«Dann hast du das alles eingefädelt?«fragte Erna.»Schäm' dich, Julius. Ich habe drei Kinder.«
«Aber die haben keenen Vater mehr, Gottverdammich! Heinrich hat die Kinder gern, und die Kinder haben sich schon in den paar Tagen an Heinrich gewöhnt. Das ist kein Hindernis. Nee… du kommst nicht davon los, daß Ewald irgendwo in Rußland liegt. Das ist et.«
«Ja, das ist es. Ich will noch ein Jahr warten, habe ich Ellerkrug gesagt.«
«Das erste vernünftige Wort. Ein Jahr ist schnell weggeblasen. «Paskuleit nahm seinen Schusterhammer wieder zur Hand. Im Laden bediente Franz die Kundschaft und war froh, jetzt nicht in der Werkstatt zu sein.»Ich sag dir: Der Heinrich läßt nicht locker!«
Eine Woche später traf die erste Sendung >Kämper-Schuhe< ein. Pas-kuleit hatte durch Ellerkrugs umfangreiche Verbindungen eine Sonderzuteilung erhalten. Als sie im Schaufenster standen — für 1947 im Dezember geradezu sensationelle Kreationen in Leder, Stoff und Gummi — drängten sich die Leute vor den beiden Schaufenstern der >Westschuh<, gab Paskuleit dem Reporter der englisch lizenzierten Lokalzeitung ein Interview über den Wandel der Schuhmode von der Zweckmäßigkeit zur Schönheit und verkaufte — natürlich nur gegen Bezugsschein — zum normalen Preis diese Traumgebilde. Für genau 348 Familien wurde Weihnachten 1947 ein besonderes Fest.
Nicht dagegen für Paskuleit. Vier Tage nach Ausstellung der Käm-per-Kollektion und der geradezu sagenhaften Nachricht, daß Pas-kuleit die Schuhe zum normalen Preis verkaufte, erschienen bei ihm zwei düster blickende Herren. Sie stellten sich als Hübner und Run-zenmann vor, womit Paskuleit nichts anfangen konnte, aber er wurde munter, als sie sagten:»Wir sind Kollegen von Ihnen. Wir haben auf der Rheinstraße und dem Herwarthweg ein Schuhgeschäft.«
«Aha!«antwortete Paskuleit.»Was kann ich Ihnen verkaufen, liebe Kollegen?«
«Sie haben einen blöden Humor!«sagte Runzenmann scharf.»Was soll das? Schuhe zum normalen Preis?! Solche Schuhe? Sind Sie verrückt?«
«Wieso? Die Leute haben Bezugsscheine. ihnen stehen also Schuhe zu.«
«Sind Sie wirklich so blöd?«Hübner lehnte an der Theke.»Jetzt rennen uns die Leute die Bude ein und wollen auch solche Schuhe! Nicht die Holzkläpperchen, sondern Modellschuhe! Was die >Westschuh< kann, müssen Sie auch können, sagen sie.«
«Und Sie können's nicht?«fragte Paskuleit.
«Natürlich haben wir gute Schuhe!«schnaufte Runzenmann.
«Na also.«
«Aber die heben wir auf. Verstehen Sie? Die horten wir, um ganz deutlich zu werden. Bis zu dem Tag, wo die Mark wieder was wert ist! Dann hauen wir die Ware in die Fenster und brauchen nur die
Hand hinzuhalten. Das ist Kapitalpflege, verstehen Sie?! Und da kommen Sie und verkaufen solche Schuhe jetzt und zum normalen Preis auf Bezugsschein!«
«Weil es das Recht der Leute ist!«
«Er ist wirklich so blöd«, sagte Runzenmann bitter zu Hübner.
«Heißt das, daß Sie mich überreden wollen, meine guten Schuhe auch zu horten und aus dem Verkehr zu ziehen?«fragte Pasku-leit gefährlich ruhig.
«Das heißt, daß wir uns unser Geschäft und vor allem unser Ansehen durch einen Zigeuner wie Sie nicht kaputt machen lassen!«schrie Runzenmann.»Das mag Ostpreußenstil sein… hier aber sind wir im Rheinland! Mit Methoden jüdischer Viehhändler kommen Sie hier nicht weit, mein Lieber! Da stoppen wir.«
Paskuleit antwortete nicht. Aber er beugte sich über die Theke, holte aus und setzte Runzenmann die Faust mitten auf die Nase. Runzenmann fiel in Hübners Arme, starrte Paskuleit entgeistert an und schüttelte sich wie ein nasser Hund.
