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Am nächsten Morgen brachten sie alle zusammen Inge zum Krankenhaus. Vor der Tür des Krankenzimmers sagte Paskuleit leise, aber deutlich» Halt!«, und die um Ellerkrug gewachsene Familie Kurowski stand fast stramm.

«Inge geht allein hinein… wir warten draußen.«, sagte Paskuleit.»Alles wird sich finden.«

Er klopfte an die Tür, stieß sie einen Spalt auf und ließ Inge ins Zimmer schlüpfen. Als er sie wieder zuzog, hörten sie draußen, wie Inge sagte:

«Mami, da bin ich. «Dann folgte ein heller Aufschrei, bei dem Paskuleit glücklich lächelte und Ellerkrug blaß wurde. Busko putzte sich krachend die Nase.

«So«- sagte Paskuleit und gab Ellerkrug einen Stoß in den Rük-ken —»jetzt du hinein!«

«Warum denn ich?«Ellerkrug stemmte sich gegen Paskuleits drängenden Arm.

«Weil du Rindvieh für 100.000 Mark Inge zurückgekauft hast.«

«Aber das stimmt doch gar nicht.«

«Hast du die 100.000 bei dir gehabt?«

«Ja. Aber die wollte keiner.«

«Kommt es darauf an, du Trottel?! Es hätte möglich sein können, daß sie jemand angenommen hätte. Dann wären sie jetzt weg. Also hast du 100.000 Mark für Inge bezahlt. Ist das Logik? Glotz mich nicht so an. geh rein! Erna weiß von der Lösegeldsumme, Inge ist da. alles andere ist uninteressant. Himmel nochmal, geh schon. «Er riß die Tür auf, stieß Ellerkrug hinein und ließ dann die Tür so weit zuschwingen, daß sie weit genug offen blieb, um alles zu verstehen.

«Heinrich.«, hörte er Erna sagen. Eine so glückliche Stimme kann nur eine Mutter haben, dachte Paskuleit gerührt.»Das vergesse ich Ihnen nie! Nie!«

Aufatmend zog Paskuleit die Tür ganz leise ins Schloß. Wenn der Heinrich jetzt bloß keinen Blödsinn macht, dachte er. Und zu den Jungen sagte er:»Peter, wie gefällt dir Onkel Heinrich?«

«Gut, Onkel Julius.«

«Und dir, Ludwig?«

«Klasse, Onkel.«

«Es wird sich vieles ändern«, sagte Paskuleit verträumt.»Vieles! Eure Mutter hat das Glück verdient.«

Als nach zehn Minuten die übrige Familie Kurowski ins Krankenzimmer kam, saß Ellerkrug auf Ernas Bett und hielt ihre Hände.

Ende Januar erschienen im Laden wieder die Herren Hübner und Runzenmann von der Konkurrenz. Ellerkrug hatte neue Schuhe geschickt, Franz Busko hatte mit dem wichtigsten Mann im Wirtschaftsamt Duzbrüderschaft getrunken, was sich natürlich auf die Zuteilung der Einkaufsscheine auswirkte… das Geschäft >Westschuh< rollte. Die Namen Kurowski und Paskuleit bekamen in Leverkusen einen fast missionarischen Klang.

Es war wie ein Granateinschlag bei Paskuleit, als er Hübner und Runzenmann durch die Tür kommen sah. Und als er ihren ersten Satz hörte, wußte er, daß es ein Volltreffer war.

Runzenmann sagte:»Mein lieber Paskuleit, es geht ja weiter bei Ihnen. Sie verderben systematisch die Kundschaft. Sie haben nicht nur einen sozialistischen Tick, Sie sind auch noch gefährlich ehrlich!«

«Und beten kann ich auch — «antwortete Paskuleit und senkte den Kopf wie ein angreifender Stier.»Jeden Morgen und jeden Abend bete ich: Lieber Gott, mach es wahr, daß ich die beiden Saukerle zwischen meine Hände bekomme, die die kleine Inge Kurowski entführt haben. Dann, lieber Gott, mach für eine Minute beide Augen zu. Länger dauert's nicht. «Paskuleit holte tief Atem.»Das bete ich, immerzu. Einmal wird auch Gott weich und erfüllt mir die Bitte. Verstehen wir uns, liebe Kollegen?«

Hübner und Runzenmann sahen sich groß an, drehten sich um und verließen ohne weitere Worte das Geschäft. Sie hatten nicht nur eine Schlacht, sie hatten einen Krieg gegen Paskuleit verloren.»So ein Pimmock!«sagte Hübner.

