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Paskuleit blieb zehn Tage in Pirmasens, und Erna Kurowski hatte große Angst, ihm könne etwas geschehen sein. In den Zeitungen las man von Überfällen und Morden, manchmal nur wegen eines Pfundes Speck. Es bildeten sich regelrechte Räuberbanden. Der Krieg war vorbei… die Zeiten wurden wieder normal.

Am elften Tag nach seiner Reise nach Pirmasens stand Paskuleit plötzlich wie ein Käufer im Laden. Er grinste breit, als Erna aus dem Hinterzimmer kam und ohne hinzublicken gewohnheitsmäßig sagte:»Bitte… was darfs sein?«Dann blieb sie stehen und starrte ihren Bruder an.

«Zweimal Erbsensuppe mit Speck!«rief Paskuleit fröhlich.»Erna, ich hab'n gleich mitgebracht. Er will sehen, ob wir eine gute Firma sind!«

«Wer, mein Gott?«

«Heinrich Ellerkrug!«

In der Ladentür stand ein großer, schlanker Mann mit grauen Schlä-fen und schwarzen Locken, elegant, fast vornehm — Opa Jochen würde gesagt haben, ein richtiges Herrchen —, er hatte helle Lederhandschuhe in der rechten Hand und winkte damit Erna zu. Seine ganze Erscheinung strahlte Zufriedenheit und Erfolg aus, Sattsein und Sorgenfreiheit. in dieser Zeit alles kleine Wunder.

Erna Kurowski wußte es nicht zu erklären, — aber als sie Heinrich Ellerkrug da in der Ladentür stehen sah, wurde sie unsicher, spürte ihr Herz schneller klopfen und kämpfte dagegen an, rot zu werden.»Das. das ist schön.«, sagte sie stockend.»Wir haben schon gedacht, Julius ist verschollen… wie mein Mann!«Sie setzte das hinzu, um sich innerlich Halt zu geben, um einen Wall aufzubauen zwischen dem eleganten Ellerkrug und sich. Sie kämpfte dagegen an, aber es nutzte wenig… der Blick aus seinen strahlenden Augen traf sie voll wie ein Schuß, sie spürte ihn in sich eindringen, sagte zu sich, als schlage sie um sich: Ewald! Ewald! Ewald! — und wurde entgegen aller Willenskraft doch rot.

«Wenn Heinrich den Eindruck gewinnt, daß die >Westschuh< ein solider Laden ist und Kämper-Schuhe für ihn nicht zu hochgestochen sind, dann will Heinrich uns beliefern! Erna, weißt du, was das bedeutet? Wir haben das modernste Schuhgeschäft in Leverkusen!«Er wandte sich zu Ellerkrug um und machte eine alles umfassende Handbewegung.»Na, wie ist's, Heinrich? Noch im Aufbau, aber du kennst den Paskuleit! Beste Lage in der Stadt! Und dann eine solche Chefin.«

«Das allein überzeugt. «Ellerkrug kam näher, ergriff Ernas Hand und küßte sie. Es war Ernas erster Handkuß. sie stand steif da, wie versteinert, und merkte nicht, daß Ellerkrug ihre Hand weiter festhielt.»Aus Ihrem Geschäft, Frau Kurowski, machen wir zusammen ein Schmuckkästchen. Und wenn diese Bezugsscheinsache mal aufhört — einmal ist das zu Ende, garantiert — dann sollen Sie mal sehen, wie der Schornstein dampft!«

«Heinrich fährt einen Mercedes — «sagte Paskuleit, als Erna noch immer nicht antwortete.»Er hat von der französischen Militärregierung jede Menge Benzin dazu. Und einen Betrieb haben die in

Pirmasens… Zucker, sage ich. So, und nun koch eine Erbsensuppe! Du ißt doch noch wie früher Erbsensuppe gern, was Heinrich?«

«Immer noch. «Ellerkrug sah Erna tief in die unruhigen, blauen Augen. Wie schön sie ist, dachte er. Ihr Haar leuchtet wie reifer Weizen. Einunddreißig ist sie, sagt Paskuleit. Und drei Kinder hat sie. Man sieht's ihr nicht an. Sie ist zierlich und schüchtern wie ein junges Mädchen. Und dabei kann sie zupacken wie ein ostpreußischer Fuhrknecht. Verdammt, so eine Frau zu haben, ist schon ein Glück.

Heinrich Ellerkrug blieb acht Tage bei den Kurowskis. Er machte — was kluge Männer immer tun, wenn sie Mütter umwerben — einen Umweg über die Kinder, um Erna näher zu kommen. Er kaufte ihnen auf dem Schwarzen Markt Schokolade, brachte Butter und große Fleischportionen heran (Geld spielte keine Rolle bei ihm), spielte mit Inge im Sandkasten, half Erna die Wäsche aufhängen und gab Ludwig, der das Gymnasium besuchte, Nachhilfe in Latein und Mathematik.

