzung mit Verletzung erwidern. »Darum geht es also, ja?« gab sie verbittert zurück. »Du willst mich für dich selbst – das ist dein einziges Ziel. Nun, ich liebe dich aber nicht, Anvar. Ich hasse dich! Was auch immer geschehen mag, ich werde dich niemals lieben, so lange ich lebe!«

Aurians Worte hallten in der entsetzten Stille zwischen ihnen wider. Anvar zuckte zusammen, als hätte sie ihm einen tödlichen Schlag versetzt, und dann ließ er sie mit einem Fluch los, schleuderte sie beinahe von sich. »Dann geh, wenn es dich glücklich macht. Folge deinem kostbaren Forral in den Tod. Töte euer Kind, wenn es dir nichts bedeutet. Lauf vor deiner Verantwortung weg und laß deine Freunde im Stich.« Er drehte sich um, als verachte er sie, aber Aurian sah seine zusammengesackten und zitternden Schultern und wußte, daß er weinte. Sie warf der winkenden Gestalt Forrals einen sehnsüchtigen Blick zu, aber sein Gesicht wurde plötzlich von dem Anvars überlagert – von dem Schmerz in seinen blauen Augen, dem häßlichen Abdruck auf seinem Gesicht, dort, wo sie ihn geschlagen hatte. Und plötzlich wußte Aurian, daß sie, wenn sie Forral in den Tod folgte, dieses Gesicht vermissen würde. Dieses Gesicht und Anvars liebevolle, treue Gegenwart würde sie mehr vermissen, als sie ertragen konnte. Aber sie liebte doch Forral. Einen anderen ihm vorzuziehen wäre ein entsetzlicher Betrug!

Und doch schwankte Aurian, unfähig, diesen letzten entscheidenden Schritt zu machen. Sie wußte, daß Anvar sie liebte, und wenn sie mit Forral ging, würde er dieselben Qualen erleben, die sie durchlitten hatte, als der Schwertkämpfer gestorben war. Als sie Anvar im Sklavenlager das Leben gerettet hatte, hatten sich ihre Seelen selbst berührt. Er hatte sich damals an ihre Hand geklammert, als sei sie sein einziger Anker im Leben. Sara hatte ihn bereits betrogen – wie konnte sie ihm nun dasselbe antun? Nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten, schuldete sie ihm doch gewiß mehr als das.

Tränen strömten über Aurians Gesicht. Sie hatte das Gefühl, als risse es ihr das Herz aus dem Leibe, aber sie straffte die Schultern und blickte dem geisterhaften Schatten Forrals direkt ins Gesicht. »Es tut mir leid«, rief sie. »Ich kann nicht! Ich kann nicht mit dir kommen!« Als ihr unglücklicher Schrei die Luft zerriß, flackerte die Geistererscheinung und verschwand.

Aurian sank im Sand zusammen; ihre Trauer raubte ihr die Kräfte, aber nur für einen Augenblick. Sie hatte keine Zeit, zu weinen. Plötzlich spürte die Magusch, wie sie eine neue Stärke durchflutete – ein Gefühl von Freiheit und eine neue Reife. Sie hatte ihre Wahl getroffen. Sie hatte das Leben dem Tod vorgezogen – die Zukunft der Vergangenheit –, und was auch immer die Zukunft für sie bereithalten mochte, sie würde sich dem stellen. »Steh auf, verdammt«, befahl sie sich mit fester Stimme, »Anvar braucht dich!«

Anvar hatte Aurian den Rücken zugewandt, denn er war unfähig gewesen, zuzusehen, wie sie in den Tod ging. Obwohl sein Blick von Tränen verschwommen war, hielt er den Stab fest in der Hand und benutzte seine Kraft noch immer als Schild gegen Eliseths heimtückischen Ansturm. Er versuchte, nicht an das zu denken, was hinter ihm geschah, denn er wußte, daß er sich auf seine Verteidigung gegen den Sturm konzentrieren mußte, doch sein Herz ließ ihn im Stich. Vor seinem inneren Auge sah er, wie es enden würde. Aurian würde seinen Schild durchdringen und in den Sturm hinausgehen, würde ihrem eigenen Tod in die Arme laufen bei ihrer törichten Suche nach einem verblichenen Traum. Es würde nichts von ihr übrigbleiben. Der Sand würde sie bis auf die Knochen entblößen.

Der Magusch kämpfte mit aller Kraft gegen sein Elend, aber sein Wille wurde schwächer. Wenn Aurian ihn haßte, welchen Sinn hatte es dann noch, diesen Kampf fortzusetzen? Es wäre so leicht, den Stab einfach wegzuwerfen, seinen Schild fallen zu lassen und hinter ihr herzulaufen, ihr über diese letzte Grenze zu folgen, wie er ihr nun schon so lange gefolgt war. Als er schließlich alle Hoffnung verloren hatte, fiel der Stab tatsächlich aus Anvars Fingern …

Und wurde von einer Hand aufgefangen, die aus dem Nichts zu kommen schien – einer starken, mächtigen Hand mit langen Fingern, die übersät waren von den alten, weißen Narben so vieler Kriege. Eine Hand, die Tod oder Heilung austeilen konnte.

Eine Woge der Freude verschlang Anvar wie eine lautlose Explosion aus Licht. Aurians Gesicht war von Tränen überströmt und grimmig, ausgezehrt und gequält, aber sie sah ihm direkt in die Augen, und ihr Kinn hob sich zu dieser wohlvertrauten, entschlossenen Geste, die er so gut kannte. Voller Freude legte Anvar seine Hand auf ihre und spürte einen heftigen Ruck von Energie, als sein Wille sich mit dem Aurians und der Macht des Stabes vereinte.

»Jetzt kriegen wir diese Hexe!« Aurians kurzes, angespanntes Grinsen war verschwörerisch, und durch Tränen der Erleichterung grinste Anvar zurück, während er ihr abermals seine Kräfte darbot. Aurian ergriff sie, ließ den Schild sinken und schlug zu.

Ihr Schlag wurde von einer neuen Kraft getrieben, ihr vereinter Wille war eine machtvolle Waffe, geschmiedet aus gemeinsamem Schmerz und Aurians neuem Bewußtsein für den Sinn ihres Lebens. Zusammen mit der Macht des Stabes war es genug. Als ihr Schlag sein Ziel erreichte, spürte Anvar das ferne Echo der Qual, das den Tod eines Magusch bezeichnete. Sein Schild funkelte und loderte und war jetzt ein sicherer Schutz gegen den tödlichen Juwelensand, aber er wurde nicht mehr gebraucht. Der Sturm war verschwunden. Über ihren Köpfen schimmerten die Sterne an einem klaren Himmel, der im Westen die Pracht des Sonnenuntergangs zeigte. Anvar blickte voller Erstaunen auf. Stunden waren während ihres Kampfes vergangen, schließlich sogar ein ganzer Tag – aber nun endlich war er vorbei.