Kaum zwei Monate waren nach seinem Abschiedsbesuche verflossen, als ich einen Brief von ihm erhielt, und zwar war dies der erste von allen jenen, die ich in der Folgezeit in großer Zahl empfing. Und beachten Sie den eigenthümlichen Umstand: Ich habe selten eine so saubere und klare Handschrift gesehen wie diejenige dieses halbverdrehten Menschen. Der Stil war auch durchaus korrekt, wenn auch einige gesuchte Ausdrücke mitunterliefen.
In diesen Briefen wechselten die Bitten um Unterstützung beständig mit den Versprechungen der Besserung ab, ferner mit Betheuerungen, flehentlichen Anrufungen und Segenswünschen. Alles schien aufrichtig gemeint zu sein und war es vielleicht auch wirklich. Die Unterschrift Mischa's war stets mit vielen Punkten, Strichen Und Schnörkeln verziert; auch hatte er die Gewohnheit, möglichst viele Ausrufungszeichen im Texte jedes Briefes anzuwenden.
Im ersten seiner Briefe theilte mir Mischa mit, daß sein Geschick eine neue »Wendung« genommen hatte. (Später sprach er nicht mehr von einer neuen »Wendung«, sondern vom »Auftauchen einer neuen Idee«, und es »tauchte« sehr viel »auf«.) Er schrieb mir also, daß er nach dem Kaukasus gehe, um »seine Brust dem Vaterlande und dem Czaren darzubringen«, indem er als Fähnrich in ein Regiment einträte. Irgend eine wohlthätige alte Tante, die sich für ihn interesstrte, hatte ihm bereits eine kleine Summe zur Beihilfe bei der Equipirung gesandt, und mich bat er nun ebenfalls um eine Unterstützung für denselben Zweck. Ich erfüllte seine Bitte und zwei Jahre lang hörte ich nicht das Mindeste von ihm.
Unter uns gesagt: Ich zweifelte sehr stark daran, ob er wirklich nach dem Kaukasus gegangen fei. Aber dies war nun doch der Fall. Wie ich später hörte, war er durch Protektion, die er sich zu verschaffen gewußt hatte, als Fähnrich im T.'schen Regimente einrangirt worden, und zwei Jahre lang blieb er bei demselben im Dienste. Eine ganze Menge Geschichten waren über ihn und seine Streiche im Umlauf und ein Offizier seines Regimentes, mit dem ich durch Zufall zusammentraf, theilte mir dieselben später auch mit.
IV.
Ich erfuhr über ihn so Manches, wie ich es selbst von ihm, dem ich doch ziemlich viel zutraute, nicht erwartet hatte. Daß er sich mit Bezug auf den Dienst als mittelmäßiger oder, um es gerade heraus zu sagen, als absolut schlechter Soldat gezeigt hatte, wunderte mich nicht im Geringsten; was mich aber wirklich in Erstaunen versetzte, war die Thatsache, daß man ihm nicht einmal nachsagen konnte, er besäße persönliche Tapferkeit; während der Schlachten machte er den Eindruck eines matten, zu Thaten unlustigen Mannes, der von Sorgen gequält ist, Die ganze militärische Disziplin verstimmte ihn und war ihm lästig. Wenn es sich um ihn persönlich handelte, konnte er bis zum Wahnwitz kühn sein; er wies keine Wette zurück, sie mochte so unsinnig sein, wie sie wollte, aber Andern ein Leid zufügen, sich zu schlagen, Jemanden zu tödten, dazu war er nun einmal nicht im Stande, sei es, weil sein Herz von Natur zu sanft und gut war, sei es, daß die »baumwollene« Erziehung, die er, wie er sich ausdrückte, in seiner Jugend empfangen hatte, ihn daran verhinderte. Zu jeder Zeit und auf jede nur denkbare Art und Weise war er bereit sich selbst zu zerstören; aber Andern einen Schaden zufügen – nein!
»Der Teufel selbst kann aus diesem Menschen nicht klug werden,« sagten die Kameraden, wenn sie von ihm sprachen. »Er ist eigentlich schlaff, wie ein Waschlappen, aber zu andern Zeiten geberdet er sich wie ein Mensch ohne Sinn und Verstand, oder wie ein Verzweifelter.«
Später nahm ich einmal die Gelegenheit wahr Mischa zu fragen, welcher böse Geist ihn treibe, so maßlos zu trinken, sein Leben ohne rechte Ursache aufs Spiel zu setzen und tausend ähnliche tolle Streiche zu begehen. Und er hatte immer nur eine und dieselbe Antwort: »Es ist der Gram.«
»Gram? Worüber grämst Du Dich denn?«
»Worüber? Nun das liegt doch auf der Hand. Man hält Einkehr bei sich, man besinnt sich auf sich selbst, man denkt an all das Elend, an all die Ungerechtigkeit, die in Rußland herrscht, da kommt der Gram schon von selbst. Man grämt sich, daß man sich am liebsten eine Kugel durch den Kopf schießen möchte. Man fängt an, teufelmäßig liederlich zu leben, und kann doch eigentlich selbst nicht dafür.«
»Was kann Dich denn aber der Zustand in ganz Rußland kümmern?«
»Weshalb soll ich mir darüber denn keine Sorge machen? Aber das muß ich allerdings sagen: Ich fürchte mich fast schon, daran auch nur zu denken.«
»Ich will es Dir besser sagen, was an Deinem Gram schuld ist: Deine eigene Unthätigkeit.«
»Aber was soll ich denn eigentlich thun, bestes Onkelchen? Ich verstehe ja nichts. Sein ganzes Leben auf eine einzige Karte setzen, daß es im Handumdrehen heißt, man hat Alles gewonnen oder Alles verloren, das verstehe ich. Und trinken, trinken, immer noch mehr trinken, das verstehe ich ebenfalls. Zeigen Sie mir doch einmal etwas, was ich thun soll und wofür ich mein Leben einsetzen soll. Sofort thue ich es! Nicht einen Augenblick zögere ich!«
»Weshalb denn immer gleich das Leben einsetzen? Begnüge Dich doch damit, einfach und schlicht zu leben, wie andere Menschenkinder.«
»Das kann ich nun einmal nicht. Sie machen mir den Vorwurf, daß ich ohne Ueberlegung handele. Aber wie soll ich denn anders thun! Beginne ich erst, überhaupt einmal nachzudenken, Herrgott, was geht mir dann Alles durch den Kopf! Das Ueberlegen eignet sich auch gar nicht für uns Russen. Das ist etwas für die Deutschen!«
Was sollte man solchen Einwendungen entgegenhalten? Was konnte man mit Aussicht auf Wirkung bei ihm vorbringen? Er war eben ein Verzweifelter, und damit ist Alles gesagt.
Ich habe vorhin erwähnt, daß über sein Leben im Kaukasus eine große Zahl Geschichten im Umlauf waren; ich will Ihnen einige davon zum Besten geben.
Eines Tages prahlte Mischa in der Gesellschaft von Offizieren mit einem echten tscherkessischen Säbel, den er gegen irgend etwas Anderes eingetauscht hatte.
»Es ist eine echte persische Klinge,« behauptete er.
Einige Offiziere bezweifelten die Echtheit und Mischa gerieth bei der Verteidigung seiner Ansicht immer mehr in Eifer.
»Wissen Sie,« rief er endlich, »was Säbelklingen anbetrifft, erklärt man im allgemeinen den einäugigen Abdul für den größten Kenner und Sachverständigen. Ich werde ihn einfach aufsuchen und ihn um seine Anficht befragen.«
»Welchen Abdul?« riefen die Offiziere, aufs Höchste überrascht. »Etwa Abdul-Khan, der in den Bergen haust? der mit uns auf Kriegsfuß steht?«
»Denselben.«
»Nun, er wird Dich für einen Spion halten, wird Dich festnehmen und wenn er Dich nicht in strengem Gewahrsam hält, so schlägt er Dir mit Deinem eigenen Säbel den Kopf ab. Wie willst Du denn überhaupt zu ihm gelangen? Bevor Du noch zu ihm vordringst, bist Du schon gefangen und weggeführt.«
»Ihr könnt reden, was Ihr wollt, ich gehe dennoch zu ihm.«
»Ich wette, daß Du nicht gehst.«
»Ich halte jede Wette.«
Ohne sich im Geringsten stören oder aufhalten zn lassen, sattelte Mischa sein Pferd und machte sich auf den Weg.
Drei Tage vergingen. Alle glaubten mit Bestimmtheit, daß der tollkühne Mensch sein Ende gefunden habe. Da aber kehrte er zurück und zwar in furchtbar betrunkenem Zustande und mit einem andern Säbel als demjenigen, wegen dessen er ausgeritten war. Man bestürmte ihn mit Fragen.
»Es ist Alles sehr hübsch und einfach gegangen,« berichtete Mischa; »dieser Abdul-Khan ist wirklich ein sehr netter Kerl. Zuerst ließ er mir allerdings Fesseln an die Füße legen und alle Anstalten treffen, um mich auf einen Pfahl zu spießen. Ich erklärte ihm nun aber in aller Ruhe, weshalb ich gekommen sei und zeigte ihm dabei meinen Säbel. ›Es lohnt wirklich nicht der Mühe, mich gefangen zu nehmen, denn Lösegeld wird für mich doch von keiner Seite gezahlt. Verwandte habe ich nicht und ein Fremder wendet auch nicht einen einzigen Kopeken daran, mein Leben von Dir zu erkaufen.‹