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«Pack aus!«sagte Kurowski.

«Hier. «Busko öffnete ein Kuvert und schob ein dünnes Büchlein über den Tisch.»Im Auftrage meiner Partei. Die Mitgliedschaft mit der Nummer 305. Das ist eine unwahrscheinliche Ehre, Meister.«

«Und du bist verrückt, Franz. «Kurowski schob das Parteibuch zurück.»Ich kannte einen, der hatte die Nummer 7 in einer Partei, und dadurch ging die halbe Welt zu Bruch. Und ich habe auch einmal ein Parteibuch besessen, das genügt mir. Wenn Deutsche anfangen, Politik zu machen, sitzen sie früher oder später in der eigenen Scheiße! Auch du, Franz! Warum haste keine Pulle mitgebracht, — das wäre besser gewesen.«

Man sprach nicht mehr darüber, bis eines Tages Runzenmann zum Angriff blies und Ludwig Kurowski in der Schule >Du Nazischwein< gerufen wurde. Es war zwei Tage nach Eröffnung der beiden Filialen der >Westschuh<. Die Konkurrenz formierte sich zum Angriff, die Schonzeit war vorbei. Den Kampf, der seit Paskuleits Tod ruhte, nahm Kurowski wieder auf.»Der ist kein Paskuleit!«sagte Runzenmann großspurig.»Wenn ich tief einatme, hängt er mir quer unter der Nase.«

Sie alle vergaßen, daß fünf Jahre sibirischer Urwald einen Menschen entweder zerbrachen oder so hart wie vereiste Stämme machten.

Kapitel 15

Zwei Wochen vor Ostern 1950 stieß Runzenmann, der wie Ku-rowski noch zwei Filialen seines Schuhgeschäftes gegründet hatte — und das in Leverkusen und im benachbarten Opladen, wo die Menschen froh waren, wieder ein halbwegs dichtes Dach über dem Kopf zu haben —, einen Wutschrei aus. In den Tageszeitungen waren halbseitige Anzeigen erschienen, in denen die >Westschuh< die Gründung einer Schuhgroßhandels- und Vertriebs-Gesellschaft vorstellte und den staunenden Leuten erzählte, daß in allen Läden der >Westschuh< durch günstigen Großeinkauf in Italien und Frankreich und durch Ausschaltung des Zwischenhandels die schönsten Schuhmodelle billiger seien als anderswo. Dann wurden Preise genannt und Schuhe abgebildet, die jetzt, im Jahre 1950, wie Märchen anmuteten.

«Da muß etwas geschehen!«schrie Runzenmann im Telefon seinen Intimfreund Hübner an.»Das können wir nicht hinnehmen! Ich habe mich schon beim Verband erkundigt… nichts ist zu machen! Der kann Schuhe so billig verkaufen wie er will. Alte Masche. Markenschuhe sind preisgebunden, aber der Kerl importiert ja aus dem Ausland! Da kalkuliert er so knapp, daß er gerade die Butter aufs Brot bekommt, aber dann macht's doch die Masse! Das sind Kampfpreise! Wenn er den Kampf will, — er soll ihn haben! Gegen diesen Kurowski war ja der Paskuleit geradezu ein Gentleman! Kaum ist der Kerl aus der sowjetischen Gefangenschaft zurück, tritt er alle anständigen Kaufleute in den Hintern! Aber ich trete zurück! Was wollen Sie unternehmen, Hübner?«

Hübner, vorsichtiger, als Schriftführer des westdeutschen Schuheinzelhandelsverbandes sowieso zur Zurückhaltung verpflichtet und vor allem kein Choleriker wie Runzenmann, antwortete ausweichend.»Wir überlegen noch — «, sagte er gedehnt.

«Ihr überlegt, bis ihr krepiert seid! Sollen wir uns von diesem Ostpreußen, diesem Pimmock, dauernd in die Fresse schlagen lassen?«Runzenmann schäumte vor Wut. Er zerriß die Zeitung — Hübner hörte es durchs Telefon — und warf sie gegen die Wand.»Ich habe fünf Läden zu verlieren.«

«Wir sollten uns zu einer Einkaufsgenossenschaft zusammenschließen«, sagte Hübner.

«Genossenschaft. Wenn ich das Wort schon höre! Sind wir in Rußland?! Und dann — wie lange dauert das, bis wir soviel Kollegen unter einem Hut haben, daß sich das lohnt?«Runzenmann bellte wie ein Kettenhund.»Nein, Hübner, ich habe etwas Besseres! Ich habe einen Neffen bei der Stadtverwaltung. Der beschafft mir Auszüge aus den Personalakten von Kurowski. Und ich will Pimpelchen heißen, wenn wir da nicht einen Fleck finden! Und den blasen wir auf zu einem ganzen Sumpf — «

Runzenmann hatte recht — der eifrige Neffe in der Leverkusener Stadtverwaltung fand tatsächlich einen Schönheitsfleck: Kurowski war von 1935 bis 1945 Mitglied der Deutschen Arbeitsfront gewesen und 1938 sogar Kreishandwerksmeister des Kreises Ortelsburg.

