Erna, blond und von einer rührenden Mütterlichkeit; Sohn Peter, mittelgroß, untersetzt wie sein Onkel Paskuleit, noch etwas schlacksig und mit 15 Jahren mit sich und seiner ganzen Umwelt unzufrieden, und Inge, mit 13 Jahren blond wie ihre Mutter, körperlich fast schon erwachsen, hübsch und schon daran gewöhnt, daß nicht nur die Jungen ihr nachpfiffen, sondern auch ältere Männer sie ansprachen und einluden.
Und dann Ludwig, der Älteste, der Fahrer, Medizinstudent in Köln, vorher Abitur mit >sehr gut<, ruhig, ausgeglichen, schon eine Persönlichkeit.»Er schlägt aus der Art — «, hatte Kurowski einmal gelacht.»Ruhe und Intelligenz, das hat's zusammen bei uns noch nie gegeben.«
Kurowski winkte zurück, lehnte sich dann zurück und sagte laut zu Ludwig und Franz Busko:»Das ist ja alles ein Blödsinn! Ich bin gesund!«
In Bad Neuenahr bezog Kurowski ein schönes Zimmer mit einem Balkon zum Privatpark des Sanatoriums >Rhenania<. Erna hatte ihm verschwiegen, was es täglich kostete. Kurowski hätte es sonst nie bewohnt. So aber fand er alles leidlich schön, begrüßte die Ärzte, erfuhr, daß er erst am nächsten Tag untersucht werden würde, und setzte sich auf den Balkon. Es war ein herrlicher Sommertag, im Park saßen unter Sonnenschirmen und in Liegestühlen die anderen Gäste des Sanatoriums, und unter ihnen auch eine schlanke, geradezu aufreizend gut gebaute Frau mit pechschwarzen, glänzenden Haaren. Kurowski beugte sich über das Balkongitter, betrachtete die noch unbekannte Schöne eingehend und sagte dann aus tiefer Brust:»Donnerwetter.!«
Kapitel 16
Eine gute Gelegenheit zur Kontaktaufnahme ist immer ein lauer Abend mit einer untergehenden Sonne. Nichts macht eine Frau romantischer und unbewußt zärtlicher als der Anblick des Abendrotes. Warum, das wäre eine Frage für Psychologen, — vielleicht weil das Rot die Farbe der Leidenschaft ist und der heraufglutende Abend schon ans Bett erinnert.
Kurowski sagte sich:»Alter Junge, du hast ein unverschämtes Glück«, als er nach dem Abendessen (es gab einen schrecklichen Gemüsesaft, einen Klecks Magerquark mit Schnittlauch und fünf Scheiben rohe Gurken, was Kurowski mit düsterer Miene hinunterschlang und dann intensiv an ein riesiges paniertes Schnitzel mit in Butter gedünsteten Pilzen darüber dachte) die fremde, schöne Frau an der Balustrade der Terrasse stehen sah. Sie blickte in den Park, der im Widerschein des Abendrotes wie mit Gold überhaucht war. Kurowski blieb hinter ihr stehen, vergewisserte sich, daß niemand ihnen nachgekommen war, schnupperte das verdammt aufreizende Parfüm, das aus ihren Kleidern strömte, und sagte unvermittelt:»Wenn das einer malen würde, wär's glatter Kitsch!«
Die schöne Frau zuckte zusammen, die Stimme hinter ihr kam so plötzlich, aber sie drehte sich nicht um. Ein Ostpreuße, dachte sie. Unverkennbar, diese breite Aussprache. So sprechen sie in Masuren. Onkel Hubert sprach genauso. Ich war gerade da, als die Wildgänse zurückkamen. Wer kann so etwas vergessen? Sie hob etwas die Schultern. Merkwürdig, woran man sich alles erinnert, dachte sie. Wie die Bilder blitzschnell auftauchen… nur weil eine ostpreußische Stimme aufklingt.
«Ich habe so etwas gemalt — «, sagte sie. Ihre Stimme paßte zu ihr. Melodisch, etwas angedunkelt, Klänge in Samt gehüllt.»Der Dar-gainen-See im Abendlicht. Es wurde sogar in Berlin ausgestellt, aber ich habe es nicht verkauft.«
Kurowski steckte den Finger ins Ohr und bohrte. Er konnte das, denn die schöne Frau drehte ihm noch immer den Rücken zu.
«Sagten Sie eben >Dargainen-See<?«fragte er.»Oder war's ein Hörfehler?«
«Nein, es stimmt. Sie kennen ihn?«
«Wie soll ich den nicht kennen! Ich bin aus Adamsverdruß, - aber das kennen Sie nicht.«
«Nein. «Sie drehte sich um. Kurowski, bisher mutig wie nie, verschlug es den Atem. Erna war eine hübsche Frau… damals als junges Mädchen, heute als Mutter fast erwachsener Kinder. Aber das hier war einfach schön… einen anderen Ausdruck kannte Kurowski nicht dafür. Das war vollendet! Das war, um in seiner Branche zu bleiben, ein handgemachter Schuh aus weichem Juchtenleder.
«Adamsverdruß ist ein sehr schöner Name. Die Ostpreußen mit ihren merkwürdigen lustigen Ortsnamen. «Sie lachte dunkel, und Kurowski bekam eine Gänsehaut.»Mövenort… Ringelau.«»Swainen und Spullen.«, sagte Kurowski atemlos.»Kniepitten und Mehlsack.«
«Nautzwinkel und Groß-Puppen!«rief Kurowski.»Süßenberg und Klotainen! Klackendorf und Sackstein.«
«Ein einmaliges Land!«Die schöne Frau lachte, lehnte sich gegen die Balustrade und bog sich nach hinten. Ihre Brüste waren voll und fest, Kurowski hatte Gelegenheit, das durch den dünnen Stoff der Abendbluse festzustellen. Ihm wurde schwül unter den angegrauten Haaren und merkwürdig leicht ums Herz.»Da darf Adamsverdruß nicht fehlen, das stimmt.«
«Es war ein schönes Dorf. «Kurowski verbeugte sich.»Sie gestatten: Ewald Kurowski.«
«Marion Hellbaum. «Sie musterte ihn und schob dabei die Unterlippe etwas vor. Es sah kokett aus, und Kurowski machte sich daran, ihr Alter zu schätzen. Mindestens 30, dachte er, höchstens 40. Bei so einer herrlichen Frau kann man das nie sagen.
«Kurowski?«sagte sie plötzlich.»Von den Aluminiumwerken?«
«Nicht direkt, wenn wir auch Aluminium als Gelenkstützen in den Schuhen verarbeiten. Kurowski von der >Westschuh<. Leverkusen. Aber muß das sein?«
«Nein.«
«Ich bin hierhergekommen, um mich zu erholen. Der Arzt meinte, es sei nötig. Ich habe ihm den Gefallen getan, — wenn man Ärzten widerspricht, werden sie gleich unangenehm und reden von Särgen! Aber was ich heute abend als Essen bekommen habe, sieht nicht so aus, als wenn ich mich dabei erhole.«
«Das war noch fürstlich! Morgen früh gibt's eine Tasse Brühe, die nach Kräutern duftet. Aus!«
«Meine Güte! Und das halten Sie aus?«
«Schon seit elf Tagen.«
«Und kratzen nicht vor Hunger die Tapeten von den Wänden?«
«Sehe ich so aus?«
Das war eine Frage, zu der Kurowski allerhand zu sagen hatte. Aber gerade in solchen Situationen fehlen einem die Worte, man ist ja kein geborener Playboy, hat zeit seines Lebens nur Schuhe besohlt und Schuhe verkauft und hat sich aus dem Dreck emporgekrabbelt. Wie soll man Worte finden, die eine solch schöne Frau beschreiben.
«Wenn ich nach elf Tagen so aus sehe wie Sie«, - sagte Kurowski —»natürlich auf männlich umgesetzt —, pilgere ich nach Rom und stelle mich dem Papst als Wunder vor.«
Marion Hellbaum lachte wieder, tief, aus geheimnisvollen Abgründen, vor denen die schöne Barriere ihrer Brüste lag. Kurowski war stolz. Er schien etwas Gutes gesagt zu haben. die Bekanntschaft war geschlossen. Die nächste Frage war nur natürlich:»Wie lange bleiben Sie noch in Bad Neuenahr?«
«Noch zwei Wochen. Und Sie, Herr Kurowski?«
«Drei Wochen! Bei dem angedrohten Essen sind das drei Jahre! Aber eins weiß ich jetzt schon ganz sicher: Zwei Wochen halte ich durch, und wenn ich nur Gras essen müßte!«
«Danke — «, sagte Marion Hellbaum und legte ihre Hand auf Ku-rowskis Unterarm. Es durchzuckte ihn wie elektrische Schläge.
«Wofür?«fragte er.
«Das war ein schönes Kompliment.«
Kurowski war verblüfft, dann wich die Verblüffung einer Verwirrtheit. So geht das also, dachte er. Das war mein erstes Kompliment. Damals, bei Erna hatte er nur gesagt:»Marjellchen, du jefällst mir«-, und die Sache war klar. Seitdem hatte er keine andere Frau mehr angeguckt. Erna war seine ganze runde Welt geworden. Ein Leben ohne Erna war undenkbar geworden. Aber jetzt plötzlich gab es auch etwas anderes, mit dem Kurowski zum erstenmal konfrontiert wurde: Das Abenteuer mit einer Frau. Es war ein neues, den ganzen Körper wie Feuer durchrinnendes Gefühl. Kurowski gab sich keine Mühe, dagegen anzukämpfen, — es war von Beginn an ein sinnloser Kampf.