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»Den lieben Gott,« erwiderte Jener, »fürchte ich wohl, und ich' denke auch immer an ihn; Gott ist sehr gut und deshalb wird er mir auch verzeihen. Ich aber bin ein guter Mensch; ich habe noch niemals in meinem Leben Jemanden etwas zu Leide gethan. Das Gläschen – nun, solch ein Gläschen ist auch sehr gut und kränkt Niemandem. In welchem Zustande ich bin, fragen Sie? Ich sollte doch meinen, in einem ganz achtbaren Zustand. Wenn Sie wollen, Onkelchen, gehe ich hier auf der Dielenspalte entlang oder tanze Ihnen so steif wie eine Latte etwas vor, blos um Ihnen zu zeigen, daß ich vollkommen nüchtern bin.«

»Lasse mich zufrieden. Das könnte ein netter Tanz werden. Setze Dich lieber ganz ruhig hierher!«

»Setzen? Nun meinetwegen! Aber weshalb sagen Sie mir kein Wort über meine Gäule? Sehen Sie die Thiere nur einmal genau an, sie sehen wie Löwen aus. Vorläufig habe ich sie nur gemiethet, ich ruhe aber nicht eher, als bis ich sie gekauft habe, und den Kutscher auch, der gehört dazu. Es ist doch ungleich vortheilhafter, mit eigenem Gespann zu fahren. Ich hatte mir das Geld zum Ankauf auch schon zurechtgelegt, bin es aber gestern im Pharaospiele losgeworden. Na, thut nichts! Morgen werden wir es uns schon wieder zurückholen. Aber nun, Onkelchen, wie ist es denn wirklich mit einem Gläschen?«

Ich konnte mich von meinem Staunen und Schrecken noch immer nicht erholen.

»Mischa, ich bitte Dich, bedenke doch, wie alt Du bist! Du solltest Dich weder um Pferde, noch um das Kartenspiel kümmern, sondern Du solltest zur Universität gehen und studiren oder in den Staatsdienst eintreten.«

Mischa fing erst wieder zu lachen an; dann pfiff er in langsamem Tempo eine Melodie.

»Ich sehe schon, Onkelchen, daß Sie in diesem Augenblicke in etwas mißmüthiger Stimmung sind. Ich werde also ein anderes Mal wiederkommen. Aber halt! wissen Sie, kommen Sie doch heute Abend zum ›Sokolniki‹. Ein öffentlicher Park bei Moskau. Dort habe ich nämlich mein Hauptquartier aufgeschlagen. Dort singen die Zigeuner; ich sage Ihnen, es ist eine Lust! Schön, zum Verrücktwerden schön! Ueber meiner Bude hängt eine Fahne und auf die Fahne habe ich mit großen Buchstaben malen lassen: Poltews Zigeunerchor. Die Fahne dreht und wendet sich wie eine Schlange, und die Buchstaben sind von Gold. Wer das ansieht, muß seine helle Freude daran haben. Jedermann ist geladen, Jeder willkommen, Niemand wird zurückgewiesen. Ich sage Dir: das macht ein Aufsehen in Moskau; so etwas ist noch nicht dagewesen. Alle Welt spricht davon. Nun, wie ist's? Werden Sie kommen? Besonders eine von den Zigeunerinnen, die reine Natter! Schwarz ist sie wie ein Paar Stiefel und böse wie ein Kettenhund, aber Augen hat sie! Augen! Wie glühende Kohlen! Man weiß nicht genau, will sie Einen im nächsten Augenblick beißen oder küssen? Nun, Sie werden doch kommen, Onkelchen, nicht wahr? Also auf Wiedersehen!«

Er umarmte mich stürmisch, gab mir einen schallenden Kuß auf die Schulter, sprang in den Hof hinunter, stieg in die Kalesche, schwenkte mit einem lauten Schrei die Mütze über dem Kopfe; der ungeheuerlich aussehende Kutscher blickte seitwärts über den Bart zu ihm hinüber, zog dann die Zügel an – Alles war verschwunden!

Am andern Tage – ich weiß kaum selbst zu sagen, aus welchem Grunde es geschah, genug, ich that es – am andern Tage ging ich zum »Sokolniki«. Ich sah dort in der That die Bude, die Fahne und die Aufschrift. Die Dielen der Bude waren etwas erhöht angebracht und von dorther ertönte wildes Schreien, Kreischen und Johlen. Eine große Volksmenge drängte sich um das Zelt und in seinem Innern. Auf den Dielen war ein Teppich ausgebreitet; hier saßen männliche und weibliche Zigeuner. Sie sangen und schlugen das Tambourin, und mitten unter ihnen, eine Guitarre in den Händen haltend, mit rothseidenem Hemd und sammetnen, faltigen Hosen bekleidet, drehte sich Mischa wie ein Kreisel herum und schrie dazu mit heiserer Stimme: »Immer herein! meine Herrschaften! Immer herein! Treten Sie näher. Die Vorstellung wird sofort beginnen! Heda, Champagner her! Lasset die Pfropfen springen! Bis an die Decke müssen sie springen! Vorwärts doch – Hurrah!«

Glücklicherweise bemerkte er mich nicht und so gelang es mir, mich schnell wieder zu entfernen.

Ich will Ihnen, meine Herren, nun nicht des Langen und des Breiten mein Erstaunen über die Veränderung schildern, die mit dem jungen Manne vorgegangen. Aber unwillkürlich drängt sich doch die Frage auf: Wie hatte sich der stille und bescheidene Knabe so furchtbar schnell in solchen Trunkenbold und leichtsinnigen Strick verwandeln können? Hatte diese tolle Wildheit seit seiner frühesten Jugend in ihm geschlummert und war sie erst dadurch zu Tage getreten, daß der Druck der väterlichen Aufsicht nicht mehr auf ihm lastete? Welcher Art das Aufsehen war, das er, wie er selbst sagte, in Moskau machte, darüber konnte nicht der leiseste Zweifel bestehen. Ich habe in meinem Leben leichtsinnige Menschen in großer Zahl gesehen, aber dieser Leichtsinn erinnerte schon mehr an das Gebahren eines Tollhäuslers, an tatsächliches Bestreben, sich selbst zu vernichten, es war eine Art Verzweiflung.

III.

Zwei Monate lang etwa mochte dieses Amüsement, dieses tolle Leben gedauert haben. Da stehe ich wieder einmal am Fenster meines Salons und schaue in den Hof hinab, was muß ich da für einen neuen seltsamen Mummenschanz gewahren? Langsamen Schrittes, demüthig und bescheiden tritt ein Klosterbruder auf den Hof; die Kapuze hat er über die Stirne tief ins Gesicht gezogen, die Haare sind, soviel man davon sehen kann, sorgfältig gescheitelt und nach rechts und links zur Seite gekämmt. Die lang wallende Mönchskutte wird von einem ledernen Gürtel zusammengehalten. Aber dieses Gesicht, diese Gestalt, sollte es möglich sein? Mischa? Ja wahrhaftig, er ist's!

Ich ging die Treppe hinunter, um ihn im Hofe zu begrüßen.

»Was soll denn nun wieder diese neue Maskerade?« fragte ich.

»Von einer Maskerade ist hier keine Rede, Onkelchen,« erwiderte Mischa mit tiefem Seufzer. »Ich habe mein gesammtes Geld bis auf den letzten Kopeken ausgegeben und verthan; nun hat mich die Reue ergriffen und ich that das Gelübde, ins Sergej-Kloster zu Troitzko zu gehen und dort meine Sünden zu bereuen. Welch ein anderer Zufluchtsort stände mir denn jetzt wohl noch offen? Und so komme ich denn zu Ihnen, lieber Onkel, um Ihnen Lebewohl zu sagen und Sie, wie es die Pflicht des verlorenen Sohnes ist, um Verzeihung zu bitten.«

Ich blickte Mischa ganz überrascht an. Sein Gesicht war so rosig und frisch, wie nur je zuvor – es hat übrigens bis zuletzt dieses Aussehen nicht verloren – die Augen schimmerten noch immer so feucht, blickten noch immer so freundlich und schmachtend darein, die Händchen waren noch immer so weiß; leider aber verbreitete er auch noch immer einen starken Branntweingeruch um sich.

»Was soll ich dazu sagen?« bemerkte ich schließlich. »Ich kann Deinen Entschluß nur billigen und ich wüßte auch keinen andern Ausweg für Dich. Aber weshalb riechst Du so entsetzlich nach Branntwein?«

»Das ist noch ein Rest vom alten Adam,« entgegnete er und platzte in sein altes, lautes, gellendes Lachen aus. Plötzlich aber schien er sich auf seinen neuen Stand zu besinnen, verbeugte sich steif und tief, wie es die Mönche zu thun pflegen, und fügte hinzu:

»Wollen Sie mir nicht ein kleines Zehrgeld mit auf den Weg geben? Ich mache die Reise bis nach dem Kloster zu Fuß.«

»Wann gehst Du auf die Wanderung?«

»Heute noch, sofort.«

»Weshalb hast Du es denn so eilig?«

»Onkelchen, mein Wahlspruch war von jeher: Schnell, immer nur schnell!«

»Und welchen Wahlspruch hast Du jetzt?«

»Denselben. Nur sage ich jetzt: Schnell zum Guten.«

So verließ mich denn Mischa und ich blieb allein, um über die Wandelbarkeit aller menschlichen Schicksale meine Betrachtungen anzustellen.

Aber bald wurde ich wieder an die Existenz meines Neffen erinnert.