«Ein ostpreußischer Landstreicher!«Runzenmann schlug den Mantelkragen hoch. Auch in Leverkusen ist ein Januar naß und kalt.»Aber warten wir ab. Alles munkelt von einer Währungsreform. Das neue Geld soll schon gedruckt sein… dann sind wir am Zug.«

Am 20. Juni 1948 war es soweit… die alte Reichsmark verlor ihren Wert, die neue Deutsche Mark wurde eingeführt. Am Tage Null — dem 20. Juni — für jeden deutschen Bürger DM 40,-. Wer bisher auf einem Berg von Geld gesessen hatte, erwachte auf einem wertlosen Blechhaufen. Aber wie immer im Leben traf diese Neuordnung der deutschen Wirtschaft, das Ende des Hungers und der Beginn einer neuen Zeit des Aufbaues in erster Linie die Falschen. Die Armen wurden zunächst noch ärmer, die Reichen aber über Nacht noch reicher. Es war, als sei an diesem Junitage nicht nur neues Geld verteilt worden, sondern als habe Gott über Deutschland eine konzentrierte Düngung ausgeleert. Jede Wiese, jede Blume, jeder Zweig braucht seine Zeit, um zu blühen… im Deutschland des Jahres 1948 vollzog sich das Wunder, daß leere Schaufenster über Nacht sich so prall mit Waren füllten, daß das Volk, zunächst betroffen von soviel Kaufmöglichkeiten, tief Atem holen mußte. Wo vorher immer nur zu hören war:»Lieber Mann, was nutzt uns Ihr Bezugsschein. wir haben keinen Krümel Ware zum Verkaufen.«, da leuchteten jetzt Schilder:»Soeben eingetroffen! Die neueste Mode, direkt aus Paris!«Und aus Stahlhelmen machte man auch keine Kochtöpfe mehr. es gab sie wieder aus gutem Aluminium und Stahl, lastwagenweise.

Hübner und Runzenmann warfen alles in ihre Schaufenster, was sie gehortet hatten. und verloren wieder eine Schlacht.

Die >Westschuh< wurde von Käufern belagert. Hier standen in den beiden Schaufenstern keine altmodischen Dinger, sondern die besten und entzückendsten Modelle aus Italien. Schuhe zum Träumen. zu normalen Preisen.

Heinrich Ellerkrug hatte Wort gehalten: Es regnete Geld und Erfolg über die Familie Kurowski.

«Und sie heiratet ihn noch immer nicht!«klagte Paskuleit.»Laß mir Zeit. das alte Lied! Als ob jetzt der Ewald noch wiederkäme! Ich bewundere den Heinrich… er hat eine Geduld wie ein Schaf.«

Und Franz Busko, dem Paskuleit sein Leid klagte, sagte:»Ich werde mich sofort nach den endgültigen Sitzungen des Parlamentari-schen Rates um die Kriegsgefangenenfrage kümmern. Meister, ich brauche eine tolle Rede vor dem Verband deutscher Unternehmer.«

Paskuleit nickte. Franz Busko war der Senkrechtstarter von Adamsverdruß geworden… er gehörte jetzt zur Führungsspitze seiner Partei. Auf seinem Schusterschemel saß er seit dem 1. Mai nicht mehr. Am 24. Oktober 1948 bekam Paskuleit einen neuen Wagen, einen Mercedes. Mittelgrau. Am 25. Oktober machte die Familie Kurowski den ersten Ausflug ins herbstlich bunte Siebengebirge am Rhein und erstieg den Drachenfels.

Am 29. Oktober fuhr Paskuleit allein nach Pirmasens zu Ellerkrug. Auf der Landstraße zwischen Kaiserslautern und Pirmasens, in der Nähe von Waldfischbach, spürte er wieder den Stich in der linken Brustseite, diesesmal tief und nachhaltig, er wurde schwindelig, die Welt drehte sich vor ihm im Kreise, die Straße war plötzlich oben und der Himmel unter ihm, ich fliege doch nicht, dachte er, wollte bremsen, trat ins Leere und bekam keine Luft mehr.

Mit voller Wucht raste Paskuleit von der Straße weg in ein hügeliges Buschgelände.

Kapitel 13

Es dauerte zwei Stunden, bis einem jungen Mann, der auf einem Motorrad die Straße herunterknatterte, der zwischen den Büschen parkende Wagen auffiel. Die Reifenabdrücke führten geradewegs und ohne Bremsspuren in das Hügelgelände, und was mindestens sechzig Autofahrer, die diese Stelle passiert hatten, nicht bemerkten, sah der junge Mann sofort: Hier hatte niemand einen Wagen abseits der Straße geparkt, sondern der Mercedes war ausgebrochen und erst durch einen Baumstamm zum Halten gebracht worden.

Der Motorradfahrer hielt an, stieg ab und rannte zu dem etwas schräg liegenden Wagen. Noch bevor er die Tür an der Fahrerseite aufriß, wußte er, daß der so friedlich hinter dem Steuer schlafende Mann nicht mehr lebte. Als ruhe er sich aus — und Ruhe hatte Paskuleit wirklich nötig gehabt —, saß Julius Paskuleit in seinem schönen, neuen Wagen, die Hände noch um das Lenkrad gekrallt, den Kopf zur Seite, die Augen geschlossen. Ein friedlicher Ausdruck lag über seinem Gesicht, eine völlige Entspannung… es war das erstemal, daß er wirklich ohne Pläne für morgen oder übermorgen ausruhte, und dazu war die ewige Ruhe nötig.