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«Meester, zum letzten Mal — das Parteibuch unserer Partei!«sagte Busko. Er war blaß geworden. Gruppe III — das bedeutete Berufsverbot, bis man sich darüber im klaren war, ob Kurowski ein guter Demokrat und Deutscher geworden war.

«Leck mich am Arsch mit deiner Partei!«knurrte Kurowski, stellte sich ans Fenster und blickte hinaus auf die Stadt. Überall standen noch die Ruinen der Häuser, aber überall wuchsen auch die Baugerüste in den Himmel. Aus den Trümmern wuchs eine neue Zeit.»So etwas ist in diesem Deutschland möglich?«sagte er leise.

«Nur in Deutschland!«Ellerkrugs Stimme war heiser vor Verbitterung.»Wir machen immer alles 200prozentig. Die Diktatur, die Demokratie. Der Deutsche ist sich selbst immer der beste Feind. Es bedarf eigentlich gar keiner Kriege, — der Deutsche vernichtet sich immer selbst. Die Umwelt braucht nur Geduld zu haben und zu warten. Wenn das so weitergeht, Ewald, beißen wir uns in 20 oder 30 Jahren wieder selbst in den Arsch.«

«Jetzt kommt es erst auf morgen an, Heinrich. «Kurowski drehte sich um. Die Richter der Spruchkammer verließen das Sitzungszimmer. Als sie an Kurowski vorbeigingen, starrten sie bewußt geradeaus.»Ich gehe in die Berufung.«

«Und ick übanehme die Jeschäfte, Meester!«rief Busko.»Ick habe drei Schuhmacher in der Partei, — die helfen mir gern!«

«Sie können die Läden gar nicht schließen!«sagte auch Ellerkrug.»Schließlich bin ich ja Mitinhaber.«

«Aber ich lasse mich nicht einfach kaltstellen!«Kurowski faßte Erna unter. Sie kämpfte mit den Tränen, aber sie war so tapfer, nicht zu weinen.

«Komm, Mutter — «, sagte er.»So was kann mich nicht mehr erschüttern. Da krempele ich bloß die Ärmel hoch.«

Aber mit dem Hochkrempeln war's allein nicht getan… die Berufungsverhandlung fand erst im September statt, und bis dahin konnte Kurowski Spazierengehen. Er tat es gründlich… er fuhr nach Köln und Düsseldorf, Krefeld und Solingen, Wuppertal-Elberfeld und Remscheid. Überall wuchsen neue Städte aus den Ruinenbergen, es war wie zu den Goldgräberzeiten in Amerika, die Menschen strömten vom Land in die Ballungszentren, wie man es amtlich so schön nannte, die Neubauten schoben sich über die alten Randgebiete hinaus.

«Die Zeit des Barfußlaufens ist seit einigen Jahrhunderten vorbei«, sagte Ende August Kurowski zu Ellerkrug, der aus Pirmasens herübergekommen war. Er fuhr jetzt — wie Kurowski — einen weißen Mercedes und baute sich ein Landhaus.»Schuhe, Kleidung und Essen. das gehört zusammen. Heinrich. wir werden alles Geld zusammenkratzen, Bankkredite aufnehmen und in sieben anderen Städten Geschäfte aufbauen! Ich habe mich umgesehen, — mit unseren italienischen Schuhen sind wir unschlagbar.«

«Und noch etwas — «, sagte Ellerkrug stolz.»Es ist mir gelungen, mit der Schuhfabrik Fabbrizi in Pisa ein Abkommen zu unterzeichnen: Wir bekommen von Fabbrizi die Modelle und Leisten, das Leder und die Lacke und bauen das ganze in Pirmasens zusammen. Lizenzherstellung. In zwei Jahren tut uns kein Zahn mehr weh.«

Es war für Runzenmann fast ein tödlicher Schlag, als er erfuhr, daß die >Westschuh< in sieben Städten neue Geschäfte baute.»Jetzt ist es 'raus«, sagte Hübner kleinlaut.»Hinter allem steht Ellerkrug. Noch weiß die Branche nicht, was sich da abspielt, aber es müssen tolle Dinge sein.«

«Dann los gegen Ellerkrug!«brüllte Runzenmann.

«Sinnlos. Heinrich Ellerkrug ist eine integre Person.«

«Kein Mensch ist ohne Staubkorn auf der Weste.«

«Aber bei Ellerkrug ist es mikroskopisch klein, — man sieht nichts. Mein lieber Runzenmann, — mit den sieben neuen Läden verfügt die >Westschuh< über eine Ladenkette von elf Geschäften. Es kommen noch mehr dazu, verlassen Sie sich drauf. Kurowski wird in unserer Branche das, was Kaisers und Tengelmann bei den Lebensmitteln ist. Ich habe deshalb beschlossen, mit Kurowski zusammenzuarbeiten.«

«Was haben Sie?«schrie Runzenmann.»Sie Verräter!«

«Es geht um meine Existenz, Runzenmann. Ich werde mich Ku-rowski anschließen. Mit mir hat Kurowski dann fünfzehn Geschäfte.«

Er legte auf, ehe Runzenmann einen Sack voll Beleidigungen über ihn ausschütten konnte.

Die Entnazifizierungswelle aber war nicht aufzuhalten. Ku-rowski war in die Mühle geraten, — nun mahlte sie. In der Schule prügelten sich Ludwig und Peter mit ihren Kameraden herum, die immer» Nazi! Nazi!«riefen, und die kleine Inge hatte plötzlich keine Freundinnen mehr und saß an ihrem Geburtstag, zu dem sie die halbe Klasse eingeladen hatte, allein und weinend an dem festlich gedeckten, von Kerzen erleuchteten Tisch. Es war Inges 8. Geburtstag.

«Heul nicht, Rehchen«, sagte Kurowski krampfhaft fröhlich.»Die 8 ist bei den Kurowskis keine Unglücks-, sondern eine Glückszahl. Wie lautet unser Spruch?«

«Wir lassen uns nicht unterkriegen.«, schluchzte Inge.»Aber wer soll jetzt die ganzen Kuchen essen, Papi?«

«In einer halben Stunde ist alles kahl, das verspreche ich dir!«

Kurowski ging zum Telefon und rief Franz Busko an. Seit einem Monat saß Busko hauptamtlich in der Parteileitung, fuhr herum, hielt Rede an Rede, die im Grunde alle gleich waren, aber immer Erfolg hatten, weil sie das sagten, was alle dachten, nämlich: Es muß alles besser werden! — und rechnete damit, als Abgeordneter in ein Parlament zu kommen, wenn es jemals wieder so etwas wie einen Reichstag oder ähnliches geben würde. Busko hörte sich Kurowskis Vorschlag an, sagte:»Sofort, Meester!«und wurde tätig. Nach einer halben Stunde — wie versprochen — hielt ein großer Bus vor dem Haus Nordstraße 34. Vierzig Kinder aus dem Waisenhaus kletterten heraus, Feldblumen in den Händen, gratulierten der sprachlosen Inge und stürzten dann über Kuchen und Kakao her. Es wurde eine der schönsten Geburtstagsfeiern, die Inge bisher erlebt hatte. Die Kinder aus dem Waisenhaus, die auch einen Kinderchor bildeten, sangen ihr Repertoire herunter, auf der Straße blieben die Leute stehen, Reporter der Zeitungen und sogar ein schnell alarmierter Berichter des Westdeutschen Rundfunks aus Köln (Busko hatte an alles gedacht) sorgten für Popularität. Nicht für Kurowski, sondern für Franz Busko… den Initiator von glücklichen Waisenhauskindern.

«Verdammt, er ist gar nicht so ein dämlicher Hund«, sagte Ku-rowski am nächsten Morgen anerkennend zu Erna, als er die Zeitungen durchblätterte.»Wenn ich mich erinnere, wie er in Adamsverdruß auf 'n Schusterschemel saß und Zwicken 'reinkloppte. Der Busko wird uns noch alle überrunden. wenn er mit seiner Partei bloß nicht auf die Schnauze fällt.«

Die Berufung ging aus wie das Hornberger Schießen… es kam nichts dabei heraus, Kurowski blieb eingestuft, und er schaffte es spielend, die Spruchkammerangehörigen so zu beleidigen, daß man ihm drei Beleidigungsklagen an den Hals hängte. Sie wurden als Sammelverfahren behandelt, und da es sich um politische Beleidigungen handelte, griff sogar der Staatsanwalt ein und erhob Anklage vor einer Strafkammer.

Kurowskis erbitterter Ausruf:»Vor politischen Idioten verantworte ich mich nicht… ich gehe nach Hause! Ihr Urteil hänge ich auf den Lokus!«erfüllte mehrere Tatbestände.

Sieben Rechtsanwälte wurden beschäftigt, Busko konnte seine Partei nicht einschalten, das wäre jetzt völlig falsch gewesen, Ellerkrug blieb in Leverkusen und tröstete Erna, denn Kurowski entwickelte sich wie sein Schwager Paskuleit: Er schlug um sich, wo man ihn schief ansah.

«Der ist fertig!«jubelte Runzenmann.»Der ist fertig! Und mit Ellerkrug arrangiere ich mich. Aber alles, was Kurowski oder Pasku-leit heißt, knalle ich erst auf die Bretter.«

Die Verhandlung vor der III. Strafkammer fand an einem Freitagmorgen im Februar 1951 in Köln statt. Die Familie Kurowski mit Busko und Ellerkrug, den man jetzt dazuzählte, war vollständig erschienen, wieder als Zuschauer. Presse und Rundfunk waren da, dafür hatte Busko sorgen können… es war immerhin ein Prozeß, in dem drei Entnazifizierungsrichter von dem Vorwurf politischer Idiotie gereinigt werden sollten. Als sich alle Anwesenden beim Eintritt des Gerichtes erhoben, blieb Busko der Mund vor Staunen offen.»Das ist doch nicht möglich — «sagte er leise zu Erna, die neben ihm stand.»Meesterin, sehen Se sich mal den Vorsitzenden an. Erkennen Se den?«