«Hurra!«schrie Runzenmann, als er den Auszug aus den Personalakten in der Hand hielt.»Hurra! Aus Kurowski machen wir einen Supernazi! Bis er das abgewaschen hat, ist er pleite. Den drehen wir jetzt durch die Mangel.«

Es gab damals eine von den alliierten Besatzungstruppen eingeführte nützliche, aber später oft mißbrauchte Einrichtung: Die Entnazifizierung. Vor sogenannten >Spruchkammern< mußten sich alle, die irgendwie unter Hitler ein Amt innegehabt hatten, in der Partei gewesen waren oder anderen Naziorganisationen — und von denen gab es eine ganze Menge, denn im Dritten Reich gab es außer den Säuglingen nichts, was nicht organisiert war — angehört hatten, verantworten, die Verurteilten wurden dann eingestuft in Mitläufer (straffrei) und Gruppe IV–I, wobei I die unmittelbaren Kriegsverbrecher waren, den normalen Gerichten überstellt wurden und alles Vermögen zu Gunsten des Staates eingezogen wurde. Bei Ku-rowski — so hoffte Runzenmann — könne man bis Gruppe III kommen. Das genügte, um die >Westschuh< in den Abgrund zu stürzen. Wenn man Berühmtheiten wie Sauerbruch und Furtwängler, Gustav Gründgens und Werner Kraus, Emil Jannings und Krupp vor die Spruchkammern brachte, war der Fall Kurowski ein kleiner Fisch, um den sich keiner kümmern würde, wenn er verfaulte.

Eine Woche nach Ostern lag die Vorladung auf dem Tisch. Ewald Kurowski las das amtliche Schreiben langsam durch, sagte laut:»Erna, in Deutschland wird langsam wieder alles normal, denn die Deutschen fangen wieder an zu spinnen. Hier steht, ich soll ein Nazi gewesen sein!«und rief Franz Busko und Heinrich Ellerkrug an.

Busko kam sofort mit dem Ehrenparteibuch Nummer 305.»Det is der beste Schutz, Meester«, sagte er.»Als altes Mitglied unserer Partei is alle Anklage Käse. Det würgen wir ab!«

Und Ellerkrug sagte:»Ewald, geh hin. Laß dich entnazifizieren. Dann ist für alle Zeiten Ruhe! Weißt du, wohin wir steuern? Was aus Deutschland wird? Im Augenblick geht's uns gut, es geht aufwärts, — aber bleibt es so? Was ist in fünf Jahren? Zehn Jahren? Wir haben den Krieg verloren, wie noch nie ein Volk einen Krieg verloren hat. Da gibt es keine Prognosen für die Zukunft. Aber eines ist immer gut, was auch kommt: Eine reine Weste. Amtlich gewaschen. Laß es über dich ergehen.«

«Ich hatte immer eine reine Weste!«sagte Kurowski bitter.»Kreishandwerksmeister. Das ist doch keine politische Stellung. Und Arbeitsfront. Da waren wir doch alle drin! Und wer rechnet mir die Jahre in Rußland an? Sibirien, das Holzfällerkommando, das Sägewerk in der Taiga?«

«Der liebe Gott, Ewald.«

«Der verkauft keine Schuhe!«Kurowski faltete die Vorladung säuberlich zusammen und steckte sie in die Brieftasche.»Ich werde denen von der Spruchkammer mal erzählen, wie man bei 50 Grad Frost hundert Jahre alte Birken fällen kann.«

Es wurde alles ganz anders, als Kurowski es erwartet hatte.

Die Spruchkammer, aus Laienrichtern und erwiesenen Antinazis zusammengesetzt, unabhängig, neutral, objektiv, aber auch nur geradeaus sehend und nicht nach links oder rechts und schon gar nicht nach rückwärts, vor allem aber mit drei Stammtischfreunden von Runzenmann bestückt, ließ Kurowski gar nicht zu Wort kommen. Was in Sibirien gewesen war, interessierte gar nicht… aber was 1938 Kurowski bewogen hatte, Kreishandwerksmeister von Ortelsburg zu werden, das war wichtig und verwerflich. Holzfäller in der Taiga, das war eine Kriegsauswirkung, aber Handwerksmeister unter Hitler und Arbeitsfront, das war freiwillig.

Nach einer Sitzung von einer halben Stunde verließ Ewald Ku-rowski das Sitzungszimmer als Nazi Gruppe III. Er war nicht niedergeschlagen oder bis zum Zerplatzen wütend, sondern nur traurig. Busko, Ellerkrug und Erna, die als Zuhörer in der öffentlichen Verhandlung hinten an der Wand gesessen hatten, stürzten auf den Flur hinaus und nahmen Kurowski in ihre Mitte.