»Michael Andrejewitsch, würden Sie mir erlauben zu fragen, was Sie da eigentlich machen?«
»Wie Sie sehen, grabe ich mein Grab.«
»Weshalb?«
»Weil ich nicht Lust habe, noch länger zu leben.«
Ganz erstaunt ob dieser Antwort hob der Fragesteller beide Hände empor.
»Sie wünschen nicht länger zu leben?«
Mischa warf ihm einen drohenden Blick zu.
»Darüber können Sie noch in Erstaunen gerathen? Sie wissen doch sehr gut, daß Sie die Ursache meines Kummers sind. Jawohl, Sie! Jawohl, Du! Du Judas, Du hast es Dir zu Nutze gemacht, daß ich noch jung und unerfahren war! Du hast es benutzt, um mich auszuplündern, um mich zu berauben! Und jetzt schindest Du Deine Bauern, daß es einen Stein erbarmen könnte! Hast Du diesem hinfälligen, siechen Greise nicht sein tägliches Brod geraubt? Jawohl, Du hast es gethan! O Gott im großen Himmel! Ueberall Ungerechtigkeit! Nirgends etwas Anderes als Unterdrückung und Frevelthat! Da mag denn Alles zu Grunde gehen, Alles und ich dazu! Ich will nicht länger leben, ich mag nicht länger in diesem Rußland leben!«
Und noch kräftiger und schneller als zuvor arbeitete Mischa mit dem Grabscheit.
»Zum Teufel auch,« dachte der Gutsherr; »was soll denn das bedeuten? Es scheint wirklich, als wolle er sich ein Grab machen und sich dann gleich hineinlegen. Michael Andrejewitsch,« fuhr er dann laut fort, »ich muß Sie doch um Entschuldigung bitten. Hören Sie mich nur an, es waltet hier ein Mißverständniß vor.« Mischa grub. »Aber wozu diese Verzweiflung?« Mischa grub ruhig weiter und warf die ausgehobene Erde dem Gutsherrn auf die Füße. »Da, Du Landverschlinger!« schrie er dabei; »nimm es und friß es auf!«
»Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie im Unrecht sind. Sie sollten lieber in meine Wohnung kommen, sollten dort etwas genießen und ein Wenig ausruhen.«
Mischa erhob den Kopf.
»Sieh einmal, jetzt singst Du in einer ganz anderen Tonart. Wie ist's darum? Giebt's bei Dir auch etwas zu trinken?«
»Ganz gewiß! Weshalb nicht?« erwiderte der Gutsherr, sehr erfreut, daß die Sache eine für ihn so günstige Wendung nahm.
»Ladest Du auch den alten Timothej ein?«
»Freilich, auch ihn.«
Mischa dachte einen Augenblick nach.
»Das sage ich Dir von vornherein: Du weißt, daß Du mich ausgeplündert hast und daß Du Schuld an meiner jetzigen Lage bist, bilde Dir also nicht etwa ein, daß Du die Sache mit einer einzigen Flasche todt machen könntest.«
»Seien Sie unbesorgt! Es ist von Allem so viel da, als Ihr Herz begehrt.«
Mischa richtete sich ganz empor und warf den Spaten zur Seite. »Nun, mein lieber Timothej,« wandte er sich an seinen alten Wärter, »so wollen wir denn dem Hausherrn die Ehre erweisen. Gehen wir!«
»Sehr gern,« antwortete der Alte.
So begaben sich die Drei ins Herrenhaus.
Der durchtriebene Gutsbesitzer wußte ganz genau, wie er sich zu verhalten habe. Mischa begann allerdings damit, daß er sich von Jenem das Ehrenwort geben ließ, er wolle seinen Bauern in Zukunft alle möglichen Erleichterungen zu Theil werden lassen, aber schon eine Stunde später tanzte Mischa mit Timothej, Beide vollständig betrunken, Galopp in demselben Zimmer, in welchem, wie man meinen konnte, noch der Geist von Andrej Nikolajewitsch Poltew, Mischa's Vater, umging; wieder eine Stunde später lag Mischa, der trotz seines vielen Trinkens doch nicht viel Branntwein vertragen konnte und deshalb schon eingeschlafen war, auf einem Wagen. Seine Mütze hatte man ihm auf den Kopf gesetzt, seinen Dolch neben ihm gelegt, und so wurde er nach der etwa fünfundzwanzig Werst entfernten Nachbarstadt gefahren. Dort legte man ihn an einem Zaun nieder, wo er sich bei feinem Erwachen zum größten Erstaunen wiederfand. Timothej, der noch nicht eingeschlummert war, sondern immer noch versuchte für sich allein Galopp zu tanzen, wurde einfach aus dem Hause geworfen. Was man mit dem Herrn zu thun beabsichtigt hatte, konnte somit wenigstens beim Diener ausgeführt werden.
VI.
Wiederum verging einige Zeit, ohne daß ich das Geringste von Mischa oder über ihn gehört hätte. Gott mochte wissen wohin, er gerathen war. Da sitze ich nun eines schönen Tages in einer Posthalterei an der T.'schen Landstraße; auf dem Tische vor mir stand der Samowar und ich wartete auf den Vorspann, da höre ich plötzlich unter dem offenen Fenster des Passagierzimmers eine heisere Stimme auf französisch sagen: »Monsieur, monsieur! preuez pitié d'un pauvre gentilhomme ruiné!«
Ich erhob den Kopf, großer Gott! Wen mußte ich vor mir sehen! Die von allen Haaren entblößte Fellmütze auf dem Kopfe, bekleidet mit der zerlumpten Tscherkessen-Uniform, an welcher die aufgenähten Patronenhülsen fast in Fetzen herunterhingen, den Dolch in der zerplatzten und zerbrochenen Scheide tragend, mit aufgedunsenem, dabei aber noch immer rosig schimmerndem Gesicht, mit zerzaustem, aber immer noch reichem Kopfhaar, so stand Mischa vor mir! Er war es wirklich, und er war schon soweit gesunken, daß er die Reisenden auf der Landstraße um einen Almosen ansprach!
Ich schrie unwillkürlich laut auf. Er erkannte mich, zitterte, wandte sich ab und machte Miene sich von dem Fenster zu entfernen. Ich hielt ihn zurück. Aber was sollte ich sagen? Sollte ich ihm etwa in diesem Moment eine moralische Vorlesung halten?
Ohne ein Wort zu äußern hielt ich ihm einen Fünfrubelschein hin; ebenfalls schweigend ergriff er die Banknote mit seiner immer noch weißen und rundlichen, aber doch schon zitternden und auch ziemlich unsaubern Hand, und dann verschwand er hinter dem Hause.
Der Vorspann mit frischen Pferden ließ noch immer auf sich warten, und so hatte ich Zeit genug, meinen trüben Gedanken über dieses unerwartete Zusammentreffen mit Mischa nachzuhängen. Ich machte mir jetzt Vorwürfe darüber, daß ich ihn so kalt und gleichgültig hatte weiterziehen lassen. Endlich konnte ich meine Reise fortsetzen; kaum hatte ich noch eine halbe Werst zurückgelegt, als ich vor mir auf der Landstraße einen Trupp Menschen gewahrte, die in seltsamer, offenbar taktmäßiger Weise vorwärts schritten. Bald hatte ich mit meinem Wagen die Leute eingeholt, und was mußte ich nun sehen! Zwölf Bettler waren es, die, mit den Quersäcken auf dem Rücken, zu je zwei und zwei schritten, hüpften und sprangen; sie sangen im Chor ein Liedchen und vor ihnen her tanzte Mischa und brüllte den Refrain noch lauter als die Andern. Kaum war mein Wagen in ihrer Nähe angelangt, als er mich auch schon erblickte und nun laut rief:
»Hurrah! Halt! Das ganze Bataillon, Front!«
Gehorsam blieben die Bettler auf dieses Kommando hin in doppelter Reihe stehen; er selbst sprang mit seinem gewöhnlichen gellenden Lachen auf den Wagentritt und brüllte nun ein »Hurrah« über das andere.
»Was hat das denn zu bedeuten?« fragte ich ganz erstaunt.
»Das ist meine Armee! Es ist die Bettlergarde, übrigens alles Gottesmänner und gute Freunde von mir. Jeder von ihnen, Dank Ihrer Großmuth, hat sich mit einem Gläschen das Herz erfreuen können, und da sind wir denn natürlich heiter und seelensvergnügt. Ach, Onkelchen, glauben Sie mir, nur in der Gesellschaft von Bettlern, von solchen braven Männern, läßt es sich noch einigermaßen auf dieser Welt leben! Sonst ist es wirklich nicht auszuhalten!«