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«Was willst denn du hier?«fragte er Franz Busko in einem geradezu beleidigenden Ton.

«Ich bin gekommen, bevor dein Vater auftaucht. Ich nehme an, er ist auf dem Weg nach Frankfurt. Wieso machst du jetzt Revolution und verleihst keine Huren mehr?«

«Das eine ist Geschäft, das andere eine Ideologie. Warum kniest du jeden Sonntag in der Kommunionbank, damit deine Wähler das sehen, und hast in Godesberg ein Appartment für deine Sekretärin eingerichtet? Von unseren Steuern!«

«Ich bin Direktor der >Westschuh<«, sagte Busko steif. Er hatte sich freigeschwommen, wie Kurowski es nannte. Von dem ostpreußischen Schuhmachergesellen war nur noch der Name und im vertrauten Kreis die breite Sprache übriggeblieben. sonst hatte sich Busko vollends gehäutet, trug Maßanzüge, glänzte mit Schlagwörtern, die ihm Sitz und Stimme in einigen Bundestagsausschüssen einbrachten, und galt als der kommende große Mann seiner Partei. Er steht mitten im Volk, hieß es von ihm. So etwas brauchen wir. Theoretiker gibt's genug. Aber der Busko versteht die Wählerschaft, und die Wählerschaft versteht ihn. wo gibt es so etwas Ideales sonst noch bei den Volksvertretern? Außerdem gehörte Busko keinem Interessenverband an — auch nicht der Vereinigung der Schuhmacher —, vertrat keine Lobby und war deshalb geradezu märchenhaft unabhängig und liberal. So etwas kann man mit dem Mikroskop suchen, — eine Lupe reicht schon nicht mehr!

«Hast du einen Wurm im Hirn?«fragte Busko direkt.»Ein Kurowski als Revolutionär? Mit einer Hure im Gepäck und einem Sack voll Rauschgift! Peter, schämst du dich nicht?«

«Nein! Schämt sich unser Staat, solch ein Scheißstaat zu sein? Ich habe eine Mieze, gebe ich zu. aber der Staat besteht nur aus Hurerei. Der geht mit jedem ins politische Bett, wenn's nur Nutzen bringt! Ich will verhindern, daß 60 Millionen sich ankotzen, wenn sie in den Spiegel schauen!«

Man kam zu keiner Einigung. Peter beschimpfte Busko, Busko beschimpfte Peter, bis der Oberwachtmeister eingriff und fast jovial sagte:

«Herr Bundestagsabgeordneter, es hat doch wirklich keinen Zweck.

Ich führe das Rindvieh zurück in seine Zelle. Mit diesen Typen kann man einfach nicht diskutieren. Die lassen im Hirn eine Platte ablaufen, weiter nichts.«

«Ich habe ausgerechnet, daß in zwanzig Minuten dein Vater hier sein wird. Was dann passiert, kannste dir ja denken«, sagte Busko und stand auf.»Und Ludwig wird auch kommen.«

«Der Herr Dr. med. in spe kann mich am Arsch lecken!«schrie Peter wild.

«Kaum. Er wird sich doch nicht den Appetit verderben. «Busko hob resignierend die Schulter.»Wo willst du überhaupt hin, Peter?«

«Zur Weltrevolution!«

«Ein bißchen viel, findest du nicht auch?«

«Wir schaffen es. Die Zeit ist reif. Wenn Typen wie du das Volk regieren, ist der ganze Staat faul!«

«Und dann wird — wenn ihr regiert — in jede Mittagssuppe 1 Gramm LSD verrührt, damit die ganze Welt auch immer ganz schön verrückt bleibt, was? Peter, du bist krank. Ehrlich krank. Wie bist du überhaupt an das Sauzeug von Rauschgift gekommen?«

«Aus Angst — «, antwortete Peter Kurowski ehrlich. Seine Stimme wurde plötzlich unsicher.»Aus Angst, Franz. Überall habe ich versagt… in der Schule, zu Hause, bei den Mädchen, bei den Kameraden… und dann habe ich mit Fixen angefangen, und auf einmal geht alles wie geschmiert. Das war's.«

«Und in einem Jahr bist du ein Wrack!«

«Na und?«Peter warf den Kopf in den Nacken.»Es ist mein Wrack! Was geht euch das an, ihr frustrierte Bande.«

Die beiden Wachtmeister zerrten Peter aus dem Sprechzimmer. Busko verließ nachdenklich den Raum und wartete im Büro des Direktors auf seinen Meister. Er hat Angst, dachte er. Das kenne ich. Auch ich hatte Angst, damals, in Adamsverdruß, als sie mich zum Militär holen wollten. Aber ich war lungenkrank und wurde nicht gemustert. Was aber wäre gewesen, wenn sie mich doch genommen hätten? Vielleicht wäre ich zu den Russen übergelaufen, so große Angst hatte ich vor dem Tod. Aber das weiß Gott sei Dank keiner…und es ist ja auch so lange vorbei.

Nun war Ewald Kurowski da und fragte sofort:»Kann ich meinen Sohn sprechen?«

«Natürlich. «Der Gefängnisdirektor bot Zigarren an und ließ Kaffee kommen. Bei Angehörigen von normalen Ganoven war das nicht üblich, aber hier handelte es sich um einen politischen Täter, und da sind die Spielregeln anders.»Lassen Sie sich aber vorher von dem Herrn Bundestagsabgeordneten berichten, was Sie erwartet.«

«Das weiß ich«, sagte Kurowski steif.»Aber mein Sohn weiß auch, was ihn erwartet.«

«Das wird ihn kaum kratzen. «Busko seufzte. Die Unzufriedenheit im Land wuchs, je sicherer und wohlhabender es wurde. Es war ein Rätsel. Der Ausspruch Kurowskis: Der Deutsche kann die Demokratie nicht vertragen! — schien erschreckende Wahrheit zu werden. Die Ordnung zerflatterte, — man verwechselte Freiheit mit Al-leserlaubtsein. Kurowski — immer zu großen, wahren Sprüchen bereit — nannte es schlicht: Typisch deutsch.

«Wenn Peter noch einen Funken Gefühl in sich hat, dreht er sich jetzt um«, sagte Kurowski.

«Sein Gefühl ist von der Spritze bestimmt, vergessen Sie das nicht«, warf der Gefängnisdirektor ein.»Seit zwei Stunden jammert er nach einem >Schuß<. Er bekommt hier natürlich keinen, und jetzt ist er in einer Stimmung, in der er alles vernichten könnte.«

«Ich möchte ihn sehen — «, sagte Kurowski und stand auf.

«Bitte — «

Zehn Minuten später führte man Peter wieder in die Besuchszelle. Jetzt begleitete ihn nur ein Beamter, und er war ungefesselt. das Fehlen des Rauschgiftes hatte ihn von einer Stunde zur anderen zu einem elenden, zitternden, jammervollen, erschreckend gealterten Bündel gemacht. Mit hohlen, flackernden Augen sah er seinen Vater an. seine Lippen waren aufgesprungen und heiß, seine Kehle trocken, wie mit Sand eingerieben. ihm fehlte das herrliche Leben aus der Spritze… der gaukelhafte Tod, aber das sah er nicht ein.

«Hast du einen Spiegel in deiner Zelle?«fragte Kurowski ohne Begrüßung.

Peter schüttelte den Kopf.»Kaputtgeschlagen.«

«Schade! Du solltest dich ansehen!«Er griff in die Seitentasche, zog einen kleinen Kammspiegel heraus und hielt ihn Peter vor das Gesicht.»Da, sieh dich an! Das ist aus dir geworden! Ist das noch Peter Kurowski?«

Peter starrte in den Spiegel und warf dann den Kopf zur Seite. Sein Gesicht zuckte wild.»Ihr Schweine!«stöhnte er.»Ihr reaktionären Säue! Ich sehe gut aus. Ich habe nie besser ausgesehen! Ich fühle mich wohl.«

«Natürlich. Es braucht seine Zeit, bis ein Kurowski etwas zugibt, was er falsch gemacht hat. Wir haben deine Show im Fernsehen miterlebt. eine miese Regie, ein noch mieserer Auftritt, dilettantisch bis auf die Knochen!«

«Mach's besser!«schrie Peter.»Ihr habt nur immer >Heil< gebrüllt! >Sieg heil<! Wir tun etwas!«

«An der verkehrten Stelle, wie immer, wenn Deutsche etwas ganz Großes tun wollen. Du willst also weiterhin Straßenschlachten schlagen, dir Gift in den Körper spritzen, dich ruinieren.«

«Ich lebe mein Leben. In drei Monaten bin ich 21… da kannst du Arien auf 'n Hobel blasen, da hört deine Verfügungsgewalt auf. Die elterliche Verfügungsgewalt. welch ein Scheißwort!«

«Ich habe gar nicht vor, irgend etwas gegen dich zu unternehmen«, sagte Kurowski mit eisiger Ruhe.»Vor ein paar Wochen, ja, da hat mich die plötzliche Erkenntnis, was für einen Sohn ich habe, umgehauen. Aber heute. man gewöhnt sich an alles, auch an einen Sohn, der ein Idiot ist!«

Das war eine Lüge, aber wer erkannte das? Seit Wochen lief Ku-rowski verändert herum, war in sich gekrochen, stiller geworden, besuchte keine Vereinsabende mehr, mied den Kegelclub, die Reitergesellschaft, den exklusiven Golfclub, den Tennisverein Rot-Gold. er saß immer nur zu Hause in seinem wunderbaren Landsitz, spazierte durch den parkähnlichen Garten und freute sich, wenn Lud-wig aus Köln herüberkam und ihm von seinem Studium erzählte, oder Inge ihre Klassenarbeiten durchschnittlich mit >gut< machte. Jeder sah, daß er unter Peters Weggang litt, aber keiner sprach ihn darauf an… ein Kurowski braucht kein Mitleid, er beißt sich von selbst durch.