Dir Wahrheit zu sagen: in seinem Hause herrschte eine gradezu tödtliche Langeweile; in diesen niedrigen Zimmern, in denen es so schwül und dunkel war, herrschte immer ein Geruch nach Weihrauch und Fastenspeisen und aus allen Winkeln schienen die Litaneien und die Gesänge der Abendandachten widerzuhallen.
Er verheirathete sich, als er schon ziemlich bei Jahren war, mit einem armen, aus der Nachbarschaft stammenden Fräulein, das in einem Institute erzogen war; es war eine kränkliche und nervöse Person. Sie spielte ziemlich gut Klavier unk sprach französisch mit jenem Accent, der in den Instituten den Schülerinnen gewöhnlich anerzogen wird. Im Uebrigen war sie ein Wenig exaltirt und gab sich gern einem unbegründeten Trübsinn hin, in welcher Stimmung sie leicht bittere Thränen vergoß. Kurz, ihr Charakter hatte etwas Unstätes, Ruheloses. Da sie ihr Leben für verfehlt hielt, konnte sie auch ihren Gatten nicht lieben, der ihr natürlicher Weise »kein Verständniß entgegenbrachte«; aber sie achtete ihn und ertrug ihn, wie er nun einmal war. Da sie sehr ehrenhaft war und ein überaus kühles Temperament hatte, richteten sich ihre Gedanken auch nicht etwa auf einen andern »Gegenstand«. Dazu kam auch noch, daß sie den Kopf beständig voll von Sorgen hatte, zunächst über ihre eigene, wirklich sehr schwache Gesundheit; zweitens über die ihres Gatten, dessen Anfälle ihr immer etwas wie abergläubische Furcht einflößten. Schließlich war sie auch um ihren einzigen Sohn Mischa sehr besorgt, den sie mit großem Eifer selbst erzog. Andrej Nikolajewitsch legte seiner Gattin kein Hinderniß in den Weg, sich mit Mischa nach Gutdünken zu beschäftigen – nur eine Bedingung hatte er gestellt: Unter keinen Umständen sollten jene Grenzen überschritten werden, die nun einmal von Alters her bestimmt waren, und innerhalb welcher sich Alles in seinem Hause zu bewegen hatte.
Um ein Beispiel anzuführen: In der Weihnachtswoche und am Neujahrstage war es Mischa erlaubt, mit den andern Kindern im Orte sich zu verkleiden und allerhand Scherz zu treiben; ja es war ihm dies nicht nur erlaubt, sondern es wurde ihm geradezu zur Pflicht gemacht. Wenn er sich dasselbe aber auch zu einer andern Zeit hätte einfallen lassen, so wäre es ihm sicherlich schlimm ergangen.
II.
Ich kann mich Mischa's noch erinnern, als er dreizehn Jahre alt war. Damals war er ein hübscher Junge mit rosigen Wangen und weichen Lippen – wie er denn überhaupt weich und voll in seiner körperlichen Anlage war – und feucht schimmernden Augen, sorgfältig gekämmt und gekleidet, bescheiden und freundlich, fast wie ein Mädchen. Nur eines mißfiel mir an ihm: Er lachte selten, und wenn er einmal lachte, so standen seine großen, weißen, wie bei einem Raubthier spitzigen Zähne unangenehm vor; sein Lachen klang gellend, roh, beinahe thierisch, und dabei funkelte es so böse und unheimlich in seinen Augen.
Die Mutter lobte ihn fortwährend, weil er so ungemein folgsam und bescheiden sei, niemals an der Gesellschaft loser Knaben Gefallen fände und sich weit lieber in derjenigen von Frauen aufhalte.
»Der Junge ist verweichlicht, ein richtiges Muttersöhnchen,« sagte der Vater von ihm. »Aber er geht gern in die Kirche und das macht mir Freude.«
Ein Nachbar, ein alter, sehr vernünftiger Mann, der früher Friedensrichter im Distrikt gewesen war, sagte mir einmal, als wir von Mischa sprachen, mit Bezug auf diesen: »Passen Sie auf, das wird noch einmal ein Revolutionär!«
Diese Prophezeiung setzte mich, wie ich mich erinnere, damals sehr in Erstaunen. Allerdings muß ich hinzufügen, daß der Friedensrichter a. D. sehr leicht geneigt war, in einem etwas ungewöhnlich angelegten Menschen gleich einen Revolutionär zu erblicken.
Ein solcher Musterknabe blieb Mischa bis zu seinem achtzehnten Jahre, bis zu dem Zeitpunkte, als seine Eltern starben, die übrigens Beide an einem und demselben Tage aus dem Leben schieden. Da ich beständig in Moskau meinen Aufenthalt hatte, erhielt ich über das Leben und Treiben meines jungen Verwandten keine zuverlässigen Mittheilungen. Ein Herr, der aus jenem Gouvernement stammte und mit dem ich zufällig in Moskau zusammentraf, erzählte mir zwar, daß Mischa sein Stammgut für einen Spottpreis verkauft habe, das erschien mir aber so unwahrscheinlich, daß ich an der Richtigkeit der Nachricht zweifelte. Da jagt eines schönen Morgens, es war im Herbst, eine mit zwei herrlichen Trabern bespannte Kalesche, auf deren Bock ein ungeheuerlich aussehender Kutscher sich breit machte, auf den Hof meines Hauses, hält vor der Eingangsthüre still, und in dieser Kalesche sitzt, gehüllt in einen Offiziersmantel mit riesengroßem Pelzkragen und die Militärmütze so recht verwegen auf einem Ohre tragend – Mischa! Wirklich, mein lieber Verwandter Mischa war angekommen!
Als er mich erblickte (ich stand an einem Fenster des Salons und blickte erstaunt auf die Equipage, die so plötzlich bei mir vorfuhr), wollte er sich ausschütten vor Lachen; sein Lachen war noch immer so gellend und unangenehm scharf, wie früher. Dann warf er mit einer schnellen Bewegung den Mantel ab, sprang aus dem Wagen und trat in mein Haus.
»Mischa! Michael Andrejewitsch!« begrüßte ich ihn. »Sind Sie es denn wirklich?«
»Sagen Sie doch 'Du' zu mir und nennen Sie mich einfach Mischa,« unterbrach er mich. »Ich bin's übrigens, bin's in eigener Person und ganz leibhaftig. Ich bin hierher nach Moskau gekommen, um mir die Leute ein Bischen anzusehen und mich selbst ansehen zu lassen. Natürlich wollte ich doch auch Sie begrüßen! Wie finden Sie meine Traber? He?«
Wieder lachte er laut.
Obgleich fast sieben Jahre verflossen waren, seitdem ich Mischa zum letzten Male gesehen, hatte ich ihn doch sofort wiedererkannt. Sein Gesicht hatte das jugendliche Aussehen bewahrt und es war auch noch ebenso rosig wie früher; von einem Schnurrbart war noch nicht die leiseste Spur wahrzunehmen. Die Wangen sahen jedoch etwas aufgedunsen aus und sein Athem duftete entsetzlich nach Branntwein.
»Bist Du denn schon lange in Moskau?« fragte ich. »Ich glaubte Dich ruhig bei der Bewirthschaftung Deines Gutes.«
»Meines Gutes? Ach, wie lange habe ich das schon verkauft? Kaum waren meine Eltern – Gott schenke ihnen die ewige Seligkeit – gestorben« (Mischa bekreuzte sich bei diesen Worten aufrichtig und ohne das geringste Zeichen von Spott), »da ging's wie der Blitz! Eins zwei drei – ich war es los! Ich habe es sicherlich zu billig fortgegeben! Es war ein Schurkenstreich, ich bin beim Verkauf einer richtigen Canaille in die Hände gefallen. Aber gleichviel! Was thut's? Ich lebe nun doch wenigstens zu meinem Vergnügen und ich unterhalte auch Andere. Aber weshalb sehen Sie mich so sonderbar, so erstaunt an? Glauben Sie, ich hätte mich darin finden können, Zeit meines Lebens auf der Ackerscholle zu sitzen? Wie ist es denn übrigens, theuerstes Onkelchen, bietest Du mir nicht ein Gläschen an?«
Mischa sprach äußerst schnell, eintönig und gewissermaßen wie ein schlaftrunkener Mensch.
»Mischa!« schrie ich laut auf. »Besinne Dich doch! Fürchtest Du denn Gott gar nicht mehr? Sieh Dich doch nur einmal an? In welchem Zustande bist Du? Und Du willst jetzt noch ein Gläschen von mir haben? Ein so schönes Gut, wie es das Deinige gewesen, für ein Nichts, für ein Butterbrod fortgeben!«