«Das war ein Fehler«, sagte er leise.»Sie verdammter Pimmock! Ihnen ist doch klar, daß Sie ab morgen alle aus unserer Zunft gegen sich haben! Mit'n Handkarren werden Sie noch wegziehen, so, wie Ihr Gesindel aus'n Osten gekommen seid.«
«Noch ein Wort«- sagte Paskuleit ruhig und stemmte die dicken Fäuste auf die Theke —»und Sie brauchen einen Wiederherstellungschirurgen.«
«Also Kampf!«Hübner schob Runzenmann, der weiter schreien wollte, zur Ladentür.»Den sollen Sie haben, Paskuleit! Bis Sie's begreifen: Wir sind stärker als Sie!«
Aus der Werkstatt kam Franz Busko, nachdem die Ladentür zugeknallt war. Sein langes Pferdegesicht zuckte. In der Hand hielt er eine lange Schusterahle.»Ich hab alles mitjehört, Meester«, sagte er keuchend vor Erregung.»Det is nun'n Jrund, det zu tun.«
«Was?«
«Ich trete in de Partei ein!«
«Franz, du in einer Partei? In welcher denn?«
«Ich kann's mir aussuchen. Se waren schon alle bei mir. Am besten jefällt mir die >Liberale Fortschrittspartei. Kurz jenannt: LFP. Da sind de Unternehmer drin! Und det sind wir ja!«
Paskuleit betrachtete seinen Gesellen. Etwas Rührendes, Väterliches lag in seinem Blick.»Das ist gut gemeint von dir, Franz«, sagte er langsam.»Aber überleg maclass="underline" Was willst du in der Politik? Du hast doch keene Ahnung. Und mit deiner Lunge.«
«Seit der Krieg vorbei is, Meester, bin ick auf die Lunge wieder fit! Det Uniformklima lag nur drückend uff mir.«
«Zur Politik braucht man etwas Hirn, Franz.«
«Es hat schon jrößere Idioten als mir jejeben, die wurden jroße Tiere in der Politik. Aba det is et ja nich: In der Partei kann ick Freunde sammeln, Freunde für uns, Meester, Freunde gegen diese Run-zenmanns und Hübners. Det is wichtig… Morjen meld ick mir an.«
Von diesem Tag an verkaufte Paskuleit mit besonderer Freundlichkeit die schönen Kämper-Schuhe an Bezugsscheininhaber und erhielt sogar vier Tage vor Weihnachten 1947, als die Not der Deutschen so groß war, daß ein amerikanischer Reporter in der >New York Times< schrieb:»Selbst einem Dichter würden die Worte fehlen, das zu schildern, was in Germany geschieht.«, eine Sonderzuteilung von fünfzig Paar Schuhen. Ellerkrug lieferte per Expreß.
Nicht nur in Leverkusen, bis nach Köln und Düsseldorf sprach man von Julius Paskuleit. Runzenmann — so erfuhr man — hatten dagegen empörte Schuhkäufer Prügel angedroht.
«Ich habe Angst — «sagte Erna Kurowski einen Tag vor Heiligabend.»Sie werden das nicht einfach hinnehmen. Sie nennen es Provokation. Sie werden irgend etwas machen.«
«Sollen sie kommen!«sagte Paskuleit verbissen.»Ich beuge mich keinem Terror, schon gar nicht dem Terror dieser Lumpen, die den kleinen Mann betrügen und horten und horten und horten. «Er blickte auf die leeren Schuhregale, — die >Westschuh< war ausverkauft.»Nach Weihnachten geht's erst richtig los! Ellerkrug hat mit Italien verhandelt — die Jungs aus dem Süden wollen einen Waggon voll Schuhe liefern. Weiß der Teufel, was Heinrich ihnen dafür geboten hat. Von der Sendung bekommen wir vierhundert Paar! Beim Wirtschaftsamt laufen schon die Anträge. Das macht alles Heinrich.«
«Du lügst schneller, als du Zwecken in die Sohle schlägst«, sagte Erna leise.»Und wenn du Heinrich mit Gold behängst… ich werde nicht weich. Das mit dem Wirtschaftsamt ist allein deine Sache.«
«Und von Franz. «Paskuleit lachte gemütlich.»Die Kerle von der >Liberalen Fortschritts-Partei< haben ihn sofort in den Vorstand gewählt. Jetzt braucht er nur gegen geschlossene Türen zu blasen und zisch, — stehen sie offen! Unser Franz! Der lungenkranke Lulatsch! Im Januar will er seine erste Parteirede halten!«
«Himmel nochmal, kann er das denn?!«
«Ja. Keine Angst, Erna. «Paskuleit holte eine Pfeife aus der Tasche und steckte sie an. Er wirkte ungeheuer sicher und stark.»Ich werde ihm die Rede schreiben, — er braucht sie nur abzulesen. Und das kann er. Ich fürchte, Franz macht noch mal Karriere in der Politik. Fließendablesen können, ist nämlich ein Geheimnis erfolgreicher Politiker.«