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«Und wie du aussiehst. So vornehm. Schön bist du geworden. Erna. Viel schöner als früher. Etwas voller. Steht dir gut. Hast du immer solche Kleider an?«

«Nein. «Sie streichelte seinen Kopf und zitterte, als seine rauhe Hand sich auf ihre Brüste legte.»Ich wollte heute nach Köln fahren. Ins Theater.«

«Nach Köln. Ins Theater. Und da komme ich und störe dich.«

«Wenn du weiterredest, Ewald, heule ich los!«Sie preßte sich an ihn und spürte, daß es kein größeres Glück mehr auf dieser Welt gab, als ihn zu fühlen.»Jetzt bist du wieder da… und morgen kaufen wir Hemden, Anzüge, Schuhe… mein Gott, wie dumm, wir haben sie ja im Laden… und dann stellst du dich hinter die Theke, und alles ist so, als wäre es nie anders gewesen. Wir alle haben ja nur auf dich gewartet Ewald.«

Es klopfte. Ludwig kam ins Zimmer.»Das Bad ist fertig«, sagte er. Ihm folgte Peter mit einem Korb. Seine Augen glänzten. Er hatte im Lebensmittelgeschäft erzählt:»Mein Vater ist wieder da. Aus Rußland!«und man hatte ihm eine Flasche Doppelkorn umsonst gegeben.

«Das Bier, Papa.«, rief er an der Tür.»Die haben dir eine Flasche Korn geschenkt!«

Kurowski lächelte zaghaft. Meine Söhne, dachte er. Wie groß, wie schön, wie gesund. Herrgott, ich danke dir. Nur das Mädchen fehlt. Meine Inge. Mein Urlaubskind. Für sie ist es besonders schwer, für sie bin ich ein Wilder.

Erna führte ihn zum Bad. Schon durch die Tür duftete es ihm entgegen. Fichtennadeln. Dann stand er vor der Wanne, allein, nackt, bewunderte die dunkelblauen Kacheln und die verchromten Armaturen, die geblümten Frotteehandtücher und den eingebauten Spiegelschrank über den Waschbecken.

Ein Schloß, dachte er wieder. Während ich Holz in Sibirien fällte, haben sie sich ein Schloß gebaut. So wohnte nicht einmal der Baron v. Hellow auf Schloß Elchhagen. Erna, gehöre ich überhaupt noch hierher.? Er setzte sich in das heiße, duftende Wasser, spülte alles von sich, streckte sich und blieb über eine halbe Stunde in der Wanne. Er hörte nicht, wie es schellte, wie jemand in die Wohnung kam, wie Kinderstimmen aufgeregt in der Diele durcheinandersprachen.

Als das Wasser kalt wurde, stieg er aus der Wanne, trocknete sich ab und schlang eines der großen Handtücher um sich wie einen Wik-kelrock. So, mit nacktem Oberkörper, tappte er aus dem Badezimmer und kam wieder ins Wohnzimmer.

Erna stand am Fenster, mit dem Rücken zur Tür. In dem Sessel, in dem Kurowski vor einer halben Stunde noch gesessen hatte, saß nun ein fremder, eleganter Mann in einem schwarzen Anzug, blütenweißem Hemd und hellgrauer Fliege, erhob sich sofort und räusperte sich. Und noch bevor jemand ein Wort sagte, wußte Kurowski: Das ist er! Der Mann, mit dem Erna ins Theater wollte. Der Mann, der bis heute an meiner Stelle war. Der Mann, den ich jetzt aus Ernas Leben wieder vertreiben muß.

Ein bitterer Geschmack kam in ihm hoch. Ein Mann in Ernas Leben. Aber wer kann sie verurteilen? Ich war ja tot! Ich war ein Wolf in Sibirien.

«Ellerkrug — «, sagte der Mann.»Ich freue mich für Erna, daß Sie zurückgekommen sind. Sie hat auf Sie mit einer Inbrunst gewartet, die unerklärbar ist. Und sie hat recht behalten: Sie sind nun da!«

«Danke. «Kurowski sah an sich herunter. Ein elender Kerl in einem nassen Badetuch.»Sie wollten mit Erna ins Theater?«

«Ja. Und ich bin jetzt nur geblieben, um Sie zu begrüßen. Ich war ein Freund von Julius Paskuleit, ich habe. «Ellerkrug winkte ab. Er spürte, wie er heiser wurde. Der Schock saß zu tief, er brauchte Zeit, wie Kurowski Zeit brauchte.»Wir sollten uns in den nächsten Tagen zusammensetzen. Nicht jetzt, nicht morgen, vielleicht in drei, vier Wochen. Viel Glück. «Ellerkrug verbeugte sich und verließ schnell das Zimmer. Erst, als die Tür hinter ihm zuklappte, drehte sich Erna am Fenster um. Kurowski stand, in sein Badetuch gewickelt, mitten im Zimmer, mit hängenden Armen und traurigen Augen.

«Nein.«, sagte sie leise. Und dann lauter, immer lauter:»Nein! Nein! Es ist nicht, wie du denkst! Nichts ist. Nichts, Ewald! Nichts. Ich liebe nur dich, ich habe nur dich geliebt, ich habe auf dich gewartet. Ewald, es gibt nichts außer dir.«

Sie fiel ihm in die Arme, und zum erstenmal, nach fünf Jahren und drei Monaten, küßten sie sich wieder wie Mann und Frau, und alle Liebe floß ineinander und war das Wunderbarste, was Gott je dem Menschen mitgegeben hatte.

Am frühen Morgen öffnete sich leise die Schlafzimmertür, und eine Gestalt huschte hinein. Kurowski und Erna lagen nebeneinander, umgeben von der Wärme des Glücks. Die Gestalt blieb vor Kurowskis Bett stehen, hob dann die Steppdecke und schlüpfte an Kurowskis Seite.

«Darf ich, Papa?«fragte eine Stimme. Ludwig. Kurowski nickte. Ein Kloß steckte ihm plötzlich im Hals.

Wieder ein Hereinhuschen. Eine kleinere Gestalt. Ein Sprung an die andere Seite.»Guten Morgen, Papi. «Peter.

Kurowski hielt den Atem an. Mein Gott, dachte er, mein lieber Gott, steh mir bei… ich habe noch ein Kind. Noch einmal ein Klappen der Tür. Ein weißer, länglicher Schatten. Das Aufleuchten von blonden Haaren in der Morgendämmerung. Ein weicher, warmer Körper, der sich oben auf Kurowski legte.»Bin ich dir zu schwer, Papi?«

«Nein, Spätzchen, nein«, sagte Kurowski, und er merkte gar nicht, daß er plötzlich weinte. Er breitete die Arme aus und zog seine Kinder an sich, und das Glück durchrann ihn wie Feuer und ließ fast sein Herz platzen.»Meine Familie — «, sagte er schluchzend.»Meine herrliche Familie. Nur euretwegen habe ich Sibirien überlebt.«

Sie blieben bis mittags im Bett, und der Landrat Franz Busko stand unten im Laden und verkaufte Schuhe.

Ewald und Erna Kurowski fuhren für vier Wochen zur Erholung in den Schwarzwald, das Geschäft verwaltete Busko, der einen Freund als Verkäufer einstellte, und in der letzten Woche war auch Heinrich Ellerkrug da und brachte die Geschäftsbücher in Ordnung. So war alles geregelt, als Kurowski zurückkam, sichtlich erholt, denn:»Der Schnee im Schwarzwald ist anders als der Schnee bei Nowo Kalinsky«, sagte er, und sich nun daran gewöhnen mußte, Inhaber eines Schuhgeschäfts und Partner von Ellerkrug zu sein.

Erna ließ die beiden Männer allein. was sie sich zu sagen hatten, war unter vier Augen besser zu besprechen. Es dauerte vier Stunden, bis Kurowski mit Heinrich Ellerkrug oben in der Wohnung erschien und rief:»Erna! Jetzt kann der Braten marschieren! Heinrich und ich haben einen Bärenhunger.«

Da wußte Erna, daß das Leben der Kurowskis so weiterging, wie es Opa Jochen und Julius Paskuleit immer gewollt hatten. Und eigentlich war das Leben bisher ja auch nichts anderes gewesen als eine Vorbereitung für die Rückkehr Kurowskis, für diesen großen Tag, an dem nach Krieg, Elend und Tod, Vertreibung aus der Heimat, Hunger und Sichdurchboxen durch eine Zeit, in der das Verrückteste normal war, die Familie wieder vollzählig zusammen war, um in die Hände zu spucken und zu sagen:»Hier sind wir! So stark ist kein Sturm, daß er uns umbläst!«

Kurz vor Weihnachten erschien Franz Busko mit seinem Dienstmercedes und einem Geschenk. Busko trug einen Maßanzug, einen schwarzen Hut, den man Homburg nannte, und schwarze Handschuhe aus glattem Leder. Kurowski staunte, holte eine Flasche Bärenfang aus dem Büfettschrank und schüttete Franz ein Glas ein.»So feierlich, Franz?«sagte er.»Was ist los?«

«Ich habe ein Weihnachtsgeschenk für Sie, Meister. «Wenn Busko in der Familie war, legte er den Landrat ab. Innerhalb der Ku-rowskis war er noch immer der Geselle, auch wenn er sich jetzt politisch freigeschwommen hatte und seine Reden selbst schrieb. Das war einfach, denn er hatte einen Trick entdeckt: Aus den vergangenen Reden, die Paskuleit und Ellerkrug geschrieben hatten, setzte er einfach einige Sätze zusammen und erhielt so eine neue Rede, die anders klang, den gleichen Inhalt hatte und immer die richtige Richtung angab. Keiner merkte das, im Gegenteil, man lobte seine Ausdruckskraft. Es waren Konzentrate von Gedanken. Busko begann, die politische Bühne mit einer Art Urbegabung zu erobern: Er sagte immer das gleiche, aber stets anders. Mit diesem Trick wird seit Jahrhunderten regiert.