«Ein widerlicher Mensch, Meester«, sagte Franz Busko in der Werkstatt zu Paskuleit.»Er schleicht um die Meesterin herum wie'n Fuchs um de Gans.«

«Ellerkrug ist unsere Zukunft, Franz!«

«Und wenn Ewald zurückkommt?«

«Er kommt nicht wieder, Franz. «Paskuleit starrte auf seinen Arbeitsplatz. Es fiel ihm schwer, das zu sagen.»Ewald ist von Rußland gefressen worden. Damit müssen wir uns abfinden. Aber Heinrich Ellerkrug ist da… was Besseres kann uns gar nicht passieren.«

An einem Samstagmorgen — Erna putzte gerade den Laden — sagte Ellerkrug, der an der Theke lehnte und schon vier Eimer schmutzigen Wassers ausgeschüttet und neues Wasser geholt hatte:»Erna, ich bin jetzt fünfundvierzig Jahre alt. Meine Frau starb in Königsberg 1944 bei einem Fliegerangriff. Ich habe keine Kinder. Aber ich habe ein sicheres Auskommen und werde bald Teilhaber der Käm-per-Schuhfabrik. Ich möchte mit Ihnen einmal reden, Erna.«

«Nein!«sagte Erna Kurowski. Sie blickte auf, verzweifelt schrubbte sie die Dielen vor der Theke.»Bitte nicht. Ich warte auf Ewald.einmal kommt er zurück.«

«Und wenn nicht? Wollen Sie Ihr junges, herrliches Leben verwarten? Erna… wir sind keine dummen Kinder mehr. Wir kennen das Leben und sind durch die Hölle gegangen. Jetzt haben wir das Recht auf ein Stückchen Himmel. Erna.«

Er zog sie vom Boden hoch, legte die Arme um sie und küßte sie. Sie wehrte sich nicht, sie machte sich nur steif.

Und sie spürte tief in sich: Mein Gott, ich habe auf diesen Kuß gewartet. Bitte verzeih mir, mein Gott. Dann drückte sie sich von Ellerkrug ab und schüttelte den Kopf.»Nein!«sagte sie leise.»Nein, Heinrich. es. es ist noch zu früh. Laß mir Zeit. noch ein Jahr. Nur ein Jahr.«

Kapitel 11

Am nächsten Tag fuhr Heinrich Ellerkrug zurück nach Pirmasens. Erna begleitete ihn allein zur Bahn. Paskuleit entschuldigte sich mit dem Berg Arbeit, den Franz Busko in den zehn Tagen seiner Abwesenheit gesammelt hatte, und außerdem klingelte jetzt ununterbrochen die Ladentür, denn es hatte sich in Leverkusen schnell herumgesprochen, daß hier ein neuer Schuhmacher war, aus Ostpreußen, der könne Sohlen unter alte Latschen nageln, daß sie wie neu aussähen. Und außer Eßbarem nehme er sogar Geld an, der Idiot.

«Also nichts — «sagte Paskuleit, als Erna Kurowski nach einer Stunde wieder vom Bahnhof zurückkam.»Du bist'n Dussel, Erna!«

«Ich liebe Ewald, Julius. Und er ist nicht tot!«

«Man kann ihn für tot erklären lassen.«

«Nie, Julius, nie! Plötzlich ist er dann da. und ich heiße Ellerkrug und kann mich aufhängen!«

«Wenn er noch lebte, hätte er bis jetzt ein Zeichen gegeben. «Pas-kuleit wischte sich über die verschwitzte Stirn. Neben ihm lag ein Berg von Schuhreparaturen.»Ich weiß, ich weiß… dein Gefühl. Aber man muß real denken, Erna. Heinrich ist da, das zählt. Er liebt dich. Er hat's mir gesagt. Bei ihm ist's eingeschlagen wie 'n Blitz. Bumm, — da saß es! An der Tür schon, als er dich sah. Die oder keine, hat er gedacht. Und was machst du? Du spielst die Madonna. Erna… eine ganze Schuhfabrik, die Kämper-Schuhe, Luxusschuhe, mit Verbindungen zu Italien… das wird mal die ganz große Mode, sagt Heinrich, die Italiener werden stilangebend. Designer nennen sie das… die werden einmal die Schuhmode revolutionieren, und wir könnten mittendrin sein und brauchten nur die Schürzen aufzuhalten wie bei den Sterntalern… das Gold regnet von allein vom Himmel. Und Ideen hat der Heinrich. Eine Ladenkette will er gründen… >West-schuh< in ganz Deutschland, wie Tengelmann und Kaisers Kaffeegeschäft, der modebewußte Herr, die moderne Dame trägt >West-schuh<, solche Sprüche will er kloppen… und das haut hin, sag ich dir, das hat Zukunft — und du schickst ihn weg, machst Winke-win-ke an der Bahn und bist stur wie'n Panzer.«