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An diesem Abend gingen sie durch den Park spazieren. Kurowski erzählte von Adamsverdruß und Leverkusen, seiner Ladenkette und aus dem Krieg. Er erzählte von allem… nur nicht von Erna und den Kindern. Und auch Marion Hellbaum fragte nicht:»Sie sind verheiratet? Sie haben auch Kinder?«Man übersah auf beiden Seiten dieses Thema, und Kurowski fand, daß man auf dieser Basis zwei Wochen Urlaub, selbst mit der magersten Magerverpflegung, durchstehen könnte.

Zurück auf seinem Zimmer — Marion wohnte unter ihm, schräg links, Zimmer 18 — wanderte Kurowski unruhig hin und her, trat auf den Balkon, schöpfte tief Luft, schielte nach links (Marion hatte auch noch das Licht an), ging zurück ins Zimmer, trank Wasser aus dem Wasserhahn (Bier war verboten), setzte sich dann an den Tisch und schrieb eine Ansichtskarte an Erna und die Kinder.

«Der erste Tag ist vorüber. Wenn Ihr wüßtet, was ich hier zu essen bekomme, würdet Ihr alle weinen. Aber ich halte durch! Wie sagt Kurowski: >Wir lassen uns nicht unterkriegen!< Auch hier nicht. An alle einen Kuß. Euer Vater. «Er las die Karte noch einmal durch und blieb an seinem Wahlspruch hängen.

«Ich glaube, der geht zum erstenmal schief — «, sagte er ahnungsvoll.»Meine Ahnen kannten keine Marion Hellbaum — «

Nach vier Tagen duzten sie sich, am fünften küßten sie sich… es hatte länger gedauert, als Kurowski zuerst angenommen hatte. Aber als er Marion zum erstenmal an sich zog und küßte, wußte er, daß verdammte Probleme damit aufgerissen wurden. Der erste Schritt zu einem Betrug an Erna war gegangen, — was jetzt folgen mußte, konnte er noch abbremsen, aber er wollte es nicht. Er versuchte, sich heimlich vor sich zu rechtfertigen, zählte die im Krieg verlorenen Jahre auf, die Gefangenschaft… aber das alles war kein Grund, Erna jetzt zu vergessen, und wenn's auch nur für noch neun Tage war. Blieb es bei diesen neun Tagen? Marion Hellbaum wohnte in Wesel. Von Leverkusen nach Wesel war keine Entfernung, die schnurrte der Mercedes in kurzer Zeit weg, und wenn das auch nach Bad Neuenahr mit Marion weiterging, und es würde weitergehen, das wußte Kurowski schon heute, denn eine solche Frau gibt man nicht wieder her, dann kam über die Familie Kurowski eine böse Zeit.

An diesem Abend, nach dem Essen, machte sich Kurowski bereit, zu Marion aus Zimmer 18 zu gehen. Er badete und rasierte sich noch einmal, besprühte sich mit einem Herrenparfüm, das er gestern gekauft hatte, betrachtete sich im Spiegel und fand, daß er eigentlich so übel gar nicht aussah, etwas dicklich (aber das wollte man ja hier wegradieren), helle, klare Augen und ein gutmütiges Gesicht. Das war eine Täuschung, denn auch Opa Jochen hatte ein gutmütiges Gesicht gehabt, wie überhaupt die ganzen Kurowskis, aber wenn sie losbrüllten, begann das schalste Bier im Glas wieder zu schäumen.

An diesem Abend rief Franz Busko an.»Na, wie geht's denn, Mee-ster?«

«Gut — «, knurrte Kurowski. Er war einsilbig geworden. Verdammt, es ist gar nicht so leicht, Erna zu betrügen, dachte er. Ich werde mir einen antrinken. Aber woher nehmen? Von Gemüsesaft ist noch keiner blau geworden.

«Wie ist das Essen?«

«Das sollte man euch im Bundestag als Pflichtessen vorsetzen!«

«Und sonst?«

«Was sonst?«bellte Kurowski.

«Sie wissen schon, Meester. Sonst.«

«Ich will mich erholen und abnehmen!«brüllte Kurowski.»Und überhaupt — warum hat mir nie einer gesagt, daß ein Kuraufenthalt für mich so nötig ist?!«Das war eine Bemerkung, die ein grober Fehler war. Busko, an parlamentarischen Spitzfindigkeiten trainiert, hörte heraus, was sich da in Bad Neuenahr tat. Er rief sofort Heinrich Ellerkrug an und sagte:»Heinrich, auch wennste schon im Bett liegen solltest, — fahr mal nach Neuenahr. Der Meester ist auf der Balz. Ja, was ich dir sage! Ich hab so 'was geahnt! Nee, nicht mehr heute… morgen jenügt. Und nimm die Meesterin mit… aber ohne die Kinder. Ick hätte auch in Neuenahr bleiben sollen. Imma die Weiber.«

Ellerkrug warf den Hörer zurück. Busko hatte gut reden. seit er im Bundestag saß, hatte er ein Verhältnis mit einer Sekretärin und kaufte — er war ja auch noch Direktor der >Westschuh< — Pelze und Schmuck. Er hatte für sie ein Appartement in Godesberg gemietet und plante, seinen Urlaub im Winter in Davos zu verbringen. In dieser Nacht schlief Ellerkrug nicht wieder ein. Er mußte an Erna denken und an ihre unzerbrechliche Treue zu Ewald.

Auch Kurowski schlief nicht ein. Er lag in Zimmer 18 neben Marion auf dem Bett, hatte seine rechte Hand auf ihren herrlichen, nackten Leib gelegt, starrte an die Decke und dachte: Es war schön… aber, Kurowski, du bist ein Schwein.

Ellerkrug kam sich verdammt elend vor, als er in Leverkusen unverhofft eintraf und Erna den Vorschlag machte, Ewald in Bad Neuenahr zu besuchen. Ganz überraschend. Das heißt, — so überraschend sollte es wieder auch nicht sein, es sollte zu keiner Tragödie kommen, und Busko hatte es übernommen, Kurowski vorher telefonisch zu warnen. Wie allerdings Kurowski darauf reagieren würde, wußte niemand. Wenn ein Mann durch seinen zweiten Frühling wandelt, hört er kein Sturmblasen mehr und spürt keinen Regen. Er riecht nur Blüten. Bei Kurowski mußten es ganze Blumenfelder sein… dafür war er ein Kurowski!

«Solche Überraschungen mag er gar nicht«, sagte Erna. Sie sah dabei Ellerkrug nicht an, und er hatte den Eindruck, daß sie irgend etwas ahnte. Bisher hatte Kurowski zwei Karten geschrieben mit geradezu dummen Sätzen. Hier scheint die Sonne, mir geht's gut, ich habe drei Pfund abgenommen, wie geht es euch? Schreibt solche Karten ein Mann, der zum erstenmal in seinem Leben auf Kur gefahren ist?

«Eben deshalb fahren wir hin!«sagte Ellerkrug gepreßt.

«Er wird sich ärgern, Heinrich.«

«Wer ärgert sich, wenn seine Frau ihn besuchen kommt?«

«Ohne die Kinder?«

«Ohne. Nur du!«

Erna sah ihn lange an. Sie schwiegen beide, und es war auch nicht nötig, jetzt noch etwas zu sagen. Ellerkrug kaute an der Unterlippe. Er war noch immer in Erna verliebt, und wie sie so dasaß, in einem modernen Sommerkleid, die blonden Haare in weiche Lok-kenwellen gelegt, gütig, mütterlich, ein Stück ostpreußischer Himmel, ein Stück masurische Seen, ein Stück Kiefernwald, von allem das schönste Stück, brachte sie Ellerkrug in Versuchung, nach Neuenahr zu fahren, allein, und Kurowski ins Gesicht zu schlagen.

«Ich bleibe hier — «, sagte Erna endlich.»Ewald soll in seiner Kur nicht gestört werden.«

«Vielleicht gehört es zu seiner Kur, Erna, daß du jetzt zu ihm fährst«, sagte Ellerkrug finster.

«Wie heißt sie?«fragte sie plötzlich.

«Keine Ahnung. «Er war überrumpelt worden. Er sprang auf und stellte sich ans Fenster. Der weite Garten des Landhauses blühte in hundert Farben.»Wann fahren wir?«

«Soll ich ihm nachlaufen?«

«Du haste jahrelang auf ihn gewartet.«

«Da war er vermißt. Jetzt ist er da… das ist etwas anderes. Und ich bin älter geworden… einundvierzig.«

«Ist das ein Alter für eine Frau? Er ist einundfünfzig. Verdammt, ja, das ist für einen Mann eine Klippe, die er überspringen muß. dieses Jungseinwollen, ohne mehr jung zu sein. Dabei mußt du ihm helfen, Erna.«

«Sie ist bestimmt hübscher als ich, eleganter, gebildeter, vornehmer.«

«Aber du bist Erna Kurowski! Ohne dich und Paskuleit wäre Ewald jetzt eine Null! Dir verdankt er alles!«

«So etwas sollte man einem Mann nie sagen — «

«Natürlich nicht. Aber man sollte ihm zeigen, daß man da ist! Los, wir fahren sofort nach Neuenahr.«

In Köln holten sie Ludwig, den Ältesten, ab.»Ich hab heute nachmittag Anatomie-Repetitorium!«schrie Ludwig.»So'n Blödsinn, Paps in Neuenahr zu überraschen!«

«Die Knochen bleiben immer die gleichen!«schrie Ellerkrug zurück.»Aber wenn deine Mutter dich bittet mitzukommen, dann ist das wichtiger! Steig ein. Wie kann so 'was Dämliches nur Arzt werden!«