»Um so besser, vergiß ihn nie!«
Und dann lachten der Gutsherr und sein Verwalter sich gegenseitig freundlich an.
Sein Gesinde und ganz besonders seine Leibeigenen, die er gern als sein »Volk« bezeichnete, behandelte Telegin mit großer Güte. »Siehst Du, lieber Neffe, man muß doch bedenken, daß diese Leute nichts, aber gar nichts ihr Eigen nennen, als höchstens das Kreuz an ihrem Halse und auch das ist nur von Kupfer. Es fällt ihnen nicht ein, nach fremdem Besitze ein Verlangen zu hegen. Soll man gegen solche Leute nicht sehr wohlwollend sein?«
Ganz abgesehen davon, daß zu jener Zeit noch Niemand an die Frage von der Aufhebung der Leibeigenschaft auch nur im Entferntesten dachte, konnte diese Frage Alexis Sergejewitsch durchaus nicht beunruhigen. Er regierte über sein »Volk« mit großer Ruhe und Nachsicht, aber er verurtheilte die schlechten Gutsbesitzer aufs Nachdrücklichste und nannte sie »Feinde ihrer eigenen Gesellschaftsklasse«. Im Allgemeinen, so behauptete er, kann man die Leibeigenen in drei Gruppen eintheilen: In Vernünftige, von denen es ziemlich wenig giebt; in Liederliche, davon man mehr als genug hat, und drittens in solche, die für nichts Verständniß haben und die nicht wissen, was sie wollen und sollen – und von dieser Sorte giebt es so Viele, daß man damit die Teiche ausfüllen und die Gräben zuschütten kann. Wer aber seine Unterthanen hart und grausam behandelt, der versündigt sich vor Gott und Menschen.
Ja, die Leibeigenen hatten ein treffliches Leben bei Alexis Sergejewitsch, wenigstens soweit sie in unmittelbarer Nähe des Herrenhauses lebten; die in größerer Entfernung Wohnenden hatten es schon nicht mehr so gut, trotz des Rohrstockes, mit welchem der Mikromegas wiederholentlich bedroht wurde.
Das Hofgesinde bestand aus einer fast unzählbar großen Menge von Leuten; die Meisten von ihnen waren alt, gebrechlich, mürrisch, mit gebeugtem Rücken und eingeknickten Knieen. Sie trugen langschößige Nankingkaftans und verbreiteten einen penetranten säuerlichen Geruch um sich. Von den Frauen, die zur Dienerschaft gehörten, vernahm man nichts als das Auftreten der nackten Füße und das Rauschen der faltigen Röcke.
Der erste Kammerdiener hieß Irinarch. Wenn Telegin ihn bei seinem Namen rief, zog er die einzelnen Silben endlos auseinander: I–ri–na–a–arch! Die Andern nannte er einfach: Kleiner! Mein Bürschchen! Oder auch: Du da, der ja auch zu meinem Volke gehört! Glocken und Klingelzüge konnte er nicht leiden. »Man glaubt immer, wenn man so etwas hört, man ist – Gott behüte – in einer Herberge.« Was mich immer äußerst in Erstaunen setzte, war der Umstand, daß, so oft auch Alexis Sergejewitsch seinen Kammerdiener rief, dieser sofort erschien, wie aus der Erde gestampft; die Hacken aneinander, die Hände auf dem Rücken haltend, so stand er vor seinem Herrn und blickte ihn mit mürrischer, fast feindseliger Miene an. Und welch ein eifriger, treuer Diener war er doch!
Telegin war freigebig, fast über seine Kräfte hinaus, aber er hatte es nicht gern, daß man ihn als Wohlthäter pries. »Wieso, mein lieber Herr, bin ich denn ein Wohlthäter? Nicht Ihnen, sondern nur mir selbst habe ich etwas Gutes erwiesen.« Wenn er zornig oder auch nur aufgebracht war, sprach er Alle mit »Sie« an, statt mit dem sonst von ihm gebrauchten vertraulichen »Du«.
»Wenn ein Bettler Dich um ein Almosen angeht,« pflegte er zu sagen, »so gieb ihm einmal, gieb ihm zweimal, gieb ihm auch dreimal. Wenn er dann zum vierten Male kommt, so gieb ihm wieder, sage dabei aber: ›Du könntest auch einmal eine andere Arbeit versuchen, Brüderchen, als bloß um milde Gaben ansprechen.‹ «
»Aber wie dann, Onkel, wenn der Bettler nun noch zum fünften Male kommt?«
»Nun, dann gieb ihm eben zum fünften Male.«
Wenn Kranke zu ihm kamen und seine Hilfe in Anspruch nahmen, so ließ er sie auf seine Kosten kuriren, obwohl er in die Kunst der Ärzte kein großes Vertrauen setzte und für sich selbst niemals einen holen ließ.
»Meine selige Mutter,« pflegte er zu erzählen, »heilte alle Krankheiten mit Provencer-Oel, in das sie Salz schüttete; sie gab es sowohl innerlich, als auch zum Einreiben und immer hatte sie den besten Erfolg zu verzeichnen. Man muß aber auch wissen, was meine selige Mutter für eine Frau war! Sie war noch zur Zeit Peter des Ersten geboren – danach mag man urtheilen!«
Telegin war durch und durch ein echter Russe; er liebte nur russische Speisen und russische Lieder. Nur die Harmonika konnte er als begleitendes Instrument nicht leiden; sie war ja eine »Fabrik-Erfindung«. Er sah dem Reigen der jungen Mädchen gern zu, ebenso dem Tanze der Frauen. In seiner Jugend war er, wie man sich erzählte, ein guter Sänger und ein leidenschaftlicher Tänzer. Er nahm gern Dampfbäder, diese mußten aber so heiß sein, daß Irinarch, der ihn beim Baden bediente und ihn dabei mit Birkenruthen strich (bekanntlich lassen sich die Russen mit solchen Ruthen so lange schlagen, bis alle Blätter von den Zweigen heruntergeschlagen sind), ihn ferner mit Bast frottirte und mit Tuchlappen massirte – daß dieser brave Irinarch jedesmal, so oft er roth wie eine neue kupferne Statue aus dem Badezimmer kam, sagte: »Na, dieses Mal bin ich, Irinarch Tolobäjew, der Knecht Gottes, noch mit heiler Haut davon gekommen. Wie wird mir's aber beim nächsten Male ergehen?«
Alexis Sergejewitsch sprach unsere schöne russische Sprache etwas nach Art der Altvorderen, aber geschmackvoll, rein und ohne sie mit Ausdrücken aus fremden Sprachen zu vermischen; hin und wieder streute er Lieblingsworte in seine Rede, z. B. »Auf meine Ehre! Gott soll mir verzeihen! Wie dem auch immer sei« – und ähnliche mehr.
Wir haben nun aber genug von ihm erzählt und wollen nun auch ein Wenig über Telegins Gattin, Melania Pawlowna, plaudern.
Melania Pawlowna war in Moskau geboren und ihre große Schönheit hatte ihr den Beinamen »La Vénus de Muscou« eingebracht. Als ich sie kennen lernte, war sie bereits eine alte, abgemagerte Frau, mit feinen, aber ausdrucklosen Gesichtszügen; ihr Mund war klein und zwei Reihen schiefer Zähnchen, wie Hasenzähne aussehend, füllten ihn. Auf der Stirne trug sie eine Menge kleiner Löckchen und ihre Augenbrauen waren offenbar gefärbt. Auf dem Kopfe trug sie stets eine in Pyramidenform aufsteigende Haube mit rosafarbigen Bändern; im Übrigen bestand ihr Anzug aus fußfreiem, weißem Kleide, pflaumenfarbigen Schuhen mit rothen Absätzen und einem hohen Kragen um den Hals; über dem Kleide trug sie ein Mieder von blauem Atlas, das aber an der rechten Schulter nur lose befestigt war, so daß es fast wie ein Umhang aussah. Das war genau dieselbe Toilette, welche sie am St. Peterstage des Jahres 1789 getragen hatte. An diesem Tage war sie, damals noch unverheirathet, mit einigen Verwandten nach dem Chodinski'schen Felde hinausgegangen, um dem berühmten Faustkampfe beizuwohnen, den der Graf Orlow veranstaltete.
»Und der Graf Alexis Gregorinwitsch –« (du lieber Himmel, wie oft habe ich sie diese Geschichte erzählen hören!) – »der Graf bemerkte mich, näherte sich uns, verneigte sich sehr tief und den Hut in beiden Händen haltend, sagte er zu mir: ›Du wunderbare Schönheit, weshalb lassest Du den Ärmel Deines Mieders so frei um Deine schöne Schulter hängen. Willst Du Dich etwa auch im Faustkampfe mit mir messen? Meinetwegen! Aber das sage ich Dir von vornherein: Wenn Du mich besiegst, ergebe ich mich und bin Dein Gefangener‹. Das hörten Alle, die um uns standen, mit an und wunderten sich sehr.«
Seit jenem Tage trug sie nun unausgesetzt dieselbe Toilette.
»Damals aber hatte ich noch nicht solche Haube auf dem Kopfe. Damals trug ich einen Hut à la bergère de Trianon, und obwohl mein Haar gepudert war, schimmerte es doch wie Gold – wie Gold schimmerte es durch den Puder hindurch.«
Melania Pawlowna war, wie man bei uns zu sagen pflegt, »dumm bis zur Heiligkeit«. Sie schwätzte alles Mögliche und über alles Mögliche, ohne wohl selbst recht zu wissen, was ihr Alles aus dem Munde kam; am meisten aber sprach sie über Orlow. Orlow war und blieb, so kann man wohl sagen, der interessanteste Punkt ihres Lebens.