Die junge Frau hielt ihre Hand vor die Augen; die Lippen zitterten leicht. Man sah, daß es sie drängte zu weinen, aber sie bezwang sich und unterdrückte die Bewegung mit einem Husten.
»Mein armer Mischa Andrejewitsch hat mich, bevor er aus dem Leben schied, beauftragt, Sie aufzusuchen. Du mußt auf jeden Fall zu ihm reisen, hat er gesagt. Und dann befahl er mir noch, daß ich Ihnen für alle Ihre Güte danken – und daß ich – Ihnen dies hier –« (sie zog ein kleines Päckchen aus der Tasche) – »dies hier übergeben soll – eine Kleinigkeit, die er stets mit sich herumtrug. Und Michael Andrejewitsch hat noch gesagt, Sie möchten es, wenn es Ihnen gefällig ist, zum Andenken an ihn annehmen. Sie möchten, sagte er, das kleine Geschenk nicht zurückweisen, denn ein anderes kann er Ihnen nicht machen.«
Das Päckchen enthielt eine kleine silberne Tasse mit dem Namenszuge von Mischa's Mutter. Ich hatte die Tasse oft in Mischa's Hand gesehen und erinnerte mich, daß er einst, als wir von irgend einem armen Teufel sprachen, sagte: »Ja, der ist wirklich arm, denn er besitzt weder Tasse noch Schüssel, während ich doch immer noch dieses Täßchen hier habe.«
Ich dankte der jungen Frau, nahm die Tasse und fragte dann: »An welcher Krankheit starb Mischa? Vermuthlich doch –«
Ich biß mich auf die Zunge, aber die Frau verstand nur zu gut, was ich hatte sagen wollen. Sie warf einen schnellen Blick auf mich, senkte dann wieder die Augen und sagte mit traurigem Lächeln: »O nein! Seit dem Tage, da er mich kennen gelernt, hat er darauf vollständig verzichtet. Aber wie stand es mit seiner Gesundheit? Sie war vollständig zerstört. Sobald er das Trinken aufgab, packte ihn die Krankheit mit grimmigster Gewalt. Und er war doch so vernünftig, so ordentlich geworden! Immer wollte er meinem Vater helfen – in der Hauswirthschaft, oder im Garten, oder wo es sonst nur irgend etwas zu thun gab. Er schämte sich der Arbeit garnicht, obwohl er doch von adliger Geburt ist. Aber woher sollte er die Kräfte nehmen? Dann wollte er sich als Schreiber beschäftigen; Sie wissen vielleicht noch, daß er mit diesem Fach sehr vertraut war. Aber seine Hand zitterte, und er konnte die Feder nicht so halten, wie es beim Schreiben nöthig ist. Er machte sich die heftigsten Selbstvorwürfe. »Weiße Händchen habe ich, sagte er, die Hände eines richtigen Nichtsthuers, eines Müßiggängers. Ich habe Niemandem etwas Gutes erwiesen, Niemandem geholfen, habe niemals gearbeitet! Das war's, worüber er sich am meisten grämte. Er sagte: Unser Volk quält und schindet sich ab und wir – was thun wir inzwischen? Ach, Nikolai Nikolajewitsch, er war wirklich herzensgut – und er liebte mich so sehr – auch ich – ach verzeihen Sie –«
Die junge Frau brach in Thränen aus. Ich hätte sie so gern getröstet – aber wie sollte ich das anfangen?
»Haben Sie ein Kind?« fragte ich endlich.
Sie seufzte.
»Ein Kind? Nein?« – Und ihre Thränen flössen noch stärker.
IX.
Das war das Ende, das mein Neffe Mischa genommen, schloß der alte P. seine Erzählung. Sie werden mir wohl zugeben, meine Herren, daß ich Recht hatte, wenn ich ihn einen »Verzweifelten« nannte. Aber ohne Zweifel geben Sie auch das zu, daß er den Verzweifelten von heut zu Tage durchaus nicht gleicht, obwohl ja nicht ausgeschlossen ist, daß ein Philosoph zwischen beiden Arten verwandte oder sogar gleiche Züge herauszufinden vermag. Auf beiden Seiten macht sich derselbe Drang zur Selbstzerstörung bemerkbar, derselbe Trübsinn, dasselbe Unbefriedigtsein mit sich und der Welt.
Aber woher dieses Gefühl stammt, das ist eine Frage, deren Beantwortung ich auch lieber den Philosophen überlassen